Nachdem ich gestern mit Laadi ueber deren letzten Besuch bei Talata geredet hab, bin ich mir sicher, dass Talata selbst beschlossen hat, dass es genug ist und dass sie gehn will. Als Talata hoerte, dass wir sie nicht nach Hause, sondern in ein anderes Krankenhaus schicken wollten, wurde sie wuetend und sagte: „Ich geh nach Hause!“ „In Ordnung“, sagte Laadi, „dann steh auf.“ In ihren letzten Tagen hatte Talata unkontrollierbaren Durchfall. Als sie sich mit Muehe im Bett aufgesetzt hatte, sagte Laadi zu ihr: „Wenn Du nicht mehr ins Bett machst, kannst Du nach Hause.“ Und noch waehrend Laadi das sagte, machte Talata das ganze Bett voll. Ein paar Stunden spaeter hat sie den einzigen Weg gewaehlt, auf sie aus dem Krankenhaus nach Hause fuehrte.
Mittwoch, Mai 30, 2007
Friedlich
Wuetend
Ist das erlaubt? Fragen, die mich hier immer wieder beunruhigen: Wie viel darf ich von Leuten erwarten, die aermer sind als ich? Wie bloed darf ich eine fremde Kultur (manchmal) finden, wenn die Leute, die ihr angehoeren im Durchschnitt aermer sind als die Angehoerigen meiner eigenen Kultur.
Amerika zum Beispiel und die Amerikaner darf jeder ungestraft und ohne jemals da gewesen zu sein kulturell scheusslich finden. Kein Problem.
Aber die armen Frafras? Die koennen doch nicht anders, das ist doch ihre eigene wertvolle Orginalkultur, die niemand kaputt machen darf oder auch nur schlechtreden. Jajaja, ich finde Lehmhuetten auch charmant. Aber was mich rasend macht vor Wut und wo mir jedes interkulturelle Verstaendnis fehlt, ist dass man sich so lange versteckt, bis es Zeit fuer die Beerdigung ist. Ich war nicht bei Talatas Beerdigung gestern, weil ich nicht wusste, ob ich da hin gehoere. Aber der Ghanaer von Afrikids, der da war, war empoert: „Das Kalliber von Leuten, die auf der Beerdigung waren, die haetten das Problem ebenso selbst loesen koennen.“
Statt dessen haben sie aus der Ferne zugesehn, wie ihr Kind auf der Stasse bettelnd verhungert, haben gerne geglaubt, dass sie einen Fluch auf sich traegt, als Strafe fuer stehlen, sind nicht einmal mit ihr zum Arzt gegangen, um rauszufinden, warum sie so viel isst und niemals zunimmt. Denn schliesslich wollen nur boese Kinder immer Fleisch essen.
Und als die Weissen sich eingemischt haben, sind sie nicht aus ihren Verstecken gekommen, um das Maedchen wenigstens im Krankenhaus zu besuchen, was keinen Cedi kostet und nur ein gutes Herz erfordert. Oder einen Sinn fuer Verantwortung. Die Grossmutter – die ich wirklich gern hab – ist auch erst Teil der Geschichte geworden, als wir zusagten, alle Kosten zu tragen, selbst den Eimer und die Seife mit denen sich Talata waschen sollte. Zwei von Talatas Onkeln sind Prediger, die das Wort des Herrn in die Welt hinaustragen. Dankeschoen. Worte kann ich nicht essen und sie sollten sich mal was schaemen.
Dienstag, Mai 29, 2007
Ein Ende
Sie ist nicht wie ein Huhn gestorben, sondern wie ein Mensch. Umgeben von Menschen, die sich um sie gesorgt haben. Das ist alles, was wir fuer Talata erreichen konnten. Ist das nichts oder viel oder wenig? Vielleicht ist egal, ob das viel oder wenig ist, denn nun da es vorbei ist, ist es so und nicht anders.
Das Krankenhaus hatte sie gestern entlassen wollen und fuer transportfaehig erklaert. Auf unser Bitten liessen sie sich darauf ein, Talata bis morgen frueh zu behalten, dann wollten wir mit ihr in ein besseres Krankenhaus fahren, damit wir endlich rausfinden, warum es ihr nicht besser geht und ob ihre vielen verschiedenen Symptome vielleicht noch auf weitere Erkrankungen hinweisen. Jetzt koennen wir natuerlich sehn, dass all diese Symptome vor allem darauf hinwiesen, dass sie dabei war, zu sterben.
Darueber kann ich keinen farbenfrohen zu Traenen ruehrenden oder gar sozialkritischen blog schreiben. Sondern sitze still in meinem Haus, mein Kopf fuehlt sich so an, als hinge er in einem Aquarium und alle Worte sind schmutzig.
Montag, Mai 28, 2007
Gesittet leben ohne arme Ritter
Wenn ich morgens zur koerperlichen Ertuechtigung und zum Aufwachen durch mein Wohnzimmer tanze, bedaure ich manchmal, dass ich nicht mehr mit den wilden Jungs befreundet bin.
Natuerlich ist es auf die Dauer langweilig, sich zu betrinken, beim Betrinken zuzusehn und Abendunterhaltungen mit ewigen Variationen von zehn Phrasen (Yeah man! Cool man! Peace man! It’s not easy-o! Don’t try! – Ja Mann! Kalt Mann! Friede Mann! Ist nicht einfach-o! Versuch’s nicht mal!) zu bestreiten und dabei im Stil des Rastamanns die Faeuste aneinanderzustupsen und dann aufs Herz zu legen. Wobei die weibliche Begleitung noch nicht mal so viel sagen muss, sondern einfach nur dekorativ laecheln und sich entscheiden, wie weit sie mit trinken will…
Aber zum Tanzen gehn waren die wilden Jungs ungeschlagen, haben mich wie die Ritter in weisser Ruestung vor allen anderen wilden Jungs beschuetzt, sich als Tanzpartner abgewechselt und dafuer gesorgt, dass ich mich ganz ehrenhaft die ganze Nacht zu Musik amuesieren konnte. Und beim Tanzen redet man ja eh nicht.
Samstag, Mai 26, 2007
Elend: Nackt
In deutschen Krankenhaeusern sieht der Besucher dem Elend ins Gesicht. Aber nicht auf den Koerper. Der ist keusch im Nachthemd und unter der Bettdecke versteckt und bevor die Krankenschwestern ihn auspacken, wird der Besuch vor die Tuer geschickt. Und die Raeume, in denen fremde Patienten liegen, sind dem Besucherblick ohnehin entzogen.
In Ghana ist es einfach zu heiss. Und im Bolga Krankenhaus gibt es weder Klima-Anlage noch Ventilatoren in den Krankenzimmern. Wer koennte von den Kranken also erwarten, dass sie die Tueren schliessen und sich unter mehreren Lagen Stoff verstecken. Auf dem Weg zur eigenen Patientin seh ich also Frauen in unterschiedlichen Stadien des Leidens, deren Mitte provisorisch mit einem Tuch verdeckt ist, Brueste unterschiedlicher Laenge und Form liegen ohne Scham frei.
Wer hier ist, versucht nicht mehr, irgendeine Form zu wahren und mit tapferem Laecheln so zu tun, als sei er eigentlich ein Besucher, der sich nur einen Moment hingelegt hat.Wir haben keine Bypass-Patienten, die nur zackzack ihre Operation hinter sich bringen wollen, um dann zuegig wieder zurueck an ihren Schreibtisch zu eilen, keine Sportunfaelle kraftstrotzender junger Maenner, wo nur der Gips um Arm oder Bein einen Hinweis gibt, warum so ein gesunder Mensch im Krankenhaus ist.
Das Bolga Krankenhaus riecht nach Kranken, die Gebaeude selbst sehen krank aus. Und natuerlich schicken die Krankenschwestern die Besucher nicht raus, wenn sie die Patienten waschen. Denn das (Patienten waschen) ist nicht der Job einer Krankenschwester, das gehoert zu den vielen Aufgaben der Angehoerigen.
Als ich gestern bei Talata war, waren ihre Augen zum ersten Mal seit sie wieder im Krankenhaus ist, ganz offen. Und obwohl sie keinen Ton sagte und ihre Hand nicht bewegte, als ich sie in meine nahm, konnte ich sehn, dass ihre Augen mir aufmerksam folgten, waehrend ich mit ihr redete. Da sie wieder isst, traegt sie nun Windel. Das heisst: Ein olles Tuch ist um ihren Hintern gewickelt. Wenn es voll ist, geht Oma es waschen und wickelt Ihr das andere Tuch um. Omas Bitte: Ob es vielleicht moeglich waere, einen dritten Lumpen aufzutreiben, denn manchmal ist die erste Windel noch nicht trocken, wenn die zweite schon voll ist.
Kosi
Ein Junge bei Laadi hat sich einen ganz besonderen Weg in mein Herz gesucht. Von Kosi (wie auch immer der sich korrekt schreibt) hab ich vor laengerer Zeit mal geschrieben, er ist der Junge, der immer, wenn er krank war, gedraengt hat: Mama Laadi, lass mich betteln gehn, wenn ich schwach ausseh, bekomm ich besonders viel!
Inzwischen wird Laadi ja von Afrikids unterstuetzt und die Kinder muessen nicht mehr betteln gehn. Aber Kosi hat das Gesicht nicht verlernt, das er ziehen muss, um Dein Herz zu oeffnen. Er ist vielleicht 14 Jahre alt und hat alle moeglichen Probleme, die hier natuerlich nicht im Einzelnen diagnostiziert werden. In Europa wuerde man das vermutlich eine Lernschwaeche nennen. Was ebenfalls alles oder nichts bedeutet. Hier glaubt man, dass er wegen seiner Epilepsie zurueckgeblieben ist. Ob wegen seiner Behinderung oder wegen seiner Erfahrungen als Strassenkind, Kosi braucht unglaublich viel Koerperkontakt.
Sobald er beschlossen hat, dass wir Freunde sind, haengt er kontinuierlich an mir, wenn ich bei Laadis bin, haelt meine Hand, legt mir den Arm um die Schulter und versucht, mich zu Spass-Kaempfen zu animieren. Sein Lachen, wenn er mein Auto ankommen sieht, ist unbezahlbar. Er unterbricht jedes Spiel, kommt angelaufen und weicht mir nicht von der Seite.
Was wird aus ihm, wenn er ein erwachsener Mann ist? Wenn er mich jetzt anfasst, ist das ganz eindeutig so, wie ein Kind sich an eine Mutter kuschelt. Wird er irgendwann anfangen, Frauen als Frauen zu sehn und sie wie ein Mann anfassen wollen? Wenn er sich aergert oder frustriert ist, rastet er aus und schlaegt um sich. Noch ist er klein genug, dass er nicht viel Schaden anrichten kann, solange ein Erwachsener zur Stelle ist. Wird sich das auswachsen? Oder wird er ein gefaehrlicher Mann werden, den man nicht reizen sollte? Ich hoffe, dass es bei Laadi immer einen Platz fuer ihn geben wird, dass sie sich irgendeinen Job fuer ihn ausdenkt, damit er das Waisenhaus so lange sein zu Hause nennen kann, wie er das braucht.
Was ich an meinem Leben in Ghana so geniesse...
Ist, dass ich keinen Schlag im Haushalt tun muss. Ist das politisch inkorrekt? Muss ich behaupten, ich liebe es, Toiletten zu putzen und Geschirr zu spuelen? Das Schoene ist, dass hier jeder von den Reichen erwartet, so viele Jobs wie moeglich zu schaffen und ihren Reichtum zu verteilen. Schoen und gut, das waere also geklaert. Aber dann schau ich mich in meinem Haus in Bolga um... und fuehle mich in meine WG-Zeiten zurueckversetzt: Ich muss keinen Schlag im Haushalt tun, wenn es mir egal ist, dass ich im Chaos versinke. Langsam versteh ich, warum Ghanaische Haushalte ihre Hausmaedchen in hohem Bogen rausschmeissen, wenn die den Fehler machen, schwanger zu werden. Mary ist jetzt im sechsten Monat, traegt einen kleinen harten Kugelbauch vor sich her und muss ganz viel schlafen. Viel geschlafen hat sie ja immer waehrend der Arbeitszeit, und das macht auch nichts. Dafuer hat sie ihre eigene Matraze und eine Person macht ja auch nicht so viel Dreck, dass man jeden Tag der Woche den ganzen Tag beschaeftigt ist. Aber... ich beobachte mich dabei, das Klo zu putzen, weil es zu fies ist und hab irgendwie das Gefuehl, irgendwas stimmt hier nicht. Nachdem ich durch eine ganze Galerie von Gefuehlen zu diesem Thema gegangen bin, von Aerger bis Mitgefuehl fuer ihre Situation und zurueck zum Ekel beim Anblick meines Klos, hab ich beschlossen, mich heute morgen mit ihr hin zu setzen und nach einer Loesung zu suchen. Auf Ghanaische Art: Das und das ist mein Problem. Hast Du eine Idee, was wir tun koennen? Ich bin gespannt.
Ein paar Stunden spaeter: Die Mutter wird lachen, wenn sie das liest: Meine Putzfrau wird eine Putzfrau einstellen. Sie bot an, ein Viertel ihres Lohnes fuer eine Frau aufzubringen, die fuer sie kehrt und waescht. Und weil ich so ein weiches Herz hab und weil fuer mich zehn Euro nichts sind und fuer sie ein Viertel des Monatslohns, hab ich angeboten, dass wir halbe-halbe machen. So treffen wir uns auf halber Strecke zwischen Prinzip und Grosszuegigkeit.
Triple Combination
Heute koennte man mit mir den Ostertisch eines Altenheims dekorieren. Oder Ghanaer begeistern, die mein Stilempfinden fuer eine weisse Frau aussergewoehnlich finden. Nun, „aussergewoehnlich“ im Sinne von „oh, das schmeckt ja interessant“ wuerden mich die meisten weissen Frauen unter siebzig wohl auch finden.
Also: Ein schwarzer Rock mit weissen Blumen, dazu eine weisse Bluse mit schwarzen Blumen, geknotet ueber ein pinkfarbenes Traegertop, meine Schuhe hochhackige Plastikdinger mit Blumenmuster in verschiedenen Pastelfarben, Grundfarbe pink. Dazu als dezentes Farb-Echo ein rosanes Perlenarmband und Lippenstift im gleichen Farbton. Weil ich nicht zu aufgetakelt wirken will, hab ich auf meinen rosa Lidschatten mal verzichtet. Ihr seht was fuer eine clevere Dreifachkombination das ist:
Schwarz-weiss mit weiss-schwarz...
Pink mit pink und rosa...
Blumen in allen moeglichen Farben und Formen miteinander...
Ob die mir das im Schweigekloster (s.u.) auch wieder abgewoehnen koennen, wenn ich zurueck nach Deutschland will?
Freitag, Mai 25, 2007
Wer feiern kann...
Ein ganzer Kontinent ausgeschaltet. Stellt Euch das mal vor. Heute ist der Feiertag der Afrikanischen Union und der ganze Kontinent nimmt sich frei. Der ganze? Natuerlich nicht, wie kann ein Bauer einen Feiertag begehen, wenn die Regenzeit grade angefangen hat und das Feld zur Saat vorbereitet werden muss? Sagt der Viehhirte seinen Kuehen: Heute ist Feiertag, Ihr koennt sehn, wo Ihr bleibt! Wieso will ein Geschaeftsmann Feiertag spielen, wenn er genauso gut Geld verdienen kann? Nehmen sich die Frauen alle einen Feiertag und schleppen kein Wasser und Holz, kochen kein Essen, kehren keinen Boden, brauen kein Bier? Also noch einmal, und diesmal korrekt: Heute ist African Union Day und in ganz Afrika sind die Regierungsbueros geschlossen. Heute arbeiten die Beamten nicht. Und ich werde mir jeden zynischen Kommentar verkneifen und nicht sagen: Heute ist ein Tag wie jeder andere...
Donnerstag, Mai 24, 2007
Wer ich noch bin
Heute fuehlte ich mich irgendwie so unverbunden, dass ich gedacht hab, ich kann ja mal im Internet nachschaun, ob ich noch da bin. Google findet so schoene Saetze wie: „Eva Schiffer beschaeftigt sich mit dem Lebenssinn...“ und „Eva Schiffer: Miss Schiffer’s school for young Ladies of Quality“ (Fraeulein Schiffers Schule fuer Ladies von Qualitaet). „Oben auf der Sprossenleiter: Eva Schiffer!“ „Now it’s time to start balancing the budget, said Eva Schiffer“ (Nun ist es Zeit das Budget auszugleichen, sagte Eva Schiffer). Also ist ja alles ok und mich gibt es haeufig genug.
Das Leben ist kein Roman - zum Glueck
Gestern hab ich ploetzlich verstanden, warum ich einen blog aber keinen Roman schreiben kann: Dem Leben faellt gar nicht auf, wenn ich den Ueberblick verliere, es schlingelt und schlaengelt sich trotzdem einfach so weiter, ab und zu schau ich hoch und es ist wieder was passiert. Wenn ich das einfach nur abschreibe reicht das schon, dass meine Geschichte in sich Sinn macht... Ab und zu taucht Marys Kugelbauch auf und ohne dass ich rechnen muss, wird sie nach neun Monaten niederkommen. Talata liegt weiterhin im Krankenhaus und kaempft mit dem Leben, dem Tod und dem ganzen Rest, ab und an schafft sich Douglas ein neues technisches Spielzeug an und wenn seine Aufnahmepruefung erfolgreich ist, wird er ab September studieren. Manche Akteure verlassen den blog, so zum Beispiel meine Hunde, die gestern von ihrem eigentlichen Besitzer abgeholt und nach Kenia verschleppt wurden... In einem Roman koennte ich all diese Handlungsstraenge nie unter Kontrolle halten und als Leser wuerdet Ihr Euch immer wieder fragen, wer die Protagonisten verschleppt hat. Auf der anderen Seite ist vieles in diesem blog (und meinem Leben) tatsaechlich wie in jenem schlechten vergesslichen Roman, den ich nicht schreiben werde. Ihr fragt Euch vielleicht: Aber wo ist denn Marys Baeckerei? Das frag ich mich auch. Oder: Und was macht Radiomann? Das einzige, was ich von ihm sehe, ist dass er sich versteckt...
Mittwoch, Mai 23, 2007
Was ich nicht mehr seh
Aufgewacht
Dienstag, Mai 22, 2007
Sekundenbeichte
Douglas sagt: „Du solltest Privatdetektivin werden!” Manchmal sieht es wirklich so aus, als wuerden Leute auf mich zu rennen, mir schnell ihr schlimmstes Geheimnis erzaehlen und dann wieder ins Auto springen und abhauen. Heute morgen an der Tankstelle wurde mir Abduhls Onkel vorgestellt. Abduhl ist Douglas’ bester Freund.
Wir schuettelten Haende, er sagte, dass er Jahre in Deutschland gelebt habe und erzaehlte mir in einem Gespraech, das weniger als zwei Minuten dauerte, dass er zwei Kinder mit einer deutschen Frau gehabt hat, die beide gestorben sind, eines nur elf Tage nach der Geburt und dass die Frau depressiv wurde und die Beziehung daran zerbrach.
Als er wegfuhr sass ich mit offenem Mund da. Ich erzaehlte das Douglas, weil ich einfach so verwirrt war und er stockte: „Ich wusste gar nicht, dass er Kinder hatte.“
Montag, Mai 21, 2007
Ich Hure
Heute war ich beim Oberarzt, um mich zu prostituieren. Dabei hab ich meine Beine nicht breitgemacht und meine Kleidung anbehalten. Schutzig hab ich mich danach trotzdem gefuehlt.
Meine Aufgabe war es, meinen Freund den Herrn Doktor darauf aufmerksam zu machen, dass das arme Maedchen Talata eine reiche Goennerin und Tante hat (mich) und deshalb so gut wie moeglich behandelt werden soll. Und im zweiten Schritt sollte er davon ueberzeugt werden, dass wir ihn und sein Krankenhaus nicht beleidigen, wenn um eine Ueberweisung in ein anderes Krankenhaus bitten.
Also durfte ich nicht sagen: Ihr „behandelt“ sie schon ein halbes Jahr lang und das Ergebnis ist in Eurer Abstellkammer zu besichtigen. Sondern musste ihm eine verwirrte Geschichte darueber erzaehlen, wie schwierig es ist, die Omma zu ueberzeugen, waehrend der Regenzeit an Talatas Bett zu sitzen, statt auf dem Feld zu arbeiten und dass es im Missionskrankenhaus ja ehrenamtliche Helfer gibt, die das uebernehmen usw. Ich hab arg betont, dass ich armes Voegelchen ja auch nicht weiss, was medizinisch notwendig ist, schliesslich ist er ja der Gott in Weiss und ich nur Staub auf seinem Kittel. Dann kam es wieder ueber mich und ich hab ein zwei Saetze darueber gesagt, was ich denke, was medizinisch als naechstes passieren muesste... um dann wieder zusammenzuzucken und etwas Duemliches zu sagen, damit klar ist, dass ich seine Kompetenz nicht anzweifle. Und natuerlich musste ich betonen, dass ich hier bin, weil mein Herz so weich ist (etwa so weich wie meine blondbelockte Birne) und mich das Leiden dieses Maedchens so beruehrt, dass ich einfach nicht an mich halten und meinen Geldbeutel auf machen muss.
Nach einer halben Stunde waren wir endlich so weit, wie ich kommen wollte, er hatte seinen Stationsarzt ebenfalls herbeordert und ihm alle moeglichen Anweisungen gegeben und akzeptiert, dass wir Talata verlegen, sobald sie transportfaehig ist. Zum Abschied bot ich noch an, dass wir irgendwann auch mal zusammen ein Getraenk nehmen sollten und dabei gar nicht ueber Krankheiten sprechen... Als ich da raus kam, hatte ich das dringende Beduerfnis, meine Haende mit Seife zu waschen. Aber Laadi war am Telefon so erleichtert, als ich ihr von dem Gespraech erzaehlte, dass ich dachte, das ist es wohl wert...
Krankenhausbericht (drei Stunden spaeter)
Taxi rufen, zum Krankenhaus, in der Frauenabteilung nach Talata suchen, die schicken mich zur Notaufnahme, von da ist sie aber schon auf die Intensivstation verlegt worden. Intensivstation? Ja, so nennen die das. Von selbst waere ich nicht darauf gekommen, dass diese Abstellkammer, in der sich kaputte Baenke und Betten stapeln, eine Intensivstation ist. Auf dem Boden liegt Talata auf einer Plastikmatratze. Daneben sitzt eine alte einaeugige Frau auf einem Plastikstuhl. Ich haette nicht gedacht, dass das noch moeglich ist, aber seit ich sie das letzte Mal gesehen hab, hat Talat noch Einiges abgenommen, ihre nackten Beine sind mit Haut bespannte Stoecke, an denen riesige Fuesse haengen, ein Tuch bedeckt ihre Mitte, aber was ich darunter ahnen kann, erinnert mich an diese Fotos befreiter KZ-Haeftlinge, wo man sich fragt:Wie kann jemand so tot aussehn und noch rumlaufen? Nun, Talata laeuft nicht. Sondern liegt mit halb offenem Mund und halb offenen Augen... im Koma? Im Schlaf? Irgendwo dazwischen? Ploetzlich beginnt sie zu stoehnen und versucht, sich rumzuwaelzen, als haette sie Schmerzen, dann gaehnt sie mit riesigem Mund und stoehnt noch einmal, bevor sie wieder wie ausgeschaltet still liegt. Ihr magerer Brustkorb hebt und senkt sich, sie atmet noch.
Was sich seit meiner Abreise aus Bolga veraendert hat: Die Frau auf dem Stuhl. Das ist ihre Grosstante (oder Grossmutter). Sie haelt Wache und haelt ihre Hand fest, wenn Talata Gefahr laeuft, sich den Tropf rauszureissen. Wir koennen einander kein Wort sagen, denn ich spreche noch immer kein Frafra. Unsere einzige Verbindung ist meine Hand auf Talatas rechter Schulter und ihre Hand in Talatas linker Hand, Beruehrungen, mit denen wir das Maedchen zu beruhigen versuchen wenn sie stoehnt – oder uns selbst, wenn wir den Anblick nicht mehr ertragen koennen.
Aber natuerlich braucht Talata mehr als Luft und Liebe. Eine Bluttransfusion, sagen die Aerzte. Aber leider hat das Krankenhaus seit drei Wochen kein Blut mehr und ausserdem braucht Talata 0+, was nicht leicht zu finden ist. Also schickt Laadi die groesseren Kinder ins Krankenhaus, um sich testen zu lassen, aber eins nach dem anderen wird weggeschickt mit nutzlosem A oder B. Ihr Angebot, trotzdem zu spenden, fuer andere Patienten, wird abgewiesen. Zwar hat man kein Blut, aber wenn man einfach so Blut spenden will, muss man einer bestimmten buerokratischen Prozedur folgen, das geht nicht am Sonntag. Als ich mich von Talata und Oma verabschiedet hab und beim Labor ankomme, um mein Blut testen zu lassen, faellt leider der Strom aus und der Generator des Krankenhauses versorgt nur das Haupthaus, nicht das Labor. Also Schluss mit Helfen fuer heute, die Patientin muss sich halt ein Bisschen zusammenreissen und warten, bis wieder Strom da ist. Dankeschoen. Auf wiedersehn.
Ghanaische Loesung?
Heute sagt Laadi: „Na, wenn sie stirbt, stirbt sie wenigstens nicht wie ein Huhn, sondern wie ein Mensch, der von anderen Menschen geliebt wird…” Und ich sah mal wieder, dass das Leben an all den Orten, an denen ich nicht bin, trotzdem weitergeht. Talata war in der Zwischenzeit von Laadi’s zu ihrer Grossmutter umgezogen. Fuer das Waisenhaus war eine eigensinnige jugendliche Diabetikerin eine zu grosse Last, sie selbst wollte gerne zu Oma und nachdem wir versprochen hatten, fuer die Kosten aufzukommen, war Oma auch einverstanden. Eine Krankenschwester im nahen Gesundheitszentrum sollte das Insulin in ihrem Kuehlschrank kuehlen und fuer regelmaessige Injektionen sorgen. Dann war ich in Accra und in Korfu, Debbie zog aus Bolga nach England zurueck und wir beide sagten uns: Wir muessen akzeptieren, dass es eine Ghanaische Loesung gibt, denn selbst wenn die nicht ideal ist, ist es die einzige, die langfristig halten kann...
Waehrend wir weg waren, gab es ein gemischtes Bild: Die Grossmutter und die Krankenschwester gaben sich ernsthafte Muehe, wenn Talata nur nicht dauernd Malaria kriegte, sich uebergeben muesste und so weiter. Gestern Abend konnte mich Laadi nicht erreichen. Und als wir heute endlich sprachen, war Talata wieder im Krankenhaus, weil sie kollabiert war. Die Geschichte, wie Laadi sie erzaehlt, ist verwirrend, eine Kombination aus verschleppter Malaria und Unterzuckerung, weil sie alles erbricht. Nun suchen sie einen Blutspender, um Talata eine Transfusion zu geben, die sie wieder aufpaeppeln soll...
Soll das tatsaechlich die Ghanaische Loesung sein? Dass sie umsorgt stirbt statt ausgestossen? Oder dass sie alt und grau wird, aber sich dabei von einer Krise zur naechsten hangelt?
Bombe werfen!
Ins Regionalkrankenhaus. Das scheint mir manchmal eine angemessene Reaktion.
Als ich auf Reisen war, hatte Mary Malaria. Mit Malaria geht man hier ebensowenig ins Krankenhaus, wie zu Hause mit ner fiebrigen Erkaeltung. Wenn Mary also sagt: „Und dann sind wir nachts ins Krankenhaus gefahren...“, weiss ich, das war arg. Noch dazu sollte man Malaria vermeiden, wenn man schwanger ist, weil die koerperliche Belastung zu Frueh- und Fehlgeburten fuehren kann.
Also sind Mary und ihr Mann im Krankenhaus angekommen und sofort... Nein, vergesst alle Szenen aus „Emergency Room“ oder „Schwarzwaldklinik“. Sofort passierte gar nichts. Bis sich eine der Schwestern endlich dazu bequemte, den beiden mitzuteilen, dass sie genau so gut wieder ins Taxi steigen und nach Hause fahren koennen. Hier wird gestreikt, wer sterben will, soll bitte woanders hin gehn. Warum gestreikt? Weil die Aerzte ne Gehaltserhoehung bekommen haben! Das find ich auch unverschaemt, denn die verdienen im lokalen Vergleich eh schon fies viel. Und arbeiten lausig, wenn ueberhaupt. Streiken weil jemand eine Gehaltserhoehung bekommt? Ja: Die Schwestern haben die Arbeit niedergelegt, denn sie wollen auch mal.
Was blieb Mary anders uebrig? Taxi finden, nach Hause fahren und hoffen und beten, dass alles gut geht... Kein Wunder, dass Religion hier so wichtig ist, irgendwas muss man ja tun, wenn man nix tun kann. Am naechsten Morgen fuhren sie dann in eine Privatpraxis, wo man Mary gleich ne Infusion legte und sie erstmal fuer drei Tage da behielt.
Jetzt ist sie wieder rund und gesund und eine durchreisende belgische Frauenaerztin hat mich beruhigt: Wenn die Schwangere die Malaria gut ueberstanden hat und wieder gesund ist, besteht keine weitere Gefahr fuer das Baby, Mutter und Kind gehn zurueck auf Los und ziehn keine 4000 ein – neue Chance, neues Glueck! Es darf gefroeschelt werden!
Dienstag, Mai 15, 2007
Fluggesellschaft auf Ghanaisch
Auf meinem Rueckflug nach Ghana passierte, was ich immer als schrecklichsten Ernstfall ansah: Ich hatte mein Buch nach einer Stunde ausgelesen und noch fuenf buchlose Flugstunden vor mir. Das wuerde mich vermutlich umbringen. Vor allem da der Flug tagsueber und ich kein Stueck muede war. Auf jeder anderen Strecke waere ich auch ab Stunde drei zwischen Platzangst und Langeweiletod hin und her getigert. Nach Ghana aber schickt KLM die fliegende WG-Party. Nachdem ich mit den beiden Leuten, die neben mir sassen, genug geredet hatte, hab ich mich in die Kueche neben den Nudelsalat gestellt und jeden neuen Gast gefragt, woher er welchen der Gastgeber kennt und ihm die gefuellten Tomaten empfohlen. Nein. Gelogen. Aber neben den Toiletten stand ein Getraenkewagen angekettet, das war quasi die Bar und da stand ich nun und lernte kennen:
Die ghanaische Krankenschwester, die seit 20 Jahren in den USA wohnt, nach Ghana zurueckkommt, um ihren ploetzlich verstorbenen Lieblingsbruder zu beerdigen, gerne bald in die alte Heimat zurueckziehn moechte, weil ihr Amerika auf den Geist geht und die darauf besteht, dass wir bei meinem naechsten Aufenthalt Washington unbedingt was zusammen unternehmen sollen. Das da hinten ist ihr Sohn. Einmal winken bitte.
Den niederlaendischen Bewegungstherapeuten, der in Ghana einen Geschaeftspartner treffen will, mit dem er ein Zentrum fuer Bewegungstherapie, afrikanischen Tanz, Kunst und traditionelle Heilkunst aufmachen will. Ich schlage ihm vor,mit den Afro-Amerikanern zu reden, die das Paradies am Meer fuehren und Rueckkehrzeremonien fuer entwurzelte Amis veranstalten, die vermuten, dass ihre Vorfahren aus Ghana verschleppt wurden.
Den deutschen Pro Sieben Mitarbeiter, der fuer einen Kurztrip nach Ghana kommt, um sich mit den Freunden zu treffen, die sich drei Jahre frei genommen haben, um nach Kapstadt zu radeln und der sich am liebsten die Kante geben wuerde, weil Schalke schon wieder nicht Meister wird.
Den jungen Steward mit dem direkten Draht zum Cockpit, wo man wiederum direkten Zugang zum aktuellen Fussballgeschehen hat, der selbst Ajax Amsterdam Fan ist, aber das Leiden des Schalkers mit vollem Herzen nachvollziehen kann.
Die Englaenderin, die fuer eine kleine wohltaetige Organisation zum ersten Mal Ghana bereist, um zu sehn, wie Sozio-Drama fuer laendliche Entwicklungsprogramme genutzt wird.
Die Amerikanische Medizinstudentin, die Amerika noch nie verlassen hat und nun in einem Krankenhaus in Ghana Sichelzellenanaemie und Malaria erforschen wird.
Den Ghanaer, der seit 8 Jahren in Muenchen wohnt, fuer eine Mobilfunkfirma arbeitet, bayerisches Deutsch spricht aber die Bayern eher bloed findet und bald, sehr bald nach Ghana zurueckkehren will, um in die Landwirtschaft einzusteigen und dem ganzen Technologiekram den Ruecken zu kehren. Als ich ihn frage: Was wirst Du vermissen, wenn Du aus Deutschland weggehst, schweigt er ehrlich.
Dann musste ich mich anschnallen und die Sitzlehne aufrichten, die Party war vorbei, willkommen in Ghana.
Und wenn ich wieder nach Deutschland ziehe, muss ich zur Re-Sozialisation erstmal nen Monat ins Schweigekloster.
Sonntag, Mai 13, 2007
Viel Laerm um Fisch
Wusstet Ihr eigentlich, wie laut Tauchen ist?
Ich hatte mir das immer so vorgestellt, wie schweigend und schwankend vorm Aquarium sitzen. Von wegen. Erstmal ist das natuerlich viel kaelter als auf meiner Veranda in Ghana, wo das Aquarium steht. Vor allem, wenn man viel zu klein fuer den Tauchanzug ist und an den Arm- und Beinmanschetten staendig kaltes Wasser nachfliesst. Das ist, als wollte ich mit meinem Koerper das ganze Mittelmeer auf 36 Grad erwaermen, und wie mein Tauchlehrer richtig bemerkt, kann das wohl ne Weile dauern.
Und dann dieses ganz laute Blubbern. Die einzige Moeglichkeit, das abzustellen, ist nicht mehr zu atmen – was einem auf die Dauer auch den Spass verdirbt.
A propos Spass: Dieser erste Tauchgang meines Lebens war ganz wunderbar, hinreissend und abenteurelich – wenn man von Laerm und Kaelte einmal absieht. Ist der Mensch nicht ausgebufft, sich sowas auszudenken, womit man unter Wasser atmen kann und dabei schweben wie im Flugtraum... Und alle anderen – also die Fische und ihre Freunde – schweben um einen herum, als waere das eine ihrer leichtesten Uebungen (was es streng gesehen ja auch ist, die einzige Uebung, die sie zur Perfektion beherrschen)
Muessen, koennen, wollen
Muss ich das wirklich noch dazu sagen? Dass das Mittelmeer so blau ist, als waer es gefaerbt. Dass die Kumquats, Oliven und Kaese schmecken, wie ein Schlag ins Gesicht (so intensiv, nicht so schmerzhaft), dass die Sonne im Mai grade zwischen freundlich und heiss ist und die Bewohner des Fischmarktes in allen Farben glitzern laesst, waehrend sie hinreissend fischfrisch riechen, dass wir ueber die weissen Segel hinweg die schneebedeckten Kuppen Albaniens sehen und die Luft wimmelt von genuegend Schwalben fuer mehr als einen Sommer. Dass die Olivenhaine sich ueber steile Haenge hangeln und mit Blumenwiesen gepolstert sind, an denen sich Schafe und Ziegen erfreuen. Muss ich, nein kann ich wirklich fassbar beschreiben, wie schoen es hier ist? Vermutlich nicht. Deshalb versuch ich’s nicht mal.
Jetzt lieb ich Alexandros noch mehr
Denn er hat mich auf seinem Motorrad im lauen Fruehlingswind in die Stadt gefahren, mir auf dem Markt gezeigt, wie man an Fischkiemen, Augen und Oktopusfarbe die Frische erkennt, von Bergtee, Pilzsuche und dem ganz anderen Korfu seiner Kindheit erzaehlt und natuerlich von seiner Mama. Wir haben Kaffee getrunken und vom Blau des Meers geschwaermt und mediterran gelassen den Tag verschludert...
Ganz wie in dem mythologischen Griechenland, fuer das ich in Athen meine weiss-schwarzen Schuhe gekauft hab: Ganz so? Nein, denn wir trugen Helm und fuhren risiko-arm. Ich trug flache bequeme Schuhe und hab weder gekichert noch mein Haar in der Gegend rumgeworfen.
Und Alexandro fuehrte lange Handy-Gespraeche mit seiner Freundin in Holland, wodurch klar war, dass der Tag kein: „Lass uns zum Strand gehn“-Ende haben wuerde. Vielleicht bin ich durch Ghana arg gepraegt – aber ich bin doch immer wieder beeindruckt, wenn ich Maenner treffe, die mit Frauen einfach so freundschaftlich umgehn, ohne nach wenigen Saetzen heiraten zu wollen...
Mittwoch, Mai 09, 2007
Ich liebe Alexandros
Meine Mutter findet griechische Maenner bloed. Und bislang hatte ich auch das Gefuehl, die sind etwa genau so oelig wie das griechische Essen, das mich massiv enttaeuscht hat: Alles, was nicht bei drei auf den Baeumen ist, wird gnadenlos in grossen Mengen Olivenoel und Knoblauch ertraenkt... Aber dann...
Dann kam Alexandros. Der hier an der Strandpromenade ein Lokal hat, das genau so aussieht, wie alle anderen... was mich da rein gelockt hat, war, dass auf der Speisekarte neben 0815 fuer Englaender das ein oder andere ungewoehnliche Gericht stand. Als ich bestellen wollte, erklaerte er mir mit sinnlicher Begeisterung die einzelnen Zutaten. Wenig spaeter sass ich summend und laechelnd ueber meinen Nudeln mit getrockneten Tomaten, an denen nichts ungewoehnlich oder angeberisch war, ausser, dass sie perfekt schmeckten.
Danach musste ich mir mit einem langen Spaziergang durch die Huegel die Zeit vertreiben und neuen Hunger rechtfertigen, bevor ich abends wieder kommen durfte und er mir von seiner Kuechenchefin zwei Teller liebevoller vegetarischer Einzelheiten anrichten liess, zwei Gabeln voll gegrilltem Pilz mit getrockneter Tomate und geraeuchertem Kaese, vier gegrillte Zwiebelringe, ein Kaesepastetchen so gross wie eine halbe Spielkarte usw. - grade genug, dass ich einen Bissen vor Magenfuelle fertig war. Was gut war, denn das Gefuehl ist so viel schoener als Ueberfressenheit.
Und ausserdem hatte er fuer einen englischen Freund zwei Fische zubereitet, ein Thunfischsteak in Balsamico und einen unbekanten flachen butterzarten Fisch in seinem eigenen Geschmack ohne Sperenzien. Die beiden luden mich an ihren Tisch ein, und so konnte ich nun zu Fisch weiter summen und laecheln. Nach einem langen stillvergnuegten Abend sagte Alexandros „10 Euro“. Als ich protestierte, denn das macht ueberhaupt keinen Sinn, zuckten ihm ganz leicht die Mundwinkel, auf eine Art, die sagt: „Maedel, ich bin der Chef hier, wenn ich fuer Dich umsonst kochen will, ist das meine Sache.“
Capuccino riechen
Ich bin die Kinokitschfilmheulerin. Manchmal sogar die Rosmarin-in-koechelnder-tomatensauce-Heulsuse. Deshalb sei mir hoffentlich verziehen, dass ich ploetzlich mittem im charmelosen Konferenzhotel auf Korfu Traenen in den Augen hab, als meine Nase an meinem Capuccino vorbeischwenkt und stoppt und ich guten echten Kaffee, warme Milch und Zimt rieche. Nein, in Ghana vermisse ich Lebensmittel nicht mehr aktiv wie am Anfang, wo ich lang und breit ueber Creme Fraice oder Parmesan fantasieren konnte. Und ich bin stolz auf meine Erfindung der Auto-Kaffeemaschine, wo ich eine Plastikflasche unter die Windschutzscheibe klemme, so dass die Sonne meinen Nescafe erwaermt. Den ich mir im Buero auch literweise kalt reinkippe. Aber... Ich bin noch nicht verloren. The real thing beruehrt mich noch.
Laut reden, viel rauchen, Fingernaegel rot lackieren und fies essen
Das sind meine ersten griechischen Eindruecke auf dem Flughafen von Athen. Gegenueber sitzt ein Mann, der isst waehrend er raucht und jedesmal, nachdem er sich einen grossen Bissen ins Maul geschoben hat, leckt er Gabel und Messer ab. Da merke ich, dass ich inzwischen gelernt hab, dass es in Ghana beim Mit-den-Fingern-essen sehr gute Manieren gibt, Dinge, die man auf jeden Fall oder auf keinen Fall tun sollte, also nicht die linke Hand benutzen und nicht plappern und inzwischen finde ich einen ordentlich mit den Fingern sezierten Fisch so viel appetitlicher als Messerlecken. Und zu rauchen, wo gegessen wird, wuerde dem gottesfuerchtigen Ghanaer wohl nicht einfallen (in der Ghanaischen Bibel hat Gott irgendwann gesagt, dass rauchen ihm nicht gefaellig sei...)
Der Mythos lebt (und schmerzt die Fuesse)
Griechenland hat fuer mich, genau wie Italien, diese stark mythologische Dimension. Damit meine ich nicht die Zeit vor zwei-drei-viertausend Jahren. Nein, beide Laender sind in meiner Welt so stark verbunden mit den mythologischen 50er und 60er Jahren – die ich offensichtlich nicht miterlebt hab, aber trotzdem das Gefuehl hab, mich daran erinnern zu koennen. So wie wir alle fuehlen, wir waeren schonmal in New York gewesen, dabei waren wir nur zu oft im Kino. Ich erinnere mich an das Griechenland aus der Zeit als unsere Imbiss-Besitzer in Dueren noch jung und feurig waren und ihre schlanken Frauen mit schwarzweiss gepunktetem Glockenrock und blondiert-toupiert durch ihre Doerfer spazierten.
Zu Ehren meiner geklauten Erinnerung habe ich mir am Flughafen in Athen weissschwarze Schuhe gekauft, die hervorragend zu einem meiner Kostuemchen passen und mir mal wieder den Titel: „Most overdressed conference participant“ (am staerksten uebergetakelte Teilnehmerin?) einbringen werden, den ich bei meinen Forscherkollegen einfach verteidigen kann.
Und Korfu gibt sich grosse Muehe, dem Mythos gerecht zu werden: Das Hotel, in dem ich eine Besenkammer bewohne, stammt aus jenen grossartigen Tagen der Baugeschichte, die Gaeste sind groesstenteils aus Deutschland und waren gemeinsam mit meinen Imbissbesitzern jung und schoen, in der Bar tanzen Eingeborene zum zustimmenden Gejohle der Gaeste ihre Eingeborenentaenze wie eh und je.
Ich dagegen bin heute morgen auf dem Weg zum Konferenzzentrum gnadenlos inder Gegenwart angekommen. Auf halber Strecke musste ich einsehen, dass meine hochhackigen hellblauen Kaenguruhwildlederschuhe einfach nicht fuer Fussmaersche gemacht sind und mich dazu herablassen ein absolut gegenwaertiges Produkt zu kaufen: Treckingsandalen mit siebzehn Klettverschluessen. Und noch dazu die nachgemachte Billigversion aus China, mit einem Logo, das die Idee des Nike-Logos spiegelt. Welch eine Schande fuer mein Stilgefuehl. Welch eine Wohltat fuer meine zeitgeschichtlich geschundenen Fuesse. Vor dem Eingang hinterm Busch hab ich natuerlich wieder auf „Most overdressed“ geschaltet und die Schlappen in der Aktentasche versteckt.