Freitag, April 29, 2005

Abflug (2x)

Gestern kam endlich der Anruf des Autohaendlers: Das Geld aus Uebersee ist angekommen, Du kannst die Karre abholen! Juhuuu!

Also hab ich mich mit meinem Assistenten hingesetzt, wir haben einen militaerischen Masterplan gemacht, wen und was wir heute alles ueberfallen und besiegen muessen, damit wir morgen fruehfrueh gen Bolga aufbrechen koennen. Nun ist er unterwegs und organisiert Bullenfaenger und ordentliche Reifen fuer das Auto und ich hab meine Bank ausgeraubt, damit er genug Kleingeld hat. Des weiteren muss ich noch etwa eine Million Papierkraemer erledigen, dann wird gepackt, geschlafen und Yokohama.

Ich weiss aber leider genau, warum ich keine Offizoese beim Militaer geworden bin. Nicht nur weil entweder Staatsangehoerigkeit oder koerperliche Ausstattung (Dellen an den falschen Stellen) dagegen gesprochen haetten. Ich bin vielleicht klein und gemein genug, um in einem Guerillakrieg gute Chancen zu haben, weil ich hinter dem noch so kleinsten Busch gut versteckt bin. Aber strikt geplante Grossaktionen haben (freundlich ausgedrueckt), eine signifikant hoehere Chance auf Erfolg, seit ich meinen hervorragenden Assistenten angestellt habe.

Und so bin ich einerseits nervoes, andererseits vertrau ich voll darauf, dass wir das gemeinsam wohl hinkriegen. Und ich bin voller Sehnsucht nach meinem geliebten Haus in meinem geliebten Bolga.

Warum Abflug 2x? Weil die Eltern vermutlich inzwischen ebenso nervoes sind. Und voller Sehnsucht? Aber sicherlich nicht nach Bolga. Donnerstag landen sie in Accra. Nochmal Juhuuu.

Dienstag, April 26, 2005

Essen 12: Schleim

Zum Mittagessen bin ich mit meinem Assistenten in die Kantine gegangen und er bestellte Banku with Okro Soup. Banku ist ein fester Maismehlklops. Halbwegs harmlos aussehend, wenn schon nicht einladend. Davon reisst man mit der rechten Hand ein Stueckchen ab, knetet es in den Fingern zurecht und taucht es in Okraschleim. Eine gruenbraune Bruehe mit Stueckchen bedeckt den Boden einer Suppenschuessel, drei graue Fleischbrocken ragen aus der Fluessigkeit. Man taucht also rein, loeffelt ein wenig mehr in die kleine Kuhle, die man sich zurechtgeknetet hat, dann beugt man sich ueber die Schuessel und steckt sich den Faeden ziehenden Klumpen in den Mund. Ich hab mich bemueht, wegzuschaun, weil ich ja gleichzeitig mein eigenes Essen - dem ich auch nicht recht traute - runterkriegen musste. Aber jedes Mal wenn ich guckte, sah ich mehrere stabile Faeden, die Klumpen und Suppe verbanden, bis der Klumpen im Mund verschwand.

Montag, April 25, 2005

Und ploetzlich arbeitet man am Wochenende

Ihr wisst noch, wie langsam ich war, als ich aus Namibia zurueckkam und wie ich davon geschwaermt hab, dass meine Namibier mir eine andere Sicht auf Arbeit vermitteln konnten, dass ich mir unsere mitteleuropaeische Arbeitssucht kritisch angucken und auf Distanz gehen konnte. Mein alter Boss warnte mich, dass dies eine der langsamsten Ecken Afrikas sei. Ok, er meinte Burkina Faso aber schliesslich lebe ich nur 30 Minuten davon entfernt...

Pustekuchen. Im Ghanaischen Schulsystem, so erklaert mir mein Assistent, gehoert der Ruhm dem Fleissigen, fuer Dein Abschlussexamen musst Du alles auswendig wissen, was Du in den letzten Jahren gelernt hast, Du musst pauken pauken pauken. Er sagt: Nicht viele Leute hier sind an Bildung interessiert, aber die kennen einander alle. Also die, die es zur Uni schaffen. Sicher ist das uebertrieben, im afrikanischen Vergleich hat Ghana verdammt viele Unis (vier staatliche und weitere nicht-staatliche), aber es stimmt schon, eine kleine Fleiss-Elite schafft es zur Uni. Und meine Kollegen hier in Accra sind die, die es nicht nur zur Uni geschafft haben, sondern dann auch noch promoviert und schliesslich bei einem internationalen Forschungsinstitut angestellt wurden. Wenn man da Samstags ins Buero geht, ist man nicht allein, zwei Tage die Woche frei machen scheint den meisten Mitarbeitern da reinste Zeitverschwendung. Die schreiben Papers als hinge ihr Leben davon ab – tut es ja auch...

Irgendwann letzte Woche hab ich unter dem grossen Baum vorm Buero im Schatten gesessen, allein eine Kaffeepause gemacht – weil alle dafuer viel zu beschaeftigt sind und waehrend ich mir die Sonne durch die Blaetter ansah innerlich geseufzt: Ich muss mehr faule Leute kennenlernen. So gerne wuerde ich am Wochenende etwas schoenes, touristisches unternehmen. Aber allein ist das oede und die Leute, die ich von der Arbeit kenne, haben fuer sowas keine Zeit.

Ich bin gespannt, ob die von Euch, die in Entwicklungslaendern waren, das nachvollziehen koennen: Die Leute die es aus eigenem Fleiss schaffen, kaempfen so viel haerter und entschlossener um ihren Erfolg, der Abstand zwischen ihnen und den anderen ist so viel groesser als bei uns und deshalb koennen sie viel tiefer fallen – was sie staendig nervoes macht.

Und ploetzlich arbeitet man am Sonntag. Denn das ist immer noch spannender und fuehlt sich dabei auch noch sinnvoller an, als den ganzen Tag allein im Hotel abhaengen und nicht zu arbeiten, also die Zeit weder produktiv noch zum Spass zu nutzen. Wo ich letzte Woche noch mit einem schweizer Praktikanten darueber gelaestert hab, dass die Europaer hier alle entweder arbeits- oder alkoholabhaengig oder beides sind. Ich habe, seit ich Ghana bin, schon etwa 9 Gin and Tonic getrunken. Und, in britischer Tradition, Malariaprophylaxe als Vorwand benutzt... Bin ich gefaehrdet?.

Donnerstag, April 21, 2005


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Verbuschung (nur bei mir)

Heute morgen im Fruehstuecksraum wurde meine Sehnsucht nach Bolga so uebermaechtig, dass ich mich beherrschen musste, nicht laut zu lachen. Das waere aber ernsthaftes Danebenbenehmen gewesen, weshalb wiederum meine Sehnsucht stieg.

Ich weiss ja nicht, wie ihr Euch den typischen weissen Mann, der in Afrika arbeitet, vorstellt, aber ich muss sagen, Namibia hat mich in die Irre gefuehrt. Da gab es relativ viele Exemplare des kernigen Kerls (den man nur mit Adjektiven beschreiben kann, die in den spaeten 60er Jahren in Deutschland ausgestorben sind...), der sich mit Blechtasse und Schweitzer Messer durch die Wildnis schlaegt, braungebrannt und zaeh wie eine Schuhsohle, hochattraktiv aber mit leicht (oder schwer) destruktivem Touch, Individualismus-Extremist, der einsame Cowboy...

Der Fruehstuecksraum im Hotel war voll mit Fotokopien eines anderen Prototyps: Ergraut, bleich, bauchig in Tuchhose und hellrosa Hemd, Aktentasche, beigefarbene Socken in unbeschreiblichen Schuhen, auch ein Typ, der - waere dies die beste aller Welten - in den 60ern ausgestorben waere... Ich vermute mal, das sind alles unglaublich wichtige Herren, Entscheidungstraeger, die fuer eine Woche eingeflogen werden um irgendwelche Entscheidungen zu tragen, Konferenzen zu besuchen, Politik zu machen.

Ich bin kein Kontaktfeind und bin ja auch bereit, Fliegen zu fressen und mit diesen Kerlen einfach deshalb ins Gespraech zu kommen, weil immer allein essen ja noch langweiliger ist (vermutlich, wer weiss...).

Es ist lustig, morgens die Erste zu sein. Ich setze mich an einen Tisch, an dem ich den Ueberblick hab und den nach mir Kommenden Guten Morgen zunicken kann. Dann kommt der erste, nickt nix und setzt sich an den Tisch, der am weitesten von mir entfernt ist. Der naechste hat es schon schwerer, muss schliesslich zwei nicht gruessen und einen Tisch finden, der von beiden am weitesten weg ist. Und so weiter. Dann fruehstuecken wir schweigend und luftgekuehlt.

Mittwoch, April 20, 2005


Hinten links: Langer duenner haesslicher Baum Posted by Hello

Haus und Garten

Kollegin M. schreibt, dass es in Bolga geregnet hat und wunderschoen ist. Und nach einer knappen Woche in einem Hotel, wo es alles gibt, hab ich ernsthaft Sehnsucht nach zu Hause. Diese Sehnsucht teilt sich auf in Sehnsucht nach den Strassen Koelns und nach meinem Haus in Bolga.

Im Moment geh ich wieder jeden Tag in das Buero unserer Partnerorganisation in Accra und nutze, was es hier gibt und im Norden nicht, z.B. ordentlichen Internetanschluss. Durchsuche das Netz zum Thema Rapid Rural Appraisal, weil das mein naechster Job ist: Mit den Bewohnern von 16 Doerfern in meiner Region rausfinden, was ihre Beduerfnisse, Wuensche und Stolpersteine sind. Im Allgemeinen und dann natuerlich in Bezug auf Wasser.

Ich hab beim Autohaendler einen Vertrag unterschrieben und warte nun, dass das Geld ankommt und ich losfahren kann. Oh, und ich werde Klima-Anlagen kaufen. Und Buecher. Und Kaese. Und Saatgut fuer Gemuesebeete in meinem Garten. Und alle Gewuerze, die Libanesen moegen (alle Supermaerkte sind libanesisch).

Wenn ich zurueckkomme, muss ich einen Wassertank besorgen und mir von einem Schweisser ein meterhohes Stahlgeruest bauen lassen, da kommt der Tank drauf, damit das Wasser Druck bekommt um aus dem Hahn zu fliessen. Als Nancy da war, hatten wir Tagelang kein Wasser (oder es floss nur, wenn wir grad unterwegs waren). Der Wassertank fuellt sich, sobald Wasser in der Leitung ist, dann kann man das abends nutzen, wenn wieder Wassersperre ist.

Und ich werde mich nach einem Gaertner umsehn. Bevor ich fuhr, klopfte es an mein Tor und davor stand der Mann mit dem seltsamsten Ohr, dass ich je gesehen hab, als haette es jemand mit scharfer Schere in Form geschnitten, spitz wie ein Elfen-Ohr. Er erzaehlte mir, er sei hier Gaertner gewesen und habe diesen haesslichen langen duennen Baum gepflanzt, ob er die Samen ernten koenne, die seien gut gegen Krebs und alles andere. Ok, bitteschoen. Ich dachte, er wuerde nur aufsammeln, was auf dem Boden liegt, aber er hat den Baum umklammert und ist barfuss an den Zweigen haengend hochgeklettert. Ernten eben. Nachdem er wieder unten war, hat er mir ausfuehrlich erklaert, was in meinem Garten waechst, jedes Unkraut (meine Sicht) hat eine Bedeutung, das heisst: kann gegessen werden. Wie man das zubereitet? Keine Ahnung, sagt er, bin doch keine Lady. Dann hat er in diesem staubigen leeren Hof das Bild des Gartens entstehen lassen, den er daraus machen koennte: die Plantains auseinanderpflanzen, rankende Blumen gegen Moskitos vor das Badezimmerfenster, Zitronengras um den Mangobaum, Moehren neben das Haus...

Ich hab gesagt: Hoert sich interessant an, ich denk drueber nach, komm in zwei Wochen wieder, da hab ich mehr Zeit... Schliesslich fanden wir heraus, dass wir in Bolga eine gemeinsame Bekannte haben, eine Kanadierin, die schon zwei Jahre hier ist. Er sagt: "I know her, she doesn't like when I drink" (Ich kenn sie, sie mags nicht, wenn ich trinke)

Als ich sie spaeter besuchte, um mehr zu erfahren, hat sie gelacht. Und mich gewarnt: Super Gaertner. Und hoffnungloser Trinker. Lass die Finger davon. Der kommt betrunken an und bettelt um Geld.

Ihre Freundin erzaehlte: Mich hatte er nur zweimal zufaellig gesehn da kam er eines Tages zu meinem Haus um mir fuer Geld irgendwelche Pflanzen anzudrehn. Ich hab ihm schliesslich genervt was gegeben und das Zeug irgendwo ins Regal gelegt. Spaeter hab ich gesehn: Das war alles Plastik!

Die Kanadierin hat mir ihren Garten gezeigt und von ihrem Gaertner erzaehlt, ordentlich, unkreativ, verlaesslich. Tags arbeitet er fuers Landwirtschaftsministerium, nachts ist er Wachmann und morgens und abends giesst er ihre quadratischen schmucklosen Gemuesebeete.

Dienstag, April 19, 2005

Fantasiesaerge

In Bolga im Hotel hab ich eines Morgens einen Ethnologen kennengelernt, grauer Bart, Khaki-Shorts, Schnuerstiefel, alte Schule. Der erzaehlte mir ganz erfreut von dem Wieder-Erstarken der traditionellen Autoritaeten in Ghana. Fuer ihn ist das super, da er ja am liebsten moeglichst unveraenderte richtig afrikanische Sachen erforschen will. Natuerlich hat er das schlauer ausgedrueckt.

Aber als wir uns hier in Accra die Fantasiesaerge angeguckt haben, musste ich an ihn denken. Und mich dabei an meine eigene Nase fassen. Denn irgendwie hab ich das auch im Kopf, dass vor allem die alten Sachen echt afrikanisch sind und alle neuen Entwicklungen, selbst wenn sie original von hier sind und es sie nur hier gibt... irgendwie weniger afrikanisch sind.

Man weiss nicht recht, wie das anfing, aber vor nicht allzulanger Zeit begann ein Schreiner in Accra, Saerge herzustellen, die auf die ein oder andere Art das Leben ihrer Bewohner wiederspiegeln. Bunte Saerge in der Form wilder Tiere fuer besonders starke Maenner, Flugzeuge, Voegel, Krabben, Oelfaesser, Autos, Nokia Handys aus bunt bemaltem Holz. Inzwischen bauen drei Werkstaetten Fantasiesaerge, sie waren im National Geographic und es gibt zwei Bildbaende darueber...

Wenn ich mein Fotokabel wieder hab, werde ich Euch ein paar Bilder zeigen.

Montag, April 18, 2005


Jessy zeigt uns alle Baobabs in Bolga Posted by Hello

Essen Posted by Hello

Auf dem Markt in Accra Posted by Hello

Reiseplaene

Meine Chefin hat mich fuer 10 Tage in Bolga besucht und wir haben die Zeit intensiv genutzt. Aufs Dorf fahren zum Forschen und mit zwei heisslaufenden Computern ganz viel denken. Aber auch und besonders wichtig: Tausend organisatorische Details regeln. Nachdem wir meine naechsten 6 Monate bis obenhin mit Arbeitsplaenen vollgepackt haben, haben wir einen ersten unverbindlichen Urlaubsplan gemacht: Zwei Wochen Heimaturlaub in August. Die Reise wird mit einem Arbeitstreffen in Rom verbunden. Und zwei Wochen um Weihnachten. Die fuenfte Woche spare ich mir fuer Euch auf, wenn Ihr mich in Ghana besucht.

Freitag, April 15, 2005


die haben so komische Rueckenknubbel Posted by Hello

Donnerstag, April 14, 2005

Massenhaft alte Sachen

Wie ihr seht bin ich zurueck in Accra und Internetcountry. Es gibt ein paar Fotos und ich hab die meisten blogs ins Netz gestellt, die ich in den letzten Wochen geschrieben hab. Ihr muesst ein wenig zurueckblaettern, da ich sie zurueckdatiert hab. Also im Archiv nach Maerz gucken.

Aufgrund mehrfacher Nachfrage nochmal was zum Thema Kommentare: Wenn Ihr comments anklickt, bekommt ihr ein Formular, bei dem ihr Euren eigenen Blog anmelden koennt. Wenn Ihr das aber nicht wollt (und warum solltet Ihr, nur um einen Kommentar zu schreiben), sehr Ihr ganz unten eine kleine Schaltflaeche, die ihr anklicken koennt, wenn Ihr anonym kommentieren wollt.

the white lady with the local hat (die Weisse mit dem Bolgahut) Posted by Hello

anderleuts Haus Posted by Hello

leeres Haus... Posted by Hello

Vorderhaus Posted by Hello

Montag, April 11, 2005

Brueste

sind so nebensaechliche Koerperteile wie Ellenbogen. Es hat hier so offensichtlich keine Bedeutung und verursacht weder Verwunderung noch Erregung noch irgendeine andere Form der Aufmerksamkeit, wenn Frauen in der Oeffentlichkeit ihre Brueste zeigen. Natuerlich, Muetter mit kleinen Kindern stillen. Das sieht man bei uns auch. Obwohl man eher selten sieht, dass ein Baby einen langen ausgeleierten Sack aus der Bluse der Mutter zerrt. Folgende Situation waere bei uns schon eher ungewoehnlich: Wir sind im Dorf und sitzen im Hof unserer Gastgeber, essen was sie fuer uns gekocht haben und neben uns auf dem Boden sortiert eine Frau Bohnen (die guten ins Toepfchen...) scheucht die Ziegen weg, die ihr helfen wollen und hat nur ein Tuch um die Hueften gewickelt. Und leere Brueste, die fast den Boden beruehren. Keiner findet das eigenartig, auch die maennlichen Besucher beachten sie gar nicht. Hier in der Naehe gibt es einen Schrein (traditionelle afrikanische Religion), wenn man sich den angucken will, geht das nur oben ohne. Aber Kollegin M. meint, wenn man selber sich an den Gedanken gewoehnt hat, kann man sehen, wie das niemanden mehr interessiert, als nackte Fuesse.

Freitag, April 08, 2005

Ins Dorf, in die Stadt

Juhuu, dieses Wochenende gehts zum ersten Mal so richtig ins Dorf. Meine deutsche Kollegin in Bolga hat fuer Nancy und mich einen Trip in "ihr" Dorf organisiert, wir werden da Sonntag und Montag hinfahren und versuchen, ob uns Mensch-aerger-dich-nicht Figuren auch in Nordghana dabei helfen, mehr ueber Machtverteilung zu erfahren. Sie sagt: Ueberlegt, was Ihr essen wollt und kauft die Zutaten in der Stadt, dann koennen die Frauen fuer Euch kochen. Im Dorf gibts nichts. Mittwoch werde ich mit Nancy nach Accra fahren, vermutlich mit dem Bus. Da kann ich dann alles kaufen, was mir noch fehlt, z.B. Klimaanlage und nochmal dem Grossstadtluxus guten Tag sagen, um mich dann um so motivierter bald in wieder in die Arbeit zu stuerzen...

Donnerstag, April 07, 2005

Dienstag, April 05, 2005

Keine Sorgen... mehr...

Ich war abgetaucht und bin immer noch in der internetarmen Zone. Ich weiss, Ihr habt Euch Sorgen gemacht und ich denke, zu Recht. Denn mir ging's beschissen. Ich bin in meine neuen Haeuser gezogen und hatte da nichts ausser ein paar Klamotten und eine neue Matratze. Meine deutsche Kollegin war in Accra, meine beiden ghanaischen Kollegen ebenfalls und ich hab mich nur gefragt: Wie um alles in der Welt konnte ich auf die Idee kommen, mich fuer zwei Jahre an einen Ort verpflichten von dem ich nichts weiss... ausser dass kein Ghanaer mit meiner Qualifikation diesen Job wollte. Obwohl da fuer Ghanaer quasi pervers viel Geld drin stecken wuerde.

Die Hitze hat mich irre gemacht, ich wollte nicht mehr essen ICH! WOLLTE NICHT MEHR ESSEN! Was haette ich auch essen koennen, so ohne Kuehlschrank und Herd und voller Ueberdruss gegen alles, was hier fuer lecker gehalten wird. Die besonders tapferen von Euch, die mich in der Zwischenzeit angerufen haben, mussten sich den ganzen Quatsch anhoeren und dann, zeitverzoegert: Brauchst Dir aber keine Sorgen machen...

Der Umschwung kam letzte Woche Freitag, als morgens meine Moebel angeliefert wurden, mein Kuechenzeug, Buecher, Musik und ich aus dem leeren Haus mein Heim machen konnte. Ich hab ganz ganz langsam ausgepackt, immer wieder innegehalten, z.B. um das Fotoalbum durchzugucken und vor Sehnsucht zu heulen. Oder um zu lachen beim Auspacken so irrsinniger Dinge wie meines Zestenreissers (wo man hier doch keine Schalen essen darf).
Ausserdem hab ich Freitag Kuehlschrank und Herd gekauft.

Ich hatte mir auch Buecher eingepackt, die ich noch nicht gelesen hatte. Also konnte ich mich nun mit Buch auf die Veranda in den Schatten des Mangobaums setzen und Musik hoehren, waehrend der Brotteig ging. Und mich zu Hause fuehlen.

Sonntag ist meine Deutsche aus Accra zurueckgekommen. Sie ist ja nicht nur sehr nett und amuesant, sondern arbeitet auch als Wissenschaftlerin in einem nah verwandten Bereich, also haben wir gestern und heute intensiv wissenschaftlich diskutiert und ich hab ganz viel gelernt.

Die ganzen blogs, die ich in der Zwischenzeit geschrieben hab, kann ich leider heute noch immer nicht posten, kommt aber noch, nichts geht verloren, weder 13 Nudeln noch Schweine mit Loechern in den Ohren.

Essen 11: Stoehnen

vor Glueck. Was fuer eine Fruehstuck: Auf der Terrasse im Schatten des Mangobaums. Im Hintergrund Jane Monheit. Spaghetti aglio olio grosszuegig ertraenkt in dem Olivenoel, das Marlis aus Accra mitgebracht hat, dann gab es gestern bei meinen Marktfrauen Knoblauch, der nicht vertrocknet war juhuu, dazu die allgegenwaertige Pepperoni, eine Minizitrone und viel zu viel Salz. Und kaltes Wasser, das nicht nach Waschmittel schmeckt. Da kann ich nur noch den Kopf zur Seite und die Fuesse hochlegen und bloedsinnig grinsen, welch Luxus. Und jetzt kommt Kollegin M. und wir werden weiter gemeinsam wissenschaftlich denken, was meinem Kopf guttut.

Montag, April 04, 2005

13 Nudeln

Armut zeigt sich im Alltag in lauter Kleinigkeiten. Z.B. den ueblichen Mengen, die Leute auf einmal kaufen koennen. In einer Von-der-Hand-in-den-Mund Oekonomie sind die gering. Das faengt bei industriell hergestellten Waren an: Es gibt zwei Arten von Nescafe Packungen, die ueberall erhaeltlich sind, die Portionspackung und die 50g Dose. Fertig abgepackte Nudeln sind standardmaessig im 250g Packet statt 500g.

Aber wirklich interessant wird es bei den selbst verpackten oder unverpackten Waren. Irgendwer produziert hier Plastiktuetenschlaeuche, die den Durchmesser eines Damenstrumpfes haben und ebenso lang sind. Der Produzent ist bestimmt superreich, denn alles wird darin verpackt. Durch knoten, abreissen, knoten kann man eine Menge Portionen in einen Strumpf packen.

Das billigste Tuetenwasser (eher nicht zu empfehlen, da per –dreckiger?- Hand abgefuellt), Erdnuesse zu 10 Cent (ca 30 Stueck), Erdnussbutter (Groundnutpaste, drei Loeffel voll), Zucker und Salz, fritierte und getrocknete Plantains... In den grossen Aufdemkopftragschuesseln gibt es alles, was koernig oder pudrig ist, Reis, Bohnen, Maismehl usw. Verschieden grosse Konservendosen sind die Masseinheit, z.B. Augenbohnen: Kleine Tomatenmarkdose 5 Cent, grosse Tomatenmarkdose 20 Cent, noch groessere Bohnendose 30 Cent. Marlis warnt vor per Hand abgefuelltem Milchpulver: Das kommt meistens aus der grossen abgelaufenen Packung und Milchpulver kann tatsaechlich schlecht genug werden, um Lebensmittelvergiftung hervorzurufen (ihre eigene Erfahrung).

Was mich am meisten beruehrt hat: 13 Nudeln. Abgepackt. Uebliche Portion am Marktstand. Vielleicht auch 17.

Aufgabe: Geht in die Kueche, holt 13 Nudeln aus der Nudelpackung, packt sie in ein Tuetchen und stellt Euch das vor. Juhuu, heute hab ich etwas Geld uebrig, es gibt Nudeln! Nachdem Ihr sie angeguckt habt, duerft Ihr sie kochen und essen. Ganz allein. Keine extended Family moechte mitessen.

(O.k., der Fairness halber muss ich daran erinnern, dass Nudeln oft gemeinsam mit Reis gegessen werden, eine kleine Luxus-Draufgabe...)

Schenken und geschenkt kriegen

Bevor ich losfuhr, meinte einer unserer afrikanischen Masterstudenten: Wenn Du im Dorf wohnst und alle ausser Dir haben Felder, kann es sein, dass sie Mitleid haben und ihre Ernte mit Dir teilen. Nun wohne ich nicht im Dorf und es kam nochkeiner mit nem Sack Hirse an. Aber beschenkt worden bin ich dennoch. Wenn ich z.B. kleine Mengen kaufen wollte, von Peperoni oder Naegeln: Ach komm, nimms einfach mit. Oder als ich bei meinem naechsten Buedchen Streichhoelzer kaufen wollte und nicht bezahlen sondern Freundin werden sollte.

Am meisten geruehrt hat mich mein Watchman, der mir seinen Dosenoeffner mitbrachte. Den hatte er damals in Accra gekauft aber hier trinkt er keine Dosenmilch mehr (was nur heissen kann: Er kann sie sich nicht mehr leisten) und braucht den Oeffner deshalb auch nicht mehr. Am naechsten Tag konnte ich mich bei ihm revanchieren, das Umzugsunternehmen hatte mir so ne graue Lumpendecke dagelassen. Ausserdem gab es den grossen Karton, in dem mein Herd gewesen war. Die Decke bot ich ihm an, weil ich dachte, da kann er drauf sitzen waehrend er Wache haelt. Er freute sich ungemein, nahm sie aber mit nach Hause. Die typische Watchmanschlafmatte ist ein bunt gemusterter Gummiteppich, die Decke wird wohl hoeheren Weihen zugefuehrt. Den Karton sollte er eigentlich mit dem ganzen restlichen Verpackungsmuell verbrennen. Muellentsorgung auf Ghanaisch, jeder hat eine kleine Muellverbrennungsanlage... Also eine Stelle vor der Haustuer, wo der Watchman den Mist hinschmeisst und ein Streichholz dranhaelt, wenn der Berg zu gross geworden ist. Er fragte nach, ob ich den Karton wirklich nicht mehr brauchte. Und am naechsten Morgen als ich ihn um halb sechs verabschiedete, hatte er sein Fahrrad stolz bepackt mit fetter Kiste und Decke.

Meine Nachbarn Sunday und Gladys sind die ersten, die von mir Steinschmuck geschenkt bekamen. Die Geschichte ist schon aus Namibia bekannt und geht so: „Mein Vater ist Steinmetz und hat einen kleinen Laden, wo er schoene Steine verkauft. Wenn ich verreise, gibt er mir immer etwas davon mit, damit ich das den Leuten schenken kann, die gut zu mir sind. Hiermit sagt mein Vater: Danke, dass Ihr so gut auf meine Tochter aufpasst.“ Das ist wahr und gleichzeitig eine ruehrende Geschichte, die den Kleinigkeiten einen groesseren Wert verleiht. Wenn mir was einfaellt, sag ich auch noch was zu der Heilwirkung, die grad diesem Stein zugeschrieben wird. Nun, meine Nachbarn waren begeistert. Und ich hab aus Namibia gelernt, dass es wichtig ist, dass die Steine ein Loch haben, so dass man sie als Schmuck umhaengen kann.

Hello! Bulika! Na ‘anso!

Um sich hier (und anderswo) zu amuesieren, ist es hilfreich, Rheinlaender zu sein, nicht Ostfriese. „Rheinlaender reden den ganzen Tag, auch wenn sie nix zu sagen haben.“ Hab ich in Lueneburg gelernt. Sind Rheinlaender vielleicht die Ghanaer Deutschlands?

Wenn ich durch Bolga geh fuehlt sich das jedenfalls so an. Wie Queen Mum gruesse ich nach rechts und links und alle finden das angemessenes Verhalten, waehrend man sich ueber die Europaer (Ostfriesen?) beklagt, die das nicht tun, unfreundliches Pack. Jedes Kind (und das ist jetzt keine Rheinische Uebertreibung sondern woertlich „JEDES“ und „KIND“) ruft Hello, wenn ich vorbeikomme. Manche verstecken sich dabei unter einem Tisch oder hinter einer Hausecke oder trauen sich erst zu rufen, wenn ich schon 20 Meter weiter bin. Meine Aufgabe ist es, sie alle zu finden, anzulaecheln und zurueck Hello zu sagen. Je nach Stimmung machen wir dann weiter mit: How are you fine thank you how are you fine have a nice evening (Wie gehts fein danke wie gehts fein schoenen Abend noch), naechstes Kind. Es ist wichtig, dass in diesem Ritual kein neues Wort vorkommt. Nicht jeder Erwachsene ruft Hello, einige sagen auch Good Morning / Afternoon / Evening oder Bulika oder irgendwas, was ich nicht kenne.

Und tatsaechlich, einige Erwachsene wollen mich ungegruesst nach Haus gehn lassen! Rheinlaenderehre, nicht mit mir. Die erwisch ich mit besonders suessem Laecheln und sag Bulika, Good Evening usw. Mindestens zwei oder drei meiner Begegnungen eines jeden Ausflugs verwickeln mich in ein laengeres Gespraech. Ich geh an dem Stand vorbei, wo Gasflaschen aufgefuellt werden und gruesse. Die Jungs winken mich ran, ich soll mich zu ihnen setzen und, naja, sie haben mich nun immer hier auf und ab gehn sehn, ich soll doch mal sagen, wer ich bin, wo ich her komme, was ich hier mache und ob ich verheiratet bin. Oder ob ich vielleicht, wenn ich wieder zu Hause bin eine Import-Export-Firma mit ihnen aufziehn will. Auf dem Weg zum Taxibaum am Morgen haelt mich eine Frau mit Kind auf dem Ruecken an und versucht, mir Gruessen auf Frafra beizubringen. Ausserdem will sie meine Freundin sein und in mein Haus kommen und mich in ihr Haus mitnehmen.

Ihr seht, warum es hier hilft, ein rheinisches Prinzessinnengemuet zu haben. Auch in den ersten Tagen hier in Bolga, wo ich sehr ernsthaft gelitten hab und mich gefragt hab, ob ich das hier jemals moegen koennte und welcher Teufel mich geritten haben mag, mich fuer 2 ½ Jahre an einen Ort zu verpflichten, von dem ich nichts weiss, als dass Ghanaer mit meiner Qualifikation net fuer Kooche (nicht fuer Kuchen – und auch nicht fuer gutes Geld und gute Worte) hier leben wollen wuerden, als ich nur meine einsame Matraze im Haus hatte und keinen blassen Schimmer, wie ich denn anfangen sollte zu arbeiten und meine deutsche Mafia nach Accra abgehauen war und ich nicht mehr gegessen hab vor Kummer und Hitze und Ueberdruss... hat es gegen das aerme Dier (fuer Nichtrheinlaender: Zustand fortgeschrittenen Selbstmitleids) immer geholfen, das Haus zu verlassen, gruessend zum Taxibaum zu gehn, in die Stadt zu fahren und ein paar kleine Erledigungen zum Vorwand fuer zielloses herumschlendern, gruessen und kennengelernt werden zu nehmen.

Sonntag, April 03, 2005

Tragen aufm Kopp

4.4.05
Ich habs ja schon erzaehlt, ich bin beeindruckt von der Faehigkeit, drei aufeinandergestapelte Kohleschuesseln auf dem Kopf zu tragen ohne sie festzuhalten. Oder eine flache Schuessel mit 10 Litern Wasser und nicht zu schlabbern. Wenn die Schuessel leer ist, wird sie schraeg mit einer Kante auf das zusammengerollte Tuch gestellt, was man auf dem Kopf traegt und bleibt da entgegen jedes konventionellen Verstaendnisses von Schwerkraft stehen, waehrend man ueber den Markt laeuft. Das hat den Vorteil, dass man nicht so viel Platz braucht und sich durchs Gedraenge schlaengeln kann.

Vor ein paar Tagen hab ich mir so eine Schuessel gekauft, grosse ausladende Aluschuessel, Grundausstattung eines jeden Haushaltes und ausserdem Trageschuessel. In der Stadt hatte ich ein paar Kleinigkeiten gekauft, die ich in die Schuessel packte und sie mir auf die Huefte setzte. Die kleinen Maedchen konnten nicht verstehn, dass ich ihre Hilfe beim Tragen ablehnte. Mit dem Sammeltaxi bin ich (15 Cent) zum Affenbrotbaum gefahren, der die Endhaltestelle dieser Taxilinie ist.

Ich wusste, ich hab mein Wasser ausgetrunken und muss eine neue Ladung Wasserbeutelchen kaufen. Also zum Buedchen: „Ich brauche Wasser! Nein, nicht ein Beutelchen, eine ganze Tuete (8 Liter?).“ „Wie willst Du die tragen?“ „Ghanaisch. Alle tragen hier alles auf dem Kopf, ich will das auch lernen, Du musst mir das beibringen.“ „Soll ich Dir das nicht besser tragen?“ „Nein, ich will das lernen.“ Viel Gelaechter auf allen Seiten. Schliesslich wickelt sie mir aus einem Strickschal ein Huetchen und hilft mir, die Schuessel mittig auf den Kopf zu heben. Fragt nochmal besorgt, wie weit ich’s denn hab und ob sie’s vielleicht doch fuer mich tragen soll. Vom Kiosk nach Hause geht man weniger als fuenf Minuten. Normalerweise. Wenn man nicht vorsichtig schleicht um nicht die Balance zu verlieren und alle drei Meter anhalten muss, weil ein Kind oder eine Frau auf einen zugestuermt kommt und darauf besteht, einem die Last abzunehmen... Aber ich habs ganz allein geschafft. Es ist wahnsinnig anstrengend fuer die Nackenmuskeln. Und ich musste die Schuessel die ganze Zeit festhalten. Aber das ist ok, manchmal, wenn sie z.B. bis oben mit Wasser gefuellt ist, machen das die lokalen Frauen auch.

Selber tragen ist vor allem deshalb so ein eigenartiges Ansinnen, da man hier ab einem gewissen Alter oder Status nichts mehr selber tut. Fuer alle Besorgungen laufen doch Knirpse rum, die man losschicken kann und die dafuer dann Bonbons kriegen oder das Wechselgeld behalten duerfen...

Beerdigen

03.04.05
Manche kulturelle Eigenheiten sind so alltaeglich, dass man sie gar nicht mehr als kulturell wahrnimmt, sondern irgendwie denkt: Das ist doch normal, das machen doch alle so. Zum Beispiel unser Umgang mit Toten, Beerdigungen: Das sind bei uns eher seltene Ereignisse (ich war in meinem ganzen Leben bei drei eigenen Grosseltern und einer fremden plus zwei Freunden), man macht ein trauriges Gesicht und meint das meist auch so, die ganze Veranstaltung ist eher still, hoechstens beim Beerdigungskaffee macht sich die angespannte Stimmung in dem ein oder anderen verschaemten Scherz Luft. Und obwohl mir theoretisch natuerlich klar ist, dass es tausend verschiedene Beerdigungsriten gibt, hatte ich irgendwo in mir drin doch die Grundannnahme, dass die Stimmung bei allen Menschen aehnlich waere.

Ich hab hier Beerdigungen bislang nur von aussen gesehn, deshalb kann ich natuerlich nur oberflaechlich darueber reden. Was sofort auffaellt: Beerdigen ist DIE Freizeitaktivitaet, macht man praktisch jeden Samstag. Das haengt wohl damit zusammen, dass in diesen verzweigten Familiensystemen jeder jedermanns Onkel ist und natuerlich gehst Du zu der Beerdigung Deines Onkels. Aber vielleicht liegt es auch am Freizeitwert der Beerdigungen, mit denen die Hinterbliebenen oft an einem Tag das Erbe durchbringen. Ein Zelt und Stuehle werden gemietet, kistenweise Softdrinks, lecker Essen und eine starke Stereoanlage. Alle kleiden sich schick in schwarzen, dunkelroten oder schwarz-weissen / blau-weissen Trauerstoffen. Sie heften sich ein Foto des Verstorbenen an. Manchmal gibt es auch T-Shirts mit Foto und „in memoriam“ aufgedruckt. Alles fertig? Alle angereist? Mach die Musik an! Ich hab keine Ahnung, was mit der Leiche passiert, dann wie gesagt, ich bin bislang nur an „Trauerhaeusern“ vorbeigegangen. Aber was man da sieht und hoert erinnert vielmehr an eine Hochzeit als ein Begraebnis. Laute Popmusik, die Kinder tanzen, alle stehn rum, trinken Cola, quatschen und amuesieren sich. Gestern haben mein Assistent und seine Schwester mich besucht, weil sie nebenan auf einer Beerdigung waren und er seiner Schwester die neue Chefin (also mich) zeigen wollte. Als sie sagten, sie seien auf der Beerdigung ihres Onkels, war meine spontane Reaktion, ihnen Beileid auszusprechen. Aber gleichzeitig fuehlte sich das von der Stimmung her so unangemessen an. Ich werde erforschen, was da die angemessene Reaktion ist.

Spaeter am Tag wollte ich zum Kiosk gehn, Streichhoelzer kaufen (die mir die Kioskfrau schliesslich schenkte: Sista Iwa, I want to be your friend! Ich will Dein Freund sein). Da war auf meiner Strasse grosses Geschrei. Eine Gruppe von vielleicht 15 Maennern lief auf und ab und stiess schrille und kraechzende Schreie aus, spielte schiefe durchdringende Toene auf Floeten und... naja, alle sahen arg afrikanisch aus, so „wir haben uns fuer Touristen verkleidet“-afrikanisch. Bis darauf, dass ich hier in einer touristenarmen Region in einem touristenlosen Wohnviertel bin und die einfach fuer sich selbst afrikanisch waren. Was ja ihr gutes Recht ist, wenn man bedenkt, dass sie Afrikaner sind. Lendenschurz, Tierfell ueber die Schulter gehaengt, undefinierbare Sachen am Guertel baumelnd, Pfeil und Bogen drohend durch die Luft schwenkend und irrsinnig laut. Ich fragte meine Nachbarin, was das sei. Oh, Beerdigung. Sind das die aus dem grossen gruenen Haus am Busbahnhof? Oh nein, das sind Christen (die mit Cola und Pop), die hier glauben an traditionelle afrikanische Religion, die kommen da hinten aus dem traditionellen (also Lehm-)Haus. Ich glaube meinen Nachbarn war das vor mir ein bisschen peinlich, die bemuehen sich ja sehr, mir ihr modernes Leben zu zeigen und ausserdem ihre jeweilige (christliche) Religionszugehoerigkeit demonstrativ zu zeigen. Also hab ich das Spektakel nur aus den Augenwinkeln betrachtet und bin zum Streichholzstand gegangen.

Aber ich muss sagen, wenn ich die Wahl haette zwischen Softdrinkpop und Geschrei, erscheint mir letzteres doch angemessener, um den Tod eines Liebsten zu begehen...

P.s.: Eben hab ich Kollegin M. gefragt, was das mit dem Beerdigen auf sich hat. Ihre erste Antwort war etwas verwirrend: „Also die meisten Beerdigungen feiern die ja in der Trockenzeit.“ „Hae? Sterben da die meisten, weil sie alle vertrocknen?“ „Ne, weil, da haben die ja am meisten Zeit...“

Das ist folgendermassen: Wenn jemand stirbt, muss der sofort unter die Erde gebracht werden, weil es ja viel zu heiss ist, um den noch lange anzuschaun. Das ist die Veranstaltung wo erwachsene Maenner in Traenen aufgeloest im Hof sitzen und von den Gaesten erwartet wird, dass sie Schnaps mitbringen, damit man das Elend ertragen kann. Dann wird entweder ein altes Grab geoeffnet oder unter unmenschlicher Anstrengung ein neues gehackt, ein kleines Loch von etwa Hueftumfang, das in eine unterirdische Hoehle muendet. Der Tote wird in eine Sisalmatte eingewickelt und auf den Schultern starker Maenner zum Grab getragen und beerdigt. Das ist nicht die Samstagsveranstaltung in der Trockenzeit. Die kommt spaeter. Da muss erstmal alles auf den Feldern getan sein. Dann muss die Familie Geld leihen und Stuehle und s.o.. Wenn nun der Todesfall etwa ein Jahr vorbei ist, gibt es Pop und Cola. Falls es eine Witwe gibt, ist ihre Trauerzeit nun vorbei und sie ist die begehrteste Frau der Veranstaltung denn sie darf wieder geheiratet werden.

Freitag, April 01, 2005

Essen 10: Superreal

Felix sagt, was ich erzaehle, hoert sich surreal an. Gibt es das Gegenteil von surreal? Das trifft eher, denn hier muss sich jeder den ganzen Tag viel direkter mit der Realitaet auseinandersetzen, das wird weniger gepuffert und gefiltert. Manchmal ist die Welt hier erschlagend real und auf die Essenz reduziert. So wie minimal business nur die Naehmaschine oder Kuehlbox benoetigt.

Die Fruechte haben viele Fasern und viel Geschmack. Zitronen musste mir die Marktfrau erst zeigen, damit ich sie erkenne, tischtennisballgrosse gruenbraune Kuegelchen voller Kerne. Die lokalen Mangos (einer meiner beiden Baeume, der dessen Fruechte jetzt reif sind) bestehen nur aus langen Fasern, um die herum der Geschmack angeordnet ist und an denen man sich beim rumsaugen und knabbern die Lippen wundscheuert und danach die Haelfte der Ballaststoffe nicht im Magen sondern zwischen den Zaehnen hat.

Ich vermute, mit dem Fleisch siehts aehnlich aus. Wenn man sich das Leben der Tiere hier anguckt, zaehe Biester, die ueberall rumlaufen und fressen, was sie kriegen koennen. Die Schweine verbringen ihre Tage auf Muellhalden oder in Abflussrinnen und Kloaken, immer fressend. Die Viehcher, die das ueberleben, geben wohl intensives, langsam gewachsenes Fleisch ohne Wachstumsbeschleuniger, Hormone, Antibiotika (wenn man sich die nichtmal fuer kranke Menschen leisten kann...).

Ich hab gefragt, wie die Besitzer ihre Schweine wiederbekommen, wenn die doch den ganzen Tag op Joeck (unterwegs) sind. Die meisten Schweine haben unterschiedlich geformte Loecher als Erkennungszeichen in einem Ohr, oft ist das Loch fast so gross wie das Ohr, besagtes Schwein wackelt also beim Essen mit einer Art leerem Bilderrahmen. Ausserdem wachsen die kleinen Schweinchen im Haus oder beim Haus auf, gewoehnen sich an ihre Menschen – und lernen, dass sie abends und morgens gefuettert werden, wenn sie brav nach Hause kommen.

Die Frage, welche Teile der Tiere man isst, wird hier wie in allen armen Gegenden sehr einfach beantwortet: Alle. Auf dem Markt in Accra sieht man Stapelweise Schweinefuesse. Fischkoepfe sind eine besondere Delikatesse, die nur ein Depp nicht aussaugt. Das Mark aus einem Kuhbein zu schluerfen, macht gross und stark und die Magenschleimhaut einer Kuh ist super Suppeneinlage. Manchmal ist sie klein genug geschnitten, dass man sie ohne viel Muehe runterschlucken kann. Ansonsten muss man sich das wohl wie briefmarkengrosse Stuecke Schuhsohle im Essen vorstellen. Ich liebe es, Vegetarierin zu sein.