03.04.05
Manche kulturelle Eigenheiten sind so alltaeglich, dass man sie gar nicht mehr als kulturell wahrnimmt, sondern irgendwie denkt: Das ist doch normal, das machen doch alle so. Zum Beispiel unser Umgang mit Toten, Beerdigungen: Das sind bei uns eher seltene Ereignisse (ich war in meinem ganzen Leben bei drei eigenen Grosseltern und einer fremden plus zwei Freunden), man macht ein trauriges Gesicht und meint das meist auch so, die ganze Veranstaltung ist eher still, hoechstens beim Beerdigungskaffee macht sich die angespannte Stimmung in dem ein oder anderen verschaemten Scherz Luft. Und obwohl mir theoretisch natuerlich klar ist, dass es tausend verschiedene Beerdigungsriten gibt, hatte ich irgendwo in mir drin doch die Grundannnahme, dass die Stimmung bei allen Menschen aehnlich waere.
Ich hab hier Beerdigungen bislang nur von aussen gesehn, deshalb kann ich natuerlich nur oberflaechlich darueber reden. Was sofort auffaellt: Beerdigen ist DIE Freizeitaktivitaet, macht man praktisch jeden Samstag. Das haengt wohl damit zusammen, dass in diesen verzweigten Familiensystemen jeder jedermanns Onkel ist und natuerlich gehst Du zu der Beerdigung Deines Onkels. Aber vielleicht liegt es auch am Freizeitwert der Beerdigungen, mit denen die Hinterbliebenen oft an einem Tag das Erbe durchbringen. Ein Zelt und Stuehle werden gemietet, kistenweise Softdrinks, lecker Essen und eine starke Stereoanlage. Alle kleiden sich schick in schwarzen, dunkelroten oder schwarz-weissen / blau-weissen Trauerstoffen. Sie heften sich ein Foto des Verstorbenen an. Manchmal gibt es auch T-Shirts mit Foto und „in memoriam“ aufgedruckt. Alles fertig? Alle angereist? Mach die Musik an! Ich hab keine Ahnung, was mit der Leiche passiert, dann wie gesagt, ich bin bislang nur an „Trauerhaeusern“ vorbeigegangen. Aber was man da sieht und hoert erinnert vielmehr an eine Hochzeit als ein Begraebnis. Laute Popmusik, die Kinder tanzen, alle stehn rum, trinken Cola, quatschen und amuesieren sich. Gestern haben mein Assistent und seine Schwester mich besucht, weil sie nebenan auf einer Beerdigung waren und er seiner Schwester die neue Chefin (also mich) zeigen wollte. Als sie sagten, sie seien auf der Beerdigung ihres Onkels, war meine spontane Reaktion, ihnen Beileid auszusprechen. Aber gleichzeitig fuehlte sich das von der Stimmung her so unangemessen an. Ich werde erforschen, was da die angemessene Reaktion ist.
Spaeter am Tag wollte ich zum Kiosk gehn, Streichhoelzer kaufen (die mir die Kioskfrau schliesslich schenkte: Sista Iwa, I want to be your friend! Ich will Dein Freund sein). Da war auf meiner Strasse grosses Geschrei. Eine Gruppe von vielleicht 15 Maennern lief auf und ab und stiess schrille und kraechzende Schreie aus, spielte schiefe durchdringende Toene auf Floeten und... naja, alle sahen arg afrikanisch aus, so „wir haben uns fuer Touristen verkleidet“-afrikanisch. Bis darauf, dass ich hier in einer touristenarmen Region in einem touristenlosen Wohnviertel bin und die einfach fuer sich selbst afrikanisch waren. Was ja ihr gutes Recht ist, wenn man bedenkt, dass sie Afrikaner sind. Lendenschurz, Tierfell ueber die Schulter gehaengt, undefinierbare Sachen am Guertel baumelnd, Pfeil und Bogen drohend durch die Luft schwenkend und irrsinnig laut. Ich fragte meine Nachbarin, was das sei. Oh, Beerdigung. Sind das die aus dem grossen gruenen Haus am Busbahnhof? Oh nein, das sind Christen (die mit Cola und Pop), die hier glauben an traditionelle afrikanische Religion, die kommen da hinten aus dem traditionellen (also Lehm-)Haus. Ich glaube meinen Nachbarn war das vor mir ein bisschen peinlich, die bemuehen sich ja sehr, mir ihr modernes Leben zu zeigen und ausserdem ihre jeweilige (christliche) Religionszugehoerigkeit demonstrativ zu zeigen. Also hab ich das Spektakel nur aus den Augenwinkeln betrachtet und bin zum Streichholzstand gegangen.
Aber ich muss sagen, wenn ich die Wahl haette zwischen Softdrinkpop und Geschrei, erscheint mir letzteres doch angemessener, um den Tod eines Liebsten zu begehen...
P.s.: Eben hab ich Kollegin M. gefragt, was das mit dem Beerdigen auf sich hat. Ihre erste Antwort war etwas verwirrend: „Also die meisten Beerdigungen feiern die ja in der Trockenzeit.“ „Hae? Sterben da die meisten, weil sie alle vertrocknen?“ „Ne, weil, da haben die ja am meisten Zeit...“
Das ist folgendermassen: Wenn jemand stirbt, muss der sofort unter die Erde gebracht werden, weil es ja viel zu heiss ist, um den noch lange anzuschaun. Das ist die Veranstaltung wo erwachsene Maenner in Traenen aufgeloest im Hof sitzen und von den Gaesten erwartet wird, dass sie Schnaps mitbringen, damit man das Elend ertragen kann. Dann wird entweder ein altes Grab geoeffnet oder unter unmenschlicher Anstrengung ein neues gehackt, ein kleines Loch von etwa Hueftumfang, das in eine unterirdische Hoehle muendet. Der Tote wird in eine Sisalmatte eingewickelt und auf den Schultern starker Maenner zum Grab getragen und beerdigt. Das ist nicht die Samstagsveranstaltung in der Trockenzeit. Die kommt spaeter. Da muss erstmal alles auf den Feldern getan sein. Dann muss die Familie Geld leihen und Stuehle und s.o.. Wenn nun der Todesfall etwa ein Jahr vorbei ist, gibt es Pop und Cola. Falls es eine Witwe gibt, ist ihre Trauerzeit nun vorbei und sie ist die begehrteste Frau der Veranstaltung denn sie darf wieder geheiratet werden.
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