Oder: Warum Armut den Menschen nicht automatisch bessert.
Ihr wisst, ich liebe Ghana und die Ghanaer. Von ganz Nahem. Deshalb verwirrt es mich manchmal, wie sie von Weitem aussehn. Freunde aus der Ferne vermuten immer wieder, dass sie viel mehr Platz fuer Spiritualitaet haben, weil sie nicht so viel kaufen koennen, dass sie Familienwerte hochhalten, weil sie moralisch besser und irgendwie urspruenglicher sind und generell viel weniger materialistisch, weil sie weniger haben. Ach, wenn ich ehrlich bin, diese Vorstellungen versammeln sich nicht nur fern von hier, viele Entwicklungsprojekte sind auf der Idee aufgebaut, dass die Menschen im afrikanischen Dorf alle gleich sind und sich immer singend an den Haenden halten, waehrend sie gemeinsam und selbstlos fuer eine bessere Zukunft des Dorfes arbeiten.
Es gibt niemanden, der so materialistisch ist, wie die Armen. Sie waeren ja auch gefaehrlich bloede, wenn sie es nicht waeren. Natuerliche Auslese: Arme, die nicht materialistisch sind, sind schnell verhungert und ausgestorben... Wenn Du nicht weisst, was Du morgen essen wirst, waehlst Du Deinen Partner nicht wegen seiner schoenen Augen aus, sondern weil er Geld hat. Deshalb wissen die Jungs hier: Wenn sie nicht wenigstens ein Motorrad vorweisen koennen, stehn ihre Chancen schlecht. Fuer eine Mahlzeit kannst Du ein junges (oder sehr junges) Maedchen fuer eine Nacht haben.
Spiritualitaet. Ja, wenn Leute aus ungeklaerten Gruenden krank werden und sterben, steckt da meist ein boeser Zauber dahinter – oder sie haben ein Tabu gebrochen, das toedlich ist. Ein kleines Maedchen, das beschuldigt wird, gestohlen zu haben, wird krank. Die Familie bringt es nicht zum Arzt, waehrend es langsam vor sich hin stirbt, schliesslich ist klar, dass die Krankheit spirituelle Gruende hat.
Familienwerte. Es stimmt, ohne die Leistungen der afrikanischen Grossfamilie wuerde diese Gesellschaft im Chaos auseinanderbrechen. Die Kinder Deines Onkels sind auch Deine eigenen, Alte, Kranke, Behinderte, alle werden irgendwie mitgeschleppt. Kein Staat und keine Institution nimmt den Familien diese Last ab. Manchmal gibt es dann Kampagnen darueber, dass es nicht gut ist, seine behinderten Familienmitglieder in Ketten zu legen, dass man sie ab und an fuettern sollte und bekleiden. Aber was soll eine Familie tun, wenn der geistig gestoerte Onkel voller Gewalt ist und es selbst fuer den Rest der Familie nicht genug zu essen gibt.
Und die ghanaische Mittelschicht, die Angestellten von Regierung, Firmen, Nichtregierungsorganisationen? Die stoehnen unter der Last riesiger Familiennetzwerke, die sich auf sie verlassen, halbe Doerfer wollen zur Schule geschickt und mit Wasser versorgt werden. Von dem, was uebrig bleibt, kaufen sie Statussymbole, das schickste Handy, die glaenzendsten Schuhe, das groesste Auto (das jeden Tag komplett gewaschen wird, selbst die Reifen). Dann zeigen sie ohne falsche Bescheidenheit, was sie haben und sonnen sich in der Bewunderung der armen Verwandten – die natuerlich noch vehementer ihren Anteil einfordern.
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1 Kommentar:
Realismus und Erkenntnis der Dinge wie sie sind, sind die ersten und unerlässlich Schritte zur Veränderung von Zuständen. Weiter so.
ThorBo
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