Montag, Juli 31, 2006

Elefantenwaechter

Was nun kommt ist nicht gelogen. Ehrenwort. Aber wunderschoen und mal wieder ein Beweis dafuer, wie klein und gemein ueber gross und trampelig siegt. Im Flugzeug sass ich neben einem sehr glaubwuerdigen Kollegen, der sich im Handel mit Shea Nuessen engagiert (darueber schreib ich Euch ein andermal alles) und wir kamen auf alle moeglichen Hoelzchen und Stoeckchen im Zusammenhang mit Naturschutz und was die Anwohner davon haben, diesen Quatsch zu unterstuetzen.

Er erzaehlte mir von einem Kollegen in Suedafrika, der Bienen als Elefantenwaechter einsetzt. Anscheinend haben Elefanten, die jeden Zaun einfach platttrampeln und deshalb so schwer in Nationalparken festzuhalten sind, einen Heidenrespekt vor Bienen. Wenn man nun um sein Naturschutzgebiet einen Ring von Baeumen pflanzt und in jedem ein Bienenvolk unterbringt, haben die Elefanten so viel Angst, dass sie nicht zwischen diesen Baeumen durchgehn. Die umliegende Bevoelkerung bleibt also von Elefantenangriffen verschont und kann noch dazu regelmaessig Honig ernten.

Elefantenangriffe? Ja, im Gegensatz zum indischen Elefanten, der sich fuer seinen Arbeitgeber den Ruessel aufreisst und sich von kleinen Jungs hierhin und dorthin reiten laesst, ist der afrikanische ein ziemliches Biest und weigert sich, sich zaehmen zu lassen. Leider hat er zwar einen Ruessel, mit dem man Dinge greifen, drehen, in der Gegend rumschmeissen kann, aber ein ziemlich geringes technisches Verstaendnis. Deshalb verstehen nur wenige Elefanten, dass man einen Wasserhahn einfach aufdreht und schon fliesst das Wasser. In ihrer Frustration reissen sie die ganze Anlage aus der Erde – und freuen sich dann, dass das Wasser fliesst...

Donnerstag, Juli 27, 2006

Wie der Radiomann mich gluecklich macht

Nicht dadurch, dass er seine Schulden zurueckzahlt. Aber dadurch, dass er wildes Radio macht. Wo in den fuenf Uhr Nachrichten ausfuehrlich von dem Verkehrsstau berichtet wird, den es in Accra gab, weil eine junge Frau mit Juju (Magie) eine geldspuckende Schlange hergestellt hatte, die von der krakelenden Grossmutter jedoch mit einem Eimer Wasser ausgeloescht wurde und schliesslich halb Accra auf dem Weg zu dieser Huette war, um vielleicht ein Scheinchen abzubekommen...

Heute abend fuhr ich von der Arbeit nach Hause und mir passierte was, was mir seit WDR 5 nicht mehr passiert ist: Ich wollte noch ein paar Runden fahren, damit ich das Programm zu Ende hoeren konnte. Wow, Domian ist dagegen n Schlaffi und dessen Programm wird aus Sicherheitsgruenden nur mitten in der Nacht ausgestrahlt. In dieser Feierabend-Show loesen Zuhoerer live andererleuts Eheprobleme.

Die junge Frau hatte sich beim Radio ueber ihren Mann beschwert, der war notgedrungen mitgekommen, weil er doch lieber dabei sein wollte als in Abwesenheit zerrissen zu werden. Der Moderator gab einen kurzen Ueberblick ueber die Geschichte der beiden (deren Namen nicht genannt werden sollten, die aber letztlich so genau beschrieben wurden, dass in dieser Kleinstadt jeder, der sie kennt, weiss, wer sie sind): Sie fuhr fuer zwei Tage zu ihrer Mutter nach Sandema, kam unerwartet frueher zurueck, behauptet, ihn mit der Freundin im eigenen Ehebett erwischt zu haben und hat die Frau ordentlich zusammengeschlagen. Nun sind Freundin und Ehemann zur Polizei gegangen und die Frau fuehlt sich ungerecht behandelt.

Als der Moderator den beiden das Wort erteilt, sagt er noch: Und jetzt aber friedlich, wir sind hier im Radio, um Euer Problem zu loesen, nicht gleich so anfangen, wie ich das eben hinterm Haus gehoert hab. Und dann brennt die Hecke. Mann und Frau bruellen einander an. Der Moderator haelt das Mikro zu und laesst die Anrufer zu Wort kommen, die von „Mann, geh zur Beichte“ bis „Frau, Du solltest hoffen, dulden und beten“ alles moegliche raten. Ich weiss nicht, wie es geendet hat, ob sie sich nun scheiden lassen, ob die Anzeige zurueckgezogen wird, ob das Studio am Ende in Flammen aufging, denn obwohl ich Schneckentempo fuhr, kam ich irgendwann zu Hause an und habe ganz erwachsen und gar nicht sensationsgierig das Radio abgestellt und bin ins Haus gegangen, wo ich kein Radio hab.

Dienstag, Juli 25, 2006

Portapotti auf Ghanaisch

Portapotti (also tragbares Toepfchen) war der wunderbar ausdrucksstarke Name unserer Wohnmobil-Toilette. War das die Marke oder eine Erfindung meiner Eltern? Das war so eine fette Plastikkiste, die mit stinkender blauer Fluessigkeit gefuellt war, die den Gestank andersfarbiger Fluessigkeiten und Festkoerper ausschalten sollte und musste in ekliger Handarbeit regelmaessig gelehrt werden. Das war der Preis dafuer, dass man immer und ueberall on-the-road toilettieren (dieses Wort ist garantiert kein Markenname, sondern eine Eltern-Erfindung) konnte.

Die Ghanaer haben eine unerschoepfliche Kreativitaet im Meistern von Notsituationen und im Falle des mobilen Urinierens kann die ganze Welt von Ghanaischen Buspassagieren lernen. Ich habe Euch frueher schon erzaehlt, dass es ueberall auf den Strassen Trinkwasser zu kaufen gibt, das in kleine Plastiktuetchen eingeschweisst ist. Man beisst die Ecke ab und nuckelt das Wasser direkt aus der Tuete. Wie gewonnen, so zerronnen, moechte man gleiches Wasser eine halbe Stunde spaeter auch gerne wieder loswerden. Falls der Bus nicht anhaelt, ein aeusserst qualvolles Beduerfnis. Die ghanaische Loesung: Plastiktuete aufbewahren: Super Taschentoilette. Die Fluessigkeit wird durchs gleiche abgebissene Loch wieder in die Tuete hinein-uriniert und in hohem Bogen aus dem Fenster geworfen. Meine Informanten berichten, dass diese Technik von Maennern sowie von Frauen gemeistert wird. Respekt.

(Dies ist eine Geschichte mit Moral und Lernpotential, speziell fuer Fahrer von Fahrzeugen ohne Urinschutz: Motorradfahrer und Radfahrer, wenn Ihr Ghana durchfahrt und Euch hinter einem Bus findet: Abstand halten!)

Montag, Juli 24, 2006

Der O! der O! der Ofen!

Vor ein paar Tagen kam ich mittags zum Essen nach Hause und Mary begruesste mich schon mit: „Ich hab den Ofen angestocht“ (natuerlich sagte sie nicht angestocht, schliesslich ist sie nicht ein Vater aus Dueren. Ist anstochen eigentlich was, was Leute in anderen Teilen Deutschlands mit ihren Oefen auch machen? Meine Sueddeutsche Kollegin informierte mich, dass man bei ihr zu Hause nicht mal Aetschbaetsch kennt, statt dessen sagt man Ellabaetsch. Was soll das bitteschoen bedeuten, das ist doch kein Wort!)

Nach dieser Begruessung hab ich alle Sueddeutschen Kolleginnen in der Tuer stehn lassen und bin gleich in meinen Garten gelaufen und da buk er nun, Marys fetter grauer Panzerschrank. Auf der Verandabruestung stapelten sich Bleche mit fertigen Broten und ich war gluecklich. Ueber diesen Ofen reden wir seit Anfang des Jahres, vor meiner Abreise hatte sie sich endlich durchgerungen, ihn zu kaufen und als ich zurueckkam, hatte sie ihn kein einziges Mal benutzt: „Du hattest mir ja nur Geld fuer den Ofen geliehen und nicht fuer die Kohlenpoette“, sagte sie. Was eigentlich hiess: Das Monster hat mich eingeschuechtert, ich wollte erst anfangen, wenn Du wieder da bist. Denn sie hat selbst genug Geld auf der hohen Kante, um die Poette zu kaufen...

Unten im Schrank stehn also zwei quadratische Poette, in denen die Kohlen gluehen, darueber liegen auf vier Etagen acht Backbleche. Natuerlich ist es unten viel heisser als oben, also muessen die Brote waehrend des Backens regelmaessig in ein anderes Stockwerk umziehn. Sie schmecken weiterhin umwerfend. Und erstaunlicher weise ueberhaupt nicht nach Grill. Jetzt kann Mary viel schneller backen als in meiner Kueche und es macht endlich Sinn, nach weiteren Verkaufswegen zu suchen. Bevor sie den Teig ansetzt, zuendet sie die Kohlen an. Waehrend der Teig geht, heizt der Ofen und ist bereit, sobald die Brote gebacken werden wollen.

Die Backbleche hat die Mutter (also meine, nicht Marys) beigesteuert, Mary und Eva sagen mit satten Baeuchen und gluecklichem Grinsen: Danke Mama!

Donnerstag, Juli 20, 2006

You’ve got to move it, babe! (Du musst es bewegen, Saeugling!)

Gestern hab ich endlich einen Besuch am Krankenbett meines Nachtwaechters einbauen koennen. Ich fragte Assistenten Douglas, ob er mich da hinfahren koennte. Er zoegerte und wand sich, bis er schliesslich damit rausrueckte: “Jonny wird von seiner Schwester gepflegt, da er keine Frau oder Kinder hat. Meine Mutter nennt diese Schwester Tante. Wenn ich mitkomme, werden die nicht direkt mit Dir reden, sondern mir immer sagen, was sie alles von Dir wollen. Wenn ich das unverschaemt finde und nicht uebersetze, bleibt’s an mir haengen. Bitte, Eva, ich fahr Dich da hin, aber koennen wir auf dem Weg einen Freund aufgabeln, der Dich in das Haus fuehrt, ich warte dann draussen…?”

So ward’s vollbracht. Als ich in dem Haus ankam, war das Krankenlager (also die schmuddelige Ecke, die man im Innenhof mit Ziegen und Hunden teilt) verlassen und ich traf nur besagte Tante. Der Patient habe gestern von einem Nachbarn gehoert, dass man nach einem Schlaganfall nicht rumliegen soll, sondern sich bewegen und deshalb sei er spazieren gegangen. Ich musste schlucken vor Freude. Ich hatte mir nach allen Beschreibungen einen halbseitig Gelaehmten vorgestellt, der alles doppelt sieht.

Spazieren!

Sie schickten einen jungen Mann los, ihn zu suchen und waehrend dessen gab Tantie mir eine detaillierte Beschreibung der Leiden in Frafra. Douglas Freund uebersetzte. Und ich widerholte, was der Nachbar schon gesagt hatte und was ich in meinem liebsten Gesundheitsbuch gelesen hatte (“Where there is no doctor”): “Bewegen, bewegen, bewegen.”

Wachmann kam zuegig angeschlichen und ich hatte das Gefuehl, dass Tantie ihm zurief: “Schleich langsamer, sonst glaubt sie nicht, dass Du krank bist.” Er liess sich nicht beirren und schuettelte mir mit schiefem Grinsen und schwachem Druck die Hand. Erzaehlte mir die Geschichte auf Englisch noch einmal, zeigte alle Quittungen fuer Rezepte vor, lauschte meinen physiotherapeutischen Hinweisen, bedankte sich fuer die zehntausender, die ich rueberschob und ignorierte gemeinsam mit mir, wie Tantie mir ihr aufgeschlagenes Knie zeigte, um das Mitleid zu erhoehen.

Dann schlug ich vor: Damit Du mehr Bewegung bekommst, kannst Du mich ja noch zur Strasse begleiten. Und sobald wir aufgestanden waren, dachte ich: “Ah! Nein! Da sitzt ja Douglas im Auto und will nicht gesehn werden!” Also machte ich schliesslich auf halber Strecke ein grosses Spektakel um die Verabschiedung und trainierte mit ihm noch ein wenig den festen Haendedruck, bevor ich ihn zurueck ins Haus schickte, und zum Auto ging, wo Douglas unauffaellig hinter dem Steuer versteckt sass.

Sonntag, Juli 16, 2006

Nachtraege: Libanesen und umgekippte Freunde

Da war der Wunsch die Mutter des Gedanken. Meine Mutter hatte meinen Libanesenlob doch tatsaechlich dementsprechend missverstanden, ich haette nen Libanesen in Bolga gefunden. Tatsaechlich, einer meiner Nachbarn ist Libanese und seiner patriotischen Pflicht folgend einer der groessten Bauunternehmer Bolgas. Aber er verkauft keinen Kaese. Wir hingegen verkaufen ihm Brot. Hahaha. Und da Libanesen, so sagt mein Kontaktmann, an geben genauso wie an nehmen glauben, gibt Ghanim Mary immer ein grosszuegiges Trinkgeld. Meine Dankparkeit gegenueber seinem Volk kommt daher, dass es ohne sie keinen Parmesan im ganzen Land gaebe. Der Sohn von Ghanim ist Mischling und hat meinen ganzen Respekt dafuer, dass er jahrelang in einer ostdeutschen Kleinstadt Baustellen geleitet hat.

Was den umgekippten Freund angeht, habe ich hoffentlich die Zeichen missverstanden. Gestern schlug ein gemeinsamer Freund eine weitaus schoenere Erklaerung fuer sein Kollabieren vor: Akute Unterkuehlung. Nebiat war abends in einen grossen Regen geraten und dann mit durchnaesstem duennem T-Shirt noch ne halbe Stunde Motorrad gefahren. Kaelteschock hoert sich doch viel schoener an, als Vergiftung. Obwohl Nebiat andererseits erzaehlte, dass sie ihm in der Kneipe so nen komisch rosa-farbenen Gin serviert hatten…

Samstag, Juli 15, 2006

Libanesen

Hab ich Euch jemals von den Libanesen erzaehlt? Der Freund und Geschaeftspartner von meinem komischen Franzosen ist Libanese und so hab ich ein wenig mehr ueber diese Leute gelernt und nachgedacht. “Im Libanon haben wir keine wichtigen Bodenschaetze oder Industrie. Unser wichtigstes Exportprodukt sind unsere Kinder. Unsere wichtigste internationale Dienstleistung sind unsere Waeschereien: Spezialbereich: Geldwaesche.” Sagt dieser Freund. In vielen Gegenden der Welt (einschliesslich Ghana), gehoert der “Tuerkenladen” einem Libanesen. Mit dem Unterschied, dass dieser Libanesenladen sich in kuerzester Zeit in einen mittleren Supermarkt, in einen grossen Supermarkt in eine Supermarktkette verwandelt. “Wir lieben Geld verdienen, fuerchten uns nicht vor harter Arbeit und egal wohin wir kommen, da ist schon ein Netzwerk von Bruedern, denen wir trauen koennen und die das Geld und die Arbeit so lieben, wie wir.” Und ich liebe die Libanesen, weil sie in ihren Geschaeften alles verkaufen, was jemand kauft, zum Beispiel Kaese. Und Kichererbsen. Und Weizenvollkornmehl fuer Chapatis. Und indische Currypaste.

Freitag, Juli 14, 2006

Meine Freunde erinnern sich noch an mich!

Gestern nacht um elf, ich schlief schon wie ein Elf, klingelte mein Telefon. Ich ignorierte es. Dann klingelte mein Handy und ich dachte: Ok. Wichtig. Aufwachen.

Meine Englische Nachbarin, verzweifelt: “Wir sind im New Life Line, Nebiat (ihr Verlobter) ist ploetzlich sehr krank, kannst Du uns abholen?” Natuerlich garniert mit ganz vielen Entschuldigungen. Klar kein Problem, fuenf Minuten. Vom Tiefschlaf in den Krankentransporter in drei Minuten, eine weitere Faehigkeit, die ich hier gelernt hab. Als ich in der Bar ankomme, ist sie ausser sich vor Sorge und er liegt am Boden, guckt schief aus seinen Augen, kann sich kaum bewegen und ist ganz kalt. Trotzdem bietet er an, dass er das Motorad doch noch nach Hause fahren kann. Vielleicht bin ich schon zu lange hier aber ich denk gleich: Vergiftung. Die beiden sagen, sie wollen nur nach Hause, nicht ins Krankenhaus. Also fahr ich langsam zu ihnen, er liegt auf der Rueckbank und stoehnt.

Heute morgen ruf ich an, um rauszufinden, wie’s geht und sie bedankt sich ueberschwaenglich: Schon als sie zu Hause ankamen, ging’s ihm langsam besser und heute morgen war er zwar noch ein bisschen schwach aber sonst wunderbar. Ich denke immer noch “Vergiftung”, egal ob extra oder aus Versehen. Und, dass er einen aufmerksamen Koerper hat, der das Gift gleich erbricht, statt sich ihm auszusetzen. Wissen werden wir es nicht…

P.s. zu gestern

... dann fiel mir ein, dass ich schon lange nichts mehr gegessen hatte, kochte ich mir ein eigenartiges Gericht mit Linsen, Oliven und Sahne und wusste danach gar nicht mehr, was eigentlich verkehrt war. Mit Besenstiel angestossen, bewegte sich sogar der Ventilator wieder traege im Kreis. Dann begann das Gewitter, das sich einen ganzen Tag lang drueckend angekuendigt hatte und alles war klar und schoen.

Donnerstag, Juli 13, 2006

Rueckkehrer-Kulturschock in der Fremde

Zu meiner Rueckkehr in Bolga ist meine Seele ein Schwergewicht. Ich sitze auf meinem Bolgarischen Sofa, schau mit langsamem Blick mein Handy an und denke darueber nach, wie viele Freunde ich in den letzten anderthalb Jahren in Bolga gefunden und verloren hab. Erschwerend kommt hinzu, dass die, die ich nicht verloren hab, groesstenteils verreist sind, so dass ich mir seufzend vorstellen kann, die sei ich auch los. Nur um in dem schwermuetigen Gefuehl zu baden, wenn mich die Erkenntnis beschleicht, dass die beiden Ghanaer, die mir in Bolga am naechsten stehen, dafuer bezahlt werden, denn das sind Mary und mein Assistent Douglas.

Langsam setzt in meinem Wohnzimmer die Dunkelheit ein, denn leider ist das Licht hier kaputt. Dafuer tut’s in meinem Schlafzimmer der Ventilator nicht mehr. Und am Wassertank das Ueberlaufventil. Und mein Nachtwaechter hatte anscheinend einen Schlaganfall (oder was?) und sitzt jetzt zu Hause und sieht alles doppelt. Aber da, wo Mary manchmal Spuelreste hinschuettet, haben sich Tomatenpflanzen eingenistet. Und im Wohnzimmer steht mein Familienfotoalbum so komisch, dass ich weiss: Mary hat hier allein vor sich hin gesessen und uns mit Sehnsucht angeschaut. Morgen faengt Bolga wieder an und jetzt leg ich mich mit einem der 20 Buecher, die ich mitgebracht hab, in den Flur, den einzigen Raum mit Licht und Wind.

Leben in Afrika hinterlaesst Spuren auf der Seele

Kennt Ihr das, habt Ihr manchmal Traueme, in denen die Geschichte gar nicht zum Traumgefuehl passt? In meinen grauenhaftesten Albtraeumen finde ich keine zwei zusammenpassenden Socken oder bleibe beim Anziehn im T-Shirt stecken, die Arme ueber den Kopf gestreckt und die Luft knapp. Mit freunlichem aesthetischem Interesse hingegen betrachte ich in anderen Traeumen Axtmorde oder Berge von blutenden Beinen und Armen.

Heute morgen war ich im wirklichen Leben in so einem Kettensaegenmassaker mit Wohlfuehlmusik.

Ich hatte gestern abend meinen Koffer nicht gepackt, meinen Computer im Buero vergessen, das Flugticket nicht gekauft. Mein Flug nach Tamale ging um 9:30, ich hatte meinen Wecker auf 6 gestellt, nach dem ersten Klingeln eine ueberschuessige halbe Stunde mit der Fuenfminutentaste gekillt, um sieben stand ich gepackt und geduscht (aber ungefruehstueckt) an der Rezeption. Kein Bargeld in der Tasche, im Hotel kann man nur Nachmittags mit Kreditkarte bezahlen (?), der Hotelmann ruft fuer mich die Fluglinie an, einchecken zwischen 7:30 und 8:30. Ich liebe Innenstadtflughaefen! Also mit dem Taxi an der Bank vorbei, dreimal die Hoechstsumme von 73 Euros abheben, dann streikt die Karte zu meiner eigenen Sicherheit. Dankeschoen. Am Flughafen sagen die Buerodamen: “Sie sind zu spaet, kaufen Sie das Ticket beim Einchecken.” Zurueck zum Hotel, das Zimmer ist viel teurer als erwartet. Aber auch fuer das billigere haette ich (wegen der eigenen Sicherheit, s.o.) nicht genug Bargeld dabei. Hin und her, bis die Hotelfrau ploetzlich den Morgen zum halben Nachmittag machen kann, die Haelfte der Summe zahl ich mit Karte, die andere bar. Inzwischen war halb acht vorbei, neues Taxi, zum Buero, der Wachmann schliesst auf und ich hole meinen Computer. Als ich wieder rauskomm ist das Taxi mit meinem ganzen Gepaeck verschwunden.

Ach nee, doch nicht, hat nur gewendet und steht nun da hinten. Um acht am Flughafen steht an meinem Schalter Kumasi statt Tamale (sie hatten vergessen das Schild auszuwechseln), und ich hatte doppelt so viel Gepaeck wie erlaubt (die Frau lacht nur und sagt: Macht nix.” Soll ich ihr einen Heiratsantrag machen?).

Aber das einzige, was mich an diesem Morgen wirklich beunruhigt: Ich fuehl’s nicht. Wie die launische Forelle schwimm ich munter mit dem Strom der Ereignisse. Ich weiss, ich kriege den Flug oder nicht aber das stresst mich nicht, weil entweder krieg ich ihn oder nicht punktum. Jetzt sitze ich im tiefgekuehlten Flughafen, flirte mit den kleinen Kindern meiner Mitreisenden und frage mich, ob das nun gut oder schlecht ist, und ob ich vielleicht doch Drogen genommen hab, ohne es zu merken.

(P.S.: Flug bekommen, abgeholt worden, nach Bolga gefahren)

Mittwoch, Juli 12, 2006

Heimat oh Heimat mit Hirsch (Preisfrage: Wo?)

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Madam Sneifer bitte

Meine rheinische Praegung (oder sind die Gene schuld?) bringt mich immer wieder in Gefahr, rettet mich zum Ausgleich aber ebensohaeufig aus selbiger. In der Flughafenpasskontrollenschlange in Accra zwang mich meine rheinische Frohnatur, meinem armen Nebenmann ein Gespraech aufzudraengen. Und da ich so schlau reden kann (oder weil mein neues T-Shirt kaum Fragen offen laesst?), erhielt ich gleich am naechsten Tag einen Anruf von diesem Franzosen, ob ich vielleicht an einem interessanten Workshop zu blablabla Aids, internationaler Korridor, Krankenhausmuell, Ratifizierung Abkommen bla teilnehmen wollte und da all diese wichtigen Leute kennen lernen.

Aeh. Ja. Warum nicht?!

Ich wette, der durchschnittliche Norddeutsche haette gefragt: Warum? Waerend man im Rheinland immer noch glaubt “gucken koss nix”. Also schleich ich mich leicht verspaetet in den Tagungsraum, der voll ist mit Honoratioren und Experten aus aller schwarzer Herren Laender. Einer der Organisatoren fragt mich nach Namen und Organisation und das Programm beginnt.

Begruessungsansprachen von Minister So-und-so und Wichtigmensch Der-und-der. Dann schaut die Frau, die durchs Programm fuehrt, mich an und sagt: “And now I would like to ask Dr. Sneifer of IFPRI to give us a welcoming address.” (Nun moechte ich Dr. Sneifer von IFPRI bitten, eine Begruessungsansprache zu halten).

Diese Frau kann stolz auf sich sein, denn sie hat etwas ganz Seltenes geschafft: Ich war einen Moment lang komplett sprachlos und mir fiel absolut kein Bloedsinn ein, den ich schlau daherreden konnte (und in so einer Situation hilft auch das schoenste T-Shirt nicht weiter, ausserdem trug ich ein sehr serioeses Hemd). Aber da kein Triumpf grenzenlos sein kann, hatte ich mich nach einer Sekunde Schweigen und zwei Sekunden Stottern genug gefangen, um mit Salbadern zu beginnen: Wie wunderbar, dass sich diese hochrangigen Experten ueber die Sprachgrenzen hinweg zusammengefunden haben, da ja auch AIDS keine Grenzen kennt, blablabla…

Danach bin ich hellwach und werfe dem Franzosen auf dem Podium wuetend fragende Blicke zu, die er mit entschuldigendem Schultern-, Augenbrauen und Nasenzucken beantwortet. Einer der afrikanischen Organisatoren meint spaeter, dass es fuer die Teilnehmer immer so motivierend sei, zu sehn, dass sich Leute aus aller Welt fuer ihre Arbeit interessieren und sie unterstuetzen. Ausserdem seien spontane Beitraege wie meiner immer so erfrischend. Das hoert sich irgendwie so an, wie wenn wir frueher blau gefaerbte Pfannkuchen gemacht haben und meine Mutter das “interessant” fand.

Im Muensterland gibt e seine Klinik, die sich auf Angsttherapie spezialisiert. Um seinen Aengsten ins Gesicht zu sehn, muss man sich unter therapeutischer Aufsicht dem Schrecken aussetzen, Spinnen umarmen, Schwiegermuetter zungenkuessen oder was auch immer es ist, das einen in Angst versetzt. Vielleicht sollte ich denen therapeutische Austauschreisen zu afrikanischen Konferenzen anbieten, fuer Leute, die sich fuerchten, oeffentlich zu sprechen…

Donnerstag, Juli 06, 2006

Am Rhein! So Schoen!

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Durchgehend geoeffnet

Seit ich diesen Blog angefangen habe, hab ich regelmaessig das Gefuehl gehabt: Jetzt kenn ich, kennt Ihr alles, jetzt gibts nichts Neues mehr zu schreiben, ich mach den Laden zu. Gleich danach ueberschlugen sich meist die Ereignisse, weil das Leben jeden Tag neu ist und die Fremde aus mehr Details besteht, als ich je beschreiben koennte.

Als ich fuer diese Reise nun in Accra Zwischenstation machte, zeigte mir ein Freund, wie die Stadt unter den verschiedenen Voelkern aufgeteilt ist: Man kann in dieser Stadt kulturell durchs ganze Land reisen, hier wohnen die aus dem Norden, da fuehlen sich die Ewe zu Hause und dort gibts nur besonders Reiche (schwarz-weiss gemischt) . Ich sass im Auto und dachte: “Schade eigentlich, dass ich Accra so gar nicht kenne”. Ich bin immer auf der Durchreise und da treff ich vor allem meine Kollegen, die durch Ueberarbeitung oder Desinteresse abgeschirmt in ihrer eigenen Realitaet leben.

Am naechsten Tag erfuhr ich, dass sich das nun aendern wird (nicht die Ignoranz der Kollegen aber meine eigene). In Bolga sind die Bedingungen fuer das Auswerten von Daten und Schreiben wissenschaftlicher Artikel hart, es gibt zu viel Hitze, Stromausfaelle, Computerpannen und zu wenig intelektuellen Austausch, Internetgeschwindigkeit usw. Deshalb ist der Plan nun, dass ich mein Haus in Bolga behalte (das ist ohnehin schon bezahlt), aber eine Wohnung in Accra dazumiete, wo ich in dem verbleibenden Jahr mehr Zeit verbringen werde, um schlau zu schreiben. Fuer Euch als Leser (und natuerlich auch fuer mich) bedeutet das, dass wir nun eine afrikanische Grossstadt von innen kennen lernen werden und dass ich Euch an den Wochenenden in den Regenwald, ans Meer, zu den Gedenkorten der Sklaverei mitnehmen werde. Und an ganz viele andere Stellen, von denen ich selbst noch nichts weiss.

Das heist: Der Laden wird nicht zugemacht, der Verkauf geht waehrend des Umbaus auf eingeschraenkter Verkaufsflaeche weiter und die naechste grosse Promotion Aktion des blog Ladens heist “Backe backe Kuchen – rosa Herzen fuer 120 Gaeste”.

Heimat 2000

Ich habe im Jahr nicht viel mehr als einen Monat Deutschland, verteilt auf zwei Heimaturlaube und da pack ich alles rein, was sich in der Ferne in meinem Herzen staut. Nicht nur in meinem Herzen. Ich gebe Geld in Buchhandlungen und Klamottenlaeden und Restaurants aus, so als haette ich ein Druckluftportmonaie, denn es muss ja nun wieder fuer ein halbes Jahr reichen. An der Uni in Hohenheim setz ich mich zwischen hochgebildete Kulturinteressierte und trinke deren schlaues Gerede wie Schnaps, schaue Fussballspiele inmitten klatschender Massen, die “Tschland!” skandieren und nach Berlin fahren wollen, vergiesse Traenen bei Toren (als ob mich Fussball interessierte) und habe Gaensehaut, wenn alle im Park die Nationalhymne mitsingen. Im Moment denk ich “Warum ist es am Rhein so schoen” und weiss nicht, was soll es bedeuten. Fahre die wunderbare Rheinstrecke der Deutschen Bahn im Sonnenschein nach Hause, gruesse summend die Lorelei und ueberlege, ob ich mich vielleicht bei einem Fremdenverkehrsamt als Tschlandschwaermerin bewerben soll.

Wo hab ich das nur gelesen, dass zu Hause da ist, wo Du immer hinkommen kannst und sie muessen Dich rein lassen…?

Samstag, Juli 01, 2006

Eva in Ghana

Als ich zu Hause ankam, zeigte mir meiner Mutter einen Brief: Der sieht so komisch international aus, der kam vor Wochen hier an. Adressiert an eine Eva Schiffer aus Drieren (statt Dueren). Ich riss ihn auf und fand folgenden Brief:

“Dear Eva Schiffer
I am very contented to document you this letter. By the way how is your journey back to Germany? I hope you are fine and kicking in conjunction with your family.

My purpose of writing you this letter is that I want you to kindly buy me a camera so that I can use it to do my environmental studies and observations. My zest to have a camera sterms from the fact that I am doing environmental studies which needs some pictures to be taken about the natural environment and there is the case that I cannot afford the cost.

In addition, I am a christian and I need a Bible to be resiting. Try to buy the bible in conjunction with the camera for me.

I will exhaust my letter here and subtend my greetings to all known faces in Germany.
Thank you very much, good bye.
Your friend
Amandi M. Rafiq
Bawku, Ghana

Liebe Eva Schiffer
Ich bin sehr zufrieden, Dir diesen Brief zu dokumentieren. Nebenbei, wie ist Deine Reise zurueck nach Deutschland? Ich hoffe, Du bist gesund und munter in der Vereinigung mit Deiner Familie.

Mein Grund, diesen Brief zu schreiben ist, dass ich will, dass Du mir freundlicherweise eine Kamera kaufst, so dass ich sie fuer meine Umweltstudien und Beobachtungen nutzen kann. Mein Begehren, eine Kamera zu haben gruendet sich in der Tatsache, dass ich Umweltstudien betreibe und dabei muessen Bilder gemacht warden ueber die natuerliche Umwelt und da ist der Fall, dass ich mir die Kosten nicht leisten kann.

Ausserdem, ich bin Christ und brauche eine Bibel um zu wiederholungspruefen (Hae?). Versuche die Bibel fuer mich in Zusammenhang mit der Kamera zu kaufen. Ich werde meinen Brief hier erschoepfen und entsende meine Gruesse an alle bekannten Gesichter in Deutschland.
Vielen Dank auf Wiedersehn,
Dein Freund
Amandi M. Rafiq
Bawku, Ghana"

Eine kleine Information zur Vervollstaendigung des Eindrucks: Ich kenne diesen Menschen nicht. Habe mich aber des Leichtsinnes schuldig gemacht, meine Adresse freigiebig zu verteilen.