Mittwoch, Juli 27, 2005

Workshop

Der Workshop war super. Ich hatte mich als Bonbon verkleidet, was von allen Seiten lobend zur Kenntnis genommen wurde, wir hatten einen echten und einen stellvertretenden Minister da, waren in Fernseh- und Radio-Nachrichten und in der Zeitung, haben einen Teil unserer Teilnehmer mit Huhn vergiftet und alle waren begeistert. Natuerlich waren die Vergiftungen nicht extra und gezielt und die Medienberichterstattung wurde nicht nur durch unser wirklich spannendes Thema sondern auch durch unsere echt interessanten Spesengelder fuer die Medienmenschen erleichtert (nichts und niemand kommt in die Nachrichten ohne).

(jajaja, es war ein Erfolg, aber ich kann mich doch kaum auf meine Website stellen und bruellen: WIR SIND SUPER!)

Ich bin ein Stil-Spiesser

Und ich weiss auch, wo das herkommt. Zu viele Sommer bei OmmaausGeich und in diesen Sommern zu viele Kirchgaenge im Sonntagsstaat mit dem Geicher Pastor, der statt „Der Leib Christie“ auch schonmal „Wie siehst Du denn aus“ sagte, wenn er die Hostien ausgab.

Das Ergebnis ist, dass ich in Deutschland nie wirklich cool sein kann, denn ich hab nie verstanden, warum man eine Stunde vor dem Spiegel steht, um sich zu schminken und das Ergebnis dann wieder zu verwischen, um sich die Haare im out-of-bed Stil zu verwuscheln und sich Klamotten an den Leib zu haengen, die verbergen, dass sie mit Bedacht ausgewaehlt wurden.

Hier ist es ein grosses Kompliment, wenn einem ein Kerl sagt: You’ve got style. Und das bedeutet, dass jedes Detail Deines Outfits irgendwie zum Rest passt, dass man sieht, wieviel Liebe und Aufwand man darein gesteckt hat. Ich finde das super. Muss nicht mehr bis Karneval warten, um zu versuchen, mich perfekt zu kostuemieren. Ok, ich lerne erst langsam, dass es normal ist, Oberteil und Rock im gleichen buntgemusterten Material zu tragen. Aber auch daran arbeite ich... Mein naechstet Kleid wird krass, das Material ist schon gekauft, das Muster ist so gross wie ich, Plastikwasserflaschen, aus denen Wasser in einen grossen Eimer gegossen wird. Arbeitskleidung.

Heimaturlaub

Am 6. August lande ich um 10:55 mit KLM Flug 1855 von Amsterdam in Duesseldorf. Am 19. August um 12:35 flieg ich mit Air Berlin nach Rom, zu einem Team Meeting (HAHAHAHAHA! so muss es sein!), um am 25. wieder zurueck nach Accra zu fliegen.

Donnerstag, Juli 21, 2005


Warum hat hier niemand eine Leiter (dunkel, weil der Elektriker grade die Birne austauscht...) Posted by Picasa

Warum machen die keinen langen Stiel an ihre Hacken? Posted by Picasa

Kunst am Bach Posted by Picasa

Auch diese Damen berichten von Pruegeleien an der Wasserstelle Posted by Picasa

So wird gemacht, was mich 10cm groesser macht (ganz links Flash) Posted by Picasa

Macht mich 10cm groesser... Posted by Picasa

ueber Wasser reden und zuhoern Posted by Picasa

Konferenz-Outfit hochgekrempelt und Gummistiefel Groesse 45: Auf ins Maisfeld Posted by Picasa

Strassen Staub

Heute ist es ganz eigenartig auf unserem Flur. Sehr muede Maenner sitzen und liegen im Gang und warten. Sie haben zusammengeschnuerte Buendel dabei, die aussehn wie Habseligkeiten (oh was fuer ein schoenes Wort) und in ihren Gesichtern sieht man, dass sie schon so viel Warten gesammelt haben, dass sie nicht mehr wirklich warten, sondern nur liegen. Oder sitzen. Wenn ich unsere Kollegen im anderen Buero besuchen will, muss ich zwischen ihnen durchgehn und bin mir meiner klappernden Absaetze, meines Kleides, meiner Hueften scharf bewusst, und bin kuenstlich, egal, ob ich sie anschau oder so gucke, als gaeb es sie nicht. Diese Situation ist neu, denn normal ist es hier, mit allen immer in Kontakt zu sein. Als ich heute hier ankam, hab ich auch schon von weitem Hallo und Wie gehts gerufen. Aber sobald ich naeher kam, sah ich, dass das keine Hallowiegehts sind.

Meine Kollegen bemuehen sich, sie nicht zu sehn und koennen mir keine Erklaerung geben, ausser: Die sind glaub ich fuer NADMO (National Disaster Management Organisation) hier. Und dass ich keine Angst haben soll. Als ob die mir Angst machen, ich will doch nur wissen, warum die so staubmuede sind und sich so anders anfuehlen.

Bei NADMO sagt man mir: Die wurden aus Libyen zurueckgeschickt, illegale Immigranten auf dem Weg nach Spanien. Man hat sie da aufgegriffen und dann ueber Niger und Burkina Faso zurueck nach Ghana geschickt. Hier (wir sind nah an der Grenze) machen sie nur Zwischenstation auf dem Weg zurueck nach Kumasi und Accra, dahin, wo sie hergekommen sind.

Sonntag hab ich mich mit einem Journalisten aus Bolga laenger unterhalten, er ist der Boyfriend meiner Nachbarin und der Kerl, der mit Action zusammen Geburtstag gefeiert hat. Aber weil er nicht so sehr Action sondern eher Question (Frage) ist, ist er mir bis jetzt noch nicht aufgefallen. Das hat er am Sonntag nachgeholt, und erzaehlte mir von seinem Studium in Marocco. Er ist viel in Afrika gereist, aber nichts zieht ihn nach Europa. In Marocco hat er gesehn, wie viel die Leute aufs Spiel setzen, um spanische Toiletten putzen zu duerfen, wie sie sich von der Polizei wie Wild jagen und totschiessen lassen, wie sie auf winzige Boote gepfercht die zweitaegige und lebensgefaehrliche Reise antreten. Weshalb er sagt: Diese Art von Reisen interessiert ihn nicht.

Geschmacksverirrung

Gestern fiel mir auf: Ich bin inzwischen so lange hier, dass ich den mich umgebenden Geschmack annehme wie Butter im stinkenden Kuehlschrank... Das bemerkte ich, als ich im Auto das Radio mit knisternd schlechtem Empfang ganz laut aufdrehte, um die Musik droehnen zu lassen. Ueberhaupt, die Musik, ich kann mich noch erinnern, der erste Samstag Abend im Black Star Hotel, die Musik hat mich unglaublich gelangweilt weil jedes Lied genau wie das andere klingt, viel zu lang ist und keine Dynamik hat. Gestern sass ich im New Life Line zum Mittagessen und es fiel mir schwer, sitzen zu bleiben und nicht zu tanzen (was komplett annehmbares Verhalten waere, machte die Kellnerin ja auch statt uns zu bedienen), weil ich verlernt hab, diese Stuecke fuer langweilig zu halten.

Fuer unsere Konferenz hatte ich mir sehr bunte bonbonartige Kleider machen lassen und wenn ich nun vor meinem Kleiderschrank stehe, machen mich meine grauen, schwarzen, olivgruenen Hosen und Blusen einfach nicht mehr an. Ha! Ihr koennt schonmal anfangen, Euch zu fuerchten, was ich Euch mitbringsele...

Ich rufe die Kellnerin im lauten Restaurant „Kssssss!“, ohne das Gefuehl zu haben, das sei ungehoerig und heute abend hab ich zum ersten Mal gesagt „I hear the scent“ (ich hoere den Duft) statt „I smell“ (ich rieche). Leider ging dieser Satz: I hear the scent of alcohol“ und richtete sich an meinen neuen Watchman – nachdem ich den letzten wegen Saufen rausgeschmissen hab...

Du bist so alt, wie Du Dich anfuehlst

Sagte mir mein Bochumer Bankberater mal (tatsaechlich...nur sagte er natuerlich Sie und nicht Du). Hier bist Du so alt, wie Du behauptest. Heute diskutierte ich mit meinem Assistenten die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema Macht. Ich wollte wissen, wie man hier Macht erlangt und erhaelt und wie das verbunden ist mit dem allgegenwaertigen Streben nach Harmonie und Einheit.

In einer Gesellschaft, wo jeder immer freundlich laecheln muss, sichert man seine eigene Position gegen den Ansturm der nachkommenden Generation mit subtilen Mitteln, indirekt. Antraege auf Weiterbildung gehen leider verloren, wenn Dein politischer Gegner Reisfarmer ist und Du sitzt in der Regierung, aenderst Du die Einfuhrbestimmungen fuer Reis, so dass der Markt von amerikanischem Reis ueberschwemmt wird und dein Gegner (gemeinsam mit allen anderen Reisfarmern) pleite geht und kein Geld mehr fuer politische Kampagnen hat. Wenn Du Deinen Hintern auf Deinem Beamtensessel festkleben willst, musst Du Dich juenger machen. Als alle Daten von Papierordnern auf Computer uebertragen wurden, haben diese alten Saecke sich von sagen wir mal 60 auf 40 runtergelogen, indem sie ein neues Geburtsdatum eingeben liessen. Jetzt sind sie 70, koennen aber noch gute 15 Jahre in ihrer Position sitzen, bis sie das Rentenalter erreicht haben.

Selig die hungern und duersten nach Buchstaben...

Wenn ich nach Hause komme, hat meist ein Buch ueber Gott oder Essen das Regal verlassen und Mary durch den Tag begleitet (Ob ich Kaese in einen der leichteren Romane legen soll, als Koeder? Sie bringt manchmal Heftchenromane mit und einiges in meinem Buecherschrank ist aehnlich einladend fuer den unerfahrenen Leser...).

Sonntag hab ich mit zwei Nachbarn hier gesessen und wir haben mit strahlenden Ohren Gedichte gehoert und gelesen und am Ende des Tages hatten sich wieder drei Buecher aus meinen Regalen auf den Weg gemacht (eigentlich ist die Regel: Ein Buch pro Mensch und wenn er’s zurueckbringt, bekommt er das naechste. Aber kann ich jemandem, der Gedichte mitnimmt, denn seinen Roman verwehren?).

Die 13jaehrigen Toechter meines Freundes und Bannermalers Flash haben ihre Krimis vor vielen Wochen ausgeliehen. Wollen sie keinen Austausch? Fuer sie ist es schwer, allein zu mir zu kommen. Sie sind schuechtern, vielleicht muss ich nochmal die Familie zum Kuchen einladen und dann verkriechen sie sich wieder mit – ich wollte sagen „roten Wangen“ aber die Wangen sind natuerlich weiterhin schwarz – in der Bibliothek und geniessen die Qual der Wahl.

Ein Nachbar arbeitet fuers Radio und diese Woche hab ich ihn zweimal mit in die Stadt genommen, weil sein Studio in der Naehe des Bueros liegt. Auf dem Weg erzaehlte er, dass er zwei Stunden die Woche auf Sendung ist, den Rest der Zeit verbringt er meist zu Hause, hoert Musik und liest Romane. Erfreut und ueberrascht verspricht er mir, bald vorbei zu kommen, um sich seine Ration abzuholen. Denn wir alle wissen: In Bolga kann man keine Romane kaufen.

3 x P.s.:
1. Sonntag Abend bekam ich einen Gedichtband geliehen (6 American Poets).
2. „Buecher auf die Doerfer“ wird es wohl nicht geben. Schon hier in Bolga sind die Buchtrinker eine erlesene Geheimgesellschaft, die ich langsam auf verschlungenen Pfaden finde...
3. Ich geniesse es, die Buecher unstrukturiert einfach zu geben und zurueckzubekommen, statt eine ordentliche formalisierte, registrierende (Mahngebuehren fordernde?) Buecherei daraus zu machen. Ich hoffe, dass Ihr, meine edlen Spender, mit mir einer Meinung seid, dass es schoener ist, Buecher vertrauensvoll auf die Reise zu schicken. Und dass es nichts ausmacht, wenn das ein oder andere Buch ein besseres zu Hause findet, wo es freier atmen kann und weniger Konkurrenz hat, als in meinem vollen Buecherschrank...

Worueber man nicht spricht

Es gehoert sich nicht, zu sagen, dass man Hunger hat. Nur Kinder sagen das. Von Erwachsenen erwartet man, dass sie sich zusammenreissen. Die Scham bezueglich der Nahrungseinfuhr wird gutgemacht durch Schamlosigkeit bei der Nahrungsabfuhr. Nicht nur der Ort des Geschehens wird genannt sondern auch die Taetigkeit eindeutig beschrieben: „I’m going to urinate“ oder „I’m going to shit and come“ (Ich gehe urinieren; ich geh scheissen und komm dann wieder) sind Informationen, die auch in gediegener Gesellschaft problemlos mitgeteilt werden.

Freitag, Juli 08, 2005

Ich bin 10 cm groesser

Eva in Ghana

und muss ueber mich selbst lachen. Naechste Woche haben wir hier unseren Einfuehrungsworkshop, grosses Event, danach erst existieren wir offiziell in der Region. Alle alle sollen kommen, vom Haeuptling mit seinem Schirmtraeger bis zum Minister. Unverzichtbares Accessoire eines solchen Events ist das Banner, eine Stoffbahn auf der fett die Logos der beteiligten Organisationen prangen und das aller Welt verkuendet:Wir tun was.

Mein Schildermaler, hilfreicher Onkel und Freund Flash hat das gestern fertig gemacht, handgezeichnete Schablonen mit der Rasierklinge aus Packpapier geschnitten und mit dickem Pinsel auf’s Bettuch getupft. Wir wollten es schon gestern aufhaengen aber es regnete zu stark. Also hab ich meinen Assistenten heute morgen losgeschickt. Flash hatte vorsorglich Loecher ins Banner geschnitten, nicht so sehr wegen des Windes, sondern damit niemand es klaut um einen Rock oder ein Tischtuch draus zu machen.

Als er breit grinsend zurueck kam, hab ich ihm gleich die Autoschluessel abgenommen und bin gucken gefahren. Man sieht es schon von ganz weit an der grossen Kreuzung wo man von der vierspurigen Strasse Richtung Haupteinkaufsstrasse abbiegt, hoch ueber der Tankstelle zwischen zwei Laternen. Direkt darunter ein Wahlplakat mit dem Slogan „So far so good“.

Im letzten Abschnitt ist ein Witz versteckt. Wer findet ihn?

(Aufloesung: Nur wer schonmal in Bolga war. Alle anderen stellen sich eine vierspurige Strasse, eine Kreuzung, eine Tankstelle und eine Haupteinkaufsstrasse vor und liegen voll daneben...)


Sonntag kam Mary nicht zur Arbeit

Eva in Ghana
Abends um sechs kam sie dann ganz zerzaust angeradelt, Beerdigung, irgendwer aus der Familie gestorben, das ganze Haus voll Trauergaeste. Dann noch irgendeine wirre Story ueber Krankenhaus, kein Blut kein Wasser, zwei Wochen spaeter immer noch kein Blut kein Wasser, dann war sie tot. Wie auch immer, ich hab sie wieder zurueck ins Trauerhaus geschickt, denn das ist der sehr traurige erste Teil der Beerdigung, wenn jemand grad gestorben ist, nicht die Party.

Als ich heute mittag nach Hause kam, erzaehlte sie mir die ganze Geschichte: Gestorben ist ein Baby. Seit drei Wochen wollte es keine Milch mehr trinken und jetzt ist es tot. Die Mutter ist eine Verwandte, mit der Mary im gleichen Haus lebt. Das Paar hat fuenf Kinder geboren, nur die beiden aeltesten (15 und 9) leben noch, die anderen sind nacheinander als Babies gestorben. Mary sagt: And they used to say men are strong. You should see the father, crying like a woman. (Da sagt man, Maenner seien so stark. Wenn Du den Vater sehen koenntest, heult wie ne Frau)

Einen Tag spaeter: Als ich nach Hause komme sind meine Spiegel zur Wand gedreht. Ich vermute, das heisst: Mary fuehlt, dass sie – zumindest tagsueber – bei mir wohnt. Also ist auch mein Haus ein Trauerhaus. Auf dem Weg zur Arbeit hab ich darueber nachgedacht, warum ich Euch das schreibe. Warum denke ich, dass es gut ist fuer die Eltern und die Babies, wenn fremde Leute auf der anderen Seite der Welt um sie und mit ihnen trauern?

African Time

Eva in Ghana

Inzwischen brauch ich nur noch 20 Sekunden um aus meinem Bettchen zu springen, wenns frueh morgens ans Tor klopft, respektable Klamotten ueberzuwerfen und den unerwartet fruehen Besucher einzulassen. Alles eine Frage des Trainings. Im Moment sitzt der Klemptner in meinem Flur und wartet dass es halb acht wird, weil wir den Klemptnerladenbesitzer ueberredet haben, dass er ausnahmsweise so frueh aufmacht, damit wir Rohre kaufen koennen und unser Mann anfangen kann zu arbeiten. Warum klopft der Klemptner um halb sieben ans Tor? Weil wir ihn gestern abend darum gebeten haben, um acht hier zu sein.

Das ist ein haeufig vernachlaessigter Aspekt Afrikanischen – oder sagen wir Nordghanaischen – Zeitverstaendnisses. Vielleicht weil es nicht ins Bild des gemuetlichen faulen Afrikaners passt, der rumsitzt und wartet, dass ihm die Kokosnuss auf den Tisch faellt oder Food Aid mit der Nahrungsmittelhilfe kommt. Wir kennen vor allem den Afrikaner der zu spaet kommt... und dem begegne ich hier auch, aber das vor allem in meiner Freizeit. Wenn es um Arbeit geht und um die kuehlen fruehen Morgenstunden, werde ich gequaelt vom Afrikaner, der zu frueh kommt und das normal findet. So, jetzt fahren wir zum Klemptnerladen und kaufen alles was ich brauche um meinen Wassertank mit dem Haus zu verbinden. Dann gibt es nie mehr Eimerduschen!

Krabbeln im Raum

Eva in Ghana

Gestern hab ich die Hollaenderin mit Keksen gefuettert, waehrend sie mir etwas Interessantes erzaehlte. Sie ist Paedagogin und kennt Studien darueber, dass Kinder durch Krabbeln ihr raeumliches Vorstellungsvermoegen entwickeln (wenn ich noch nicht dagegengeknallt bin, ist es weit weg, Wenn ich ploetzlich heulend auf dem Hintern sitze, war irgendwas zu nah dran...). Auch hat man festgestellt, dass Nicht-Krabbler schwerer lesen und schreiben lernen.

Hier werden die Kinder auf dem Ruecken der Mutter festgebunden und da bleiben sie stundenlang haengen, Kopf in den Nacken gekippt wenn sie schlafen und dann wieder aufmerksam in der Gegend rumguckend. Ich sollte mich also bei meinem Schneider und meinem Schreiner entschuldigen und akzeptieren, dass der Schneider erst wissen konnte, dass die Gardinen zu klein sind, nachdem er sie gemacht hatte... weil er als Kind immer zusammengebunden rumhing. Wir kamen auf dieses Thema, weil uns ganz viele alltaegliche Beispiele einfielen, wo Leute Sachen nicht konnten, die uns ganz normal vorkommen. Zum Beispiel sehen, ob zwei Puzzlestuecke ineinander passen koennten. Oder wissen, welche Form ein Plaetzchenausstecher ausstechen wird, bevor man es ausprobiert hat.

Andererseits erinner ich mich vage an so eine romantisierende Ethnologin, die ich vor Jahren gelesen hab und die behauptete, dass um den Koerper gebundene Kinder viel gluecklicher und zufriedener werden und kein Heroin spritzen muessen, wenn sie gross sind. Also kann man uns Europaern auch nicht richtig boese sein, dass wir immer so griesgraemig (oh das ist aber mal ein schoenes Wort: Griesgram) durch die Gegend laufen und dauernd versuchen, Selbstmord zu begehn.

Krabbeln im Raum

Eva in Ghana

Gestern hab ich die Hollaenderin mit Keksen gefuettert, waehrend sie mir etwas Interessantes erzaehlte. Sie ist Paedagogin und kennt Studien darueber, dass Kinder durch Krabbeln ihr raeumliches Vorstellungsvermoegen entwickeln (wenn ich noch nicht dagegengeknallt bin, ist es weit weg, Wenn ich ploetzlich heulend auf dem Hintern sitze, war irgendwas zu nah dran...). Auch hat man festgestellt, dass Nicht-Krabbler schwerer lesen und schreiben lernen.

Hier werden die Kinder auf dem Ruecken der Mutter festgebunden und da bleiben sie stundenlang haengen, Kopf in den Nacken gekippt wenn sie schlafen und dann wieder aufmerksam in der Gegend rumguckend. Ich sollte mich also bei meinem Schneider und meinem Schreiner entschuldigen und akzeptieren, dass der Schneider erst wissen konnte, dass die Gardinen zu klein sind, nachdem er sie gemacht hatte... weil er als Kind immer zusammengebunden rumhing. Wir kamen auf dieses Thema, weil uns ganz viele alltaegliche Beispiele einfielen, wo Leute Sachen nicht konnten, die uns ganz normal vorkommen. Zum Beispiel sehen, ob zwei Puzzlestuecke ineinander passen koennten. Oder wissen, welche Form ein Plaetzchenausstecher ausstechen wird, bevor man es ausprobiert hat.

Andererseits erinner ich mich vage an so eine romantisierende Ethnologin, die ich vor Jahren gelesen hab und die behauptete, dass um den Koerper gebundene Kinder viel gluecklicher und zufriedener werden und kein Heroin spritzen muessen, wenn sie gross sind. Also kann man uns Europaern auch nicht richtig boese sein, dass wir immer so griesgraemig (oh das ist aber mal ein schoenes Wort: Griesgram) durch die Gegend laufen und dauernd versuchen, Selbstmord zu begehn.

So viele kleine Kinder

Eva in Ghana

Vor ein paar Tagen las ich einen Bericht ueber die oekonomische Situation im Builsa Distrikt, in meiner Region. Statistik ueber den Anteil der arbeitsfaehigen Bevoelkerung ueber 7 Jahre, der berufstaetig ist. Kennt ihr das, wenn ein Nebensatz einen ins Gesicht schlaegt.

Am naechsten Tag fuhr ich durch die Gegend und sah ueberall die berufstaetigen Siebenjaehrigen zur falschen Tageszeit ihrer Arbeit nachgehn. Das ist nicht Kinderarbeit wie in diesen Horror-Reportagen aus Asien, wo die Kinder als halbe Sklaven in kleinen dunklen Hoehlen, Raeumen, Kellern, Bergwerken, Puffs fuer einen fiesen Kapitalisten schuften, nie das Tageslicht sehn und ihrer Kindheit beraubt werden. Die meisten arbeitenden Kinder, die ich sehe, sind Hirten oder bestellen Felder, sie tragen zum Ueberleben der eigenen Familie bei oder arbeiten fuer jemand anders und befreien damit ihre Familie von der Buerde, sie zu fuettern. Oft seh ich zwei, drei kleine Jungs zusammen zwanzig Rinder mit Stoecken und Steinen durch die Gegend treiben, breit grinsend, wenn sie mir zuwinken. Das ist der Grund, warum ich das sehen kann ohne es wirklich zu sehn – uebersehen, dass diese Masse an Kindern alle nicht zur Schule gehn koennen, weil dafuer keine Zeit ist.

Vor ein paar Tagen erzaehlte Mary: Im Dorf sagt man, Kinder die Eier oder Fleisch essen, werden Diebe.

Und wo wir grad schon beim Thema Unterernaehrung sind, kann einer von Euch mir sagen oder einen Arzt fragen: Ich hab das Gefuehl, dass in besonders armen Doerfern die Babies zu kleine Koepfe im Verhaeltnis zum restlichen Koerper haben, keine Baby-Proportionen sondern eher die von Kleinkindern. Bilde ich mir das ein? Oder ist da was dran?

Aber da das Leben hier viel oefter froehlich als traurig ist, gibts auch noch ne schoene Beobachtung zum Thema Kinder: Ich bin beeindruckt, wie sehr sich die Vaeter hier um ihre Kinder kuemmern. Morgens sind die Strassen voll mit Vaetern, die ihre Kinder auf Fahrradgepaecktraegern, Mofas oder mit dem Auto zur Schule bringen, gestern sah ich einen mit zusammengerolltem Baby im Fahrradkorb am Lenker. Es ist normal, dass der Boss nicht im Geschaeft ist, weil er die Maedels von der Schule abholen muss...

So viele kleine Kinder

Eva in Ghana

Vor ein paar Tagen las ich einen Bericht ueber die oekonomische Situation im Builsa Distrikt, in meiner Region. Statistik ueber den Anteil der arbeitsfaehigen Bevoelkerung ueber 7 Jahre, der berufstaetig ist. Kennt ihr das, wenn ein Nebensatz einen ins Gesicht schlaegt.

Am naechsten Tag fuhr ich durch die Gegend und sah ueberall die berufstaetigen Siebenjaehrigen zur falschen Tageszeit ihrer Arbeit nachgehn. Das ist nicht Kinderarbeit wie in diesen Horror-Reportagen aus Asien, wo die Kinder als halbe Sklaven in kleinen dunklen Hoehlen, Raeumen, Kellern, Bergwerken, Puffs fuer einen fiesen Kapitalisten schuften, nie das Tageslicht sehn und ihrer Kindheit beraubt werden. Die meisten arbeitenden Kinder, die ich sehe, sind Hirten oder bestellen Felder, sie tragen zum Ueberleben der eigenen Familie bei oder arbeiten fuer jemand anders und befreien damit ihre Familie von der Buerde, sie zu fuettern. Oft seh ich zwei, drei kleine Jungs zusammen zwanzig Rinder mit Stoecken und Steinen durch die Gegend treiben, breit grinsend, wenn sie mir zuwinken. Das ist der Grund, warum ich das sehen kann ohne es wirklich zu sehn – uebersehen, dass diese Masse an Kindern alle nicht zur Schule gehn koennen, weil dafuer keine Zeit ist.

Vor ein paar Tagen erzaehlte Mary: Im Dorf sagt man, Kinder die Eier oder Fleisch essen, werden Diebe.

Und wo wir grad schon beim Thema Unterernaehrung sind, kann einer von Euch mir sagen oder einen Arzt fragen: Ich hab das Gefuehl, dass in besonders armen Doerfern die Babies zu kleine Koepfe im Verhaeltnis zum restlichen Koerper haben, keine Baby-Proportionen sondern eher die von Kleinkindern. Bilde ich mir das ein? Oder ist da was dran?

Aber da das Leben hier viel oefter froehlich als traurig ist, gibts auch noch ne schoene Beobachtung zum Thema Kinder: Ich bin beeindruckt, wie sehr sich die Vaeter hier um ihre Kinder kuemmern. Morgens sind die Strassen voll mit Vaetern, die ihre Kinder auf Fahrradgepaecktraegern, Mofas oder mit dem Auto zur Schule bringen, gestern sah ich einen mit zusammengerolltem Baby im Fahrradkorb am Lenker. Es ist normal, dass der Boss nicht im Geschaeft ist, weil er die Maedels von der Schule abholen muss...

Alles easy pupiesie?

Eva in Ghana
Ich erzaehl so viel von den non-konfrontativen Strategien hier, dem positiv-schwammigen Gerede mit dem man niemanden verletzt. „Vielleicht“ heisst „nein“, „ich bin sehr sicher“ heisst „ich hab keine Ahnung“. Das stimmt auch alles und ich lerne hier durch Beobachtung und Fettnapfschwimmen den Vorteil von fragen, indirekt reden und im Zweifelsfall Mund halten.

Aber das ist nur die Haelfte der Geschichte. Denn ich beobachte auch, wie Leute verdammt ruede miteinander umgehn. Gestern sass ich mit zwei Bekannten in dem „Gartenlokal“ wo man hier Sonntag nachmittags hingeht und ein kleiner Junge mit Apfelgeschaeft auf dem Kopf kam vorbei. Einer meiner Begleiter wollte einen Apfel und schnautzte den Jungen an, er solle stehenbleiben und wieviel die Aepfel kosten. Nachdem der Junge den Preis gefluestert hatte, schickte er ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung und einem Fluch weg und fragte mich dann freundlich, ob ich vielleicht einen Apfel haben wollte. Ich wollte, denn gestern war Apfelpfannkuchen mit Mary geplant. Also schnautzte er den Apfelladen an, er sollte zurueckkommen und waehrend ich versuchte freundlich zu laecheln und den Jungen wie einen Menschen zu behandeln, ging neben mir die herbe Show weiter. Da ich hier fremd bin und ohne Fragen nichts versteh, musst ich also nachfragen: Warum warst Du so unfreundlich zu ihm? Die Antwort: Das ist Strategie, wenn Du zu denen freundlich bist, hauen die dich uebers Ohr.

Natuerlich war er nun auch veraergert, dass ich nachgefragt und indirekt kritisiert hab. Aber da gab’s nur mein unschuldigstes Laecheln und ich hab ihm erklaert, warum ich immer fragen muss: Ich hab beobachtet, wie zwei Leute einander kennenlernen, dann finden sie raus, zu welchem Stamm der andere gehoert und fangen aus heiterem Himmel an, sich wuest zu beschimpfen: Du bist ein Esel, ein Dummkopf, ich bin Dein Boss und Du bist nur ein Sklave usw. Als naive Besucherin denk ich natuerlich, jetzt gehts los, gleich gibts blutige Stammeskonflikte. Aber – und deshalb muss ich fragen – mir wurde erklaert: Unsere beiden Staemme sind Spielkameraden. Wir sind eng miteinander verwandt und seit langer langer Zeit ist unklar, wer denn nun der Boss ist. Wenn ich einen dieser Spielkameraden (play-mates) kennenlerne, wird von uns erwartet, dass wir einander beschimpfen, aber das ist nicht boes gemeint, das ist doch nur Spass. Wenn der andere aelter ist als ich, darf ich ihn nicht so arg beschimpfen wie er mich, ich sag dann nur, dass ich der Boss bin.