Mittwoch, August 29, 2007

Ekel-Haft


In meinem Kopf gibt es ein Gefaengnis und wer sich nicht benimmt, fuer den gibt es Haftverschaerfung. Die Moeglichkeiten sind nahezu endlos. Natuerlich gibt es Einzel-Haft. Aber viel schlimmer sind Ekel-Haft, Laster-Haft und Grauen-Haft. Gestern war ich fuer ein paar Minuten in Ekel-Haft und ich kann Euch sagen, ist ganz schoen fies da.

Ich kam von Marys Haus, das mitten in den Hirsefeldern liegt, die gleichzeitig allen Anwohnern als Toilette dienen. Was normalerweise egal ist. Aber Mary begruesste mich: „Ich dachte nicht, dass Du kommst, es wird doch gleich regnen.“ In dem Gedanken, ich koennte den Schauer aussitzen, wartete ich so lange, bis es stockdunkel war und alle Trampelpfade knoecheltief ueberschwemmt. Ueberschwemmt mit dem Wasser, das schoen von den Hirsetoiletten abfloss. Da kann ich nur sagen: Danke Schwester P. dass Du mir Deine Platteau-Sandalen vererbt hast, womit ich wenigstens die mitteltiefen Pfuetzen halbtrockenen Fusses durchqueren konnte (Wusstet Ihr, dass Schuhe mit Absatz urspruenglich fuer diesen Zweck erfunden wurden? Um in den Staedten ohne Kanalisation trockenen und unbeschmutzten Fusses von der Haustuer zur Kutsche zu kommen.). Ich eilte im prasselnden Regen zurueck zum Auto, fuhr zuegig nach Hause und hatte grade den Schluessel in der Tuer, da stand ich auch schon in der Dusche, um meine Fuesse zu schrubben.

Hoechstwahrscheinlich war das ein aeusserst anstaendiges kleines Wuermchen, das seinen Lebensunterhalt mit ordentlichem unterirdischem Graben verdient und nur durch reinen Zufall an meinem Fuss haengengeblieben war. Und nicht einer dieser Parasiten, die sich unter die Haut setzen und dann langsam, Tag fuer Tag ein Zentimeterchen, rausgezogen und auf eine Spule gewickelt werden muessen, die man am Knoechel traegt, immer befuerchtend, dass man vielleicht zu hart gezogen hat und das Vieh abreisst und die andere Haelfte im Fuss steckenbleibt. Und natuerlich (natuerlich?) war dieser Kerl allein unterwegs und hatte nicht eine ganze Familie mitgebracht, die es sich schon unter meiner Haut gemuetlich gemacht hatten, waehrend sie auf den Nachzuegler warteten...

Ekel-Haft ist uebrigends die Strafe fuer eine zu ausgepraegte Vorstellungsgabe. Und zu detailliertes medizinisches Wissen...

Montag, August 27, 2007

Wenn schon, denn schon blond


Also, wenn schon Autounfall, denn schon so richtig unnoetig und bloedsinnig. Wie waer’s damit: Nach einem fettigen Mittagessen (wenn’s regnet kann keiner gut ueberm Feuer kochen), das uns allen vom Abschiedsschmerz eh schwer im Magen liegt, in mein Auto steigen und mit Schmackes in das hinter mir geparkte Auto fahren, so als waer’s gar nicht da gewesen.

Und dann rausfinden, dass der Besitzer es heute zum ersten Mal ausfuehrte, es noch nicht abbezahlt ist und genau die Art von gebrauchtem BMW, den sich ein Beamter hier kauft, um sich einen Traum zu erfuellen, der so grade ausserhalb seiner Moeglichkeiten liegt. Der Besitzer war so geschockt, als waere ich gegen ihn und nicht gegen das Auto gefahren und konnte mich nichtmal ordentlich anbruellen. Das uebernahm etwas halbherzig sein Kollege.

Als wir gemeinsam bei der Autoschrauberei ankamen, erinnerten sich die Schrauber, dass ich die bin, die vor nem Jahr mit diesem Bruellaffen von Unfallgegener hier war, der mir hinten rein gefahren war und trotzdem dachte, er koennte mir die Schuld anhaengen. Woraufhin ich schliesslich mit den Jungs den Deal machte, dass sie mein Auto gratis zurechtbogen und auf seine Rechnung den entsprechenden Betrag aufschlugen.

Heute war die Schuldfrage etwa genau so eindeutig, nur umgekehrt, man kann ja nem parkenden Auto nicht wirklich Mitschuld geben. Also ging’s nur darum, ob und wie wir die Ersatzlampen guenstig bekommen. Und da konnte ich noch einmal meine Probleme so loesen, wie ich die meisten Problems in den letzten zwei Jahren geloest hab. Douglas anrufen. Und ihm noch einmal dabei zusehn, wie er souveraen und respektvoll die Sache in die Hand nimmt.

Erwartet das Leben tatsaechlich von mir, dass ich von nun an meinen Alltag wieder selber in die Hand nehme?

Das Hundebaby


sieht mit drei Monaten schon verdammt eindrucksvoll aus und geht mir bis zu den Knien. Seine riesigen Fuesse (Wachstumspotential) lassen mich vermuten, dass man in unserem Haus in Accra in Zukunft nicht mal mehr die Tueren abschliessen muss, so gross ist der Bogen, den Diebe um unseren Garten machen werden.

Das Leben hoert nicht auf, bloss weil ich den Kopf unterm Kissen hab

Mein liebster Kollege hat mich grade begruesst (Wilkommen in Bolga) und mir erzaehlt, wie er die letzte Woche verbracht hat. Seine Frau ist krank und musste operiert werden. Zum Glueck nicht im Regionalkrankenhaus hier, anscheinend gibt es im Distriktkrankenhaus in Bongo einen Experten. Da sind die Krankenschwestern aufmerksamer und hoffentlich nehmen die Aerzte ihren Job ernster.

Was aber letztlich gar nichts bedeutet, wenn... Ja, stellt Euch vor, Ihr steht vor dem Operationssaal, wo sie an dem Menschen rumschneiden, den Ihr liebt und dann faellt der Strom aus. Und als sie endlich den Generator anschmeissen, ist der auch nicht stark genug, um wirklich einen Unterschied zu machen.

Vielleicht ist das sogar eine Situation, die man in Ghana eher ueberlebt, als zu Hause. Denn erstens sind die Leute hier so gewoehnt an Stromausfaelle, dass sie nicht mal mehr ueberrascht sind. Dann ist eine Operation hier immer noch eine ziemlich handwerkliche Aktivitaet, mit Skalpell, Tupfer etc und nicht vielen Kisten die Piepsen. Und wenn das nicht hilft, sind die Ghanaer so ueberwaeltigend religioes, dass sie ihr Schicksal ohnehin nicht in die Haende eines irdischen Oberarztes legen und ihr allmaechtiger himmlicher Oberarzt operiert ohne Strom...

Die Frau ist wohlauf.

Gefuehlsgelaehmt

Am liebsten wuerde ich mich in meinem Bett verkriechen, Bettdecke ueber den Kopf ziehen und Romane lesen und erst wieder rauskommen, wenn irgendwer mich nach Washington umgezogen hat, samt Bett und Decke.

Gleichzeitig: Am liebsten wuerde ich keine Sekunde mehr schlafen und mit grossen wachen Augen und offenem Herzen diese letzte Woche in Bolga in mich aufnehmen, so viel Zeit wie moeglich mit meinen Lieblingsghanaern verbringen, meinen Enkelsohn an Haaren und Zehen ziehn, damit er schneller waechst und ich das Gefuehl haben kann, ihm beim Aufwachsen zusehn kann.

Was ich in Wirklichkeit tu? Die meiste Zeit benehm ich mich, als sei das nur eine weitere von so vielen Wochen in Bolga – nur dass ich zwischen stundenlangem Normal-Tun ab und zu mein Buecherregal aussortiere, oder mit Marys Baby im Arm so tu als waere das Wasser auf meinem Gesicht Schweiss...

Mit diesem Blog geht’s mir genau so. Einerseits moechte ich Euch lustige Geschichten von unserem neuen Hund in Accra erzaehlen (Stellt Euch vor, der findet Deutsch viel besser als Englisch und liebt mich immer doppelt so sehr, wenn ich in meiner Heimatsprache mit ihm rede usw usf...) und herzzerreissende Geschichten von Mary. Andererseits... ja, andererseits liege ich doch gelaehmt in meinem Bett unter der Bettdecke und wenn ich nicht ueber Abschiedsgeschichten schreibe, passiert das alles vielleicht jemand anderem und nicht mir?

Und dann brauch ich mir auch keine Gedanken darueber zu machen, was mit „Evainghana“ passiert, wenn Eva nicht mehr in Ghana ist...

Mittwoch, August 22, 2007

Ganz viel zu lesen ueber Afrika gibt es hier:

http://www.zeit.de/themen/international/afrika/index

Kennt Ihr diese kleinen boesartigen guten Feen?


Man wuenscht sich was (zum Beispiel Regen) und vergisst, drei Seiten Kleingedrucktes hinzuzufuegen, und sie lachen sich eins in kleine Faeustchen "Hihihi, Regen sagst Du? Kannste haben!" Und wenn Deine ganze Maisernte ueberschwemmt ist und Du klagst, dass Du das doch gar nicht so gemeint haettest und eigentlich nur an einen Schauer hier und da gedacht hattest, gucken sie Dich mit grossen blauen Augen an und tun ganz unschuldig: "Ach so... Das haettest Du sagen sollen..."
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Zwei neue Mitbewohner in Bolga

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Mehr Nachwuchs

Heute kommt mit dem Flugzeug aus Suedafrika unser neues Wachhundbaby an - ein betaeubtes unbegleitetes Gepaeckstueck. Ueberall gibt's also Babys, denen man beim Aufwachsen zusehn kann, und ich verschwinde.

Dienstag, August 21, 2007

Montag, August 20, 2007

Weltstadt Dueren

Wir koennen stolz sein, unsere Heimat ist in allen Zeitungen! Warum? Weil ein Duerener einem Juelicher ein halbes Ohr abgebissen hat. Da wird Weltgeschichte gemacht. Alte Stammeskonflikte flammen wieder auf und die Welt schaut zu...

Nachzulesen unter http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,500740,00.html

Samstag, August 18, 2007

Der Teufel scheisst auf den groessten Haufen…


In einem Dorf in Tansania, erzaehlte uns eine Ghanaerin gestern, gab es keine Toiletten und alle Bewohner hockten sich statt dessen grade neben ihre Haeuser. Es ist nicht verwunderlich, dass in diesem Dorf Durchfall und alle moeglichen faekal uebertragenen Krankheiten besonders verbreitet waren. Entwicklungshelfer kamen in das Dorf, sahen das Problem und wussten, das ist ganz einfach zu loesen. Sie bauten Latrinen.

Als sie nach ein paar Jahren wiederkamen, um den Erfolg des Projektes zu begutachten, waren die Latrinen noch voll funktionstuechtig und sehr sauber. Das lag vor allem daran, dass die Menschen immer noch rund um ihre Haeuser kackten und die Latrinen nicht benutzten. Als die Helfer versuchten, rauszufinden, wo bitteschoen das Problem liegt, lernten sie Folgendes: Jeder wuenscht sich, dass um sein Haus herum besonders viel gekackt wird, je mehr Exkremente sich um Dein Haus tuermen, desto mehr Frauen wollen Dich heiraten. Schliesslich ist offensichtlich, dass Du Deine vorhandenen Frauen hervorragend fuetterst. Warum also wuerde irgendwer dieses Zeichen von Reichtum in einem Klo verstecken wollen?

Waehrend die Seminar-Teilnehmer lachten, meinte einer: „Aber das ist in Ghana doch ganz aehnlich. Wenn Du zum Haus des Chiefs von Paga gehst, siehst Du, dass sich davor der Muell nur so auftuermt. Also weiss jeder, der zu diesem Haus kommt, der Chief kann es sich leisten, so viel Muell zu produzieren!:

Mittwoch, August 15, 2007

Im Vorbeigehn aufgeschnappt


Gestern wurde in Bolga ein Bus voller Kinder angehalten, die alle fuer den Verkauf in den Sueden vorgesehen waren. Die ganze Busladung sass nun in der Polizeistation rum. Die Kinder kommen alle hier aus der Umgebung, wo genuegend Leute arm und verzweifelt genug sind.

Aus den Nachrichten


Vor ein paar Wochen fanden sie in Accra ein junges Maedchen, das unter die Sitzbank eines Mercedes Busses gekettet war. Sie war aus Wa im aeussersten Nordwesten des Landes davongelaufen, weil ihre Eltern sie einem Mann versprochen hatten, den sie nicht heiraten wollte. Nun hatten Familienmitglieder sie gefunden und wollten sie so gut verpackt ihrer rechtmaessigen Verwendung zufuehren.

Die Story war tagelang auf der ersten Seite aller Zeitungen und alle schrien entsetzt auf. Das war aber auch mal ne coole Story, die all unsere voyeuristischen niederen Instinkte anspricht und das Foto, wo sie die Ketten durchsaegen, hat etwas an sich, dass man es nur anstarren will. Andererseits will ich mal nicht zu zynisch sein, denn die Tatsache, dass das so eine gruslige Sensationsstory ist, hat dafuer gesorgt, dass das Thema Zwangsheirat in der oeffentlichen Diskussion in den Vordergrund gerueckt ist.

Hemmungen (ich) – keine Hemmungen (er)


Also der Radiomann kennt echt keine Hemmungen, jetzt wo er sich nicht mehr vor mir verstecken muss, weil ich dem Sender erlaube, seine Schulden in Radiozeit statt in Silberdollars zurueckzuzahlen. Heute morgen war ich im Radiosender, weil meine neue Mitbewohnerin da gerne ein Praktikum machen wuerde. Da traf ich Radiomann, der seine ueblichen Loblieder auf mich sang (Worte kosten nix...), um dann weiterzusaeuseln: „Eva, ich wollte sowieso in Dein Buero kommen, denn ich brauche Deine Hilfe! Wir wollen eine website starten und dafuer muessen wir etwas bezahlen und zwar mit Kreditkarte und ich wollte fragen, ob wir dafuer Deine Kreditkarte benutzen koennten?“ In mir schrie eine laute Stimme: „Hae???“ Waehrend ich versuchte, mein Gesicht unter Kontrolle zu halten und ihn nicht zu fragen, ob er se noch alle im Oberstuebchen hat und wie er auf die Idee kommt, dass ich JEMALS das Beduerfnis verspueren koennte, ihm nochmal zu helfen oder gar meine KREDITKARTE anzuvertrauen. „Nein, tut mir leid, weisst Du, ich hab gar keine Kreditkarte“, war meine halbwegs Ghanaische Antwort.

Im Buero hab ich mich mit meinem Kollegen darueber unterhalten, der meinte: „Du haettest sagen sollen, dass Du das machst und auf Vorauskasse bestehn und sobald Du das Geld in den Haenden hast, freundlich laecheln und sagen: Oh, grade faellt mir ein, dass Du mir ja auch noch Geld schuldest, danke fuer die Rueckzahlung! Und tschuess...“

Eine Minute lang dachte ich: Clever. So’n Mist, dass ich behauptet hab, keine Kreditkarte zu haben.

Um gleich in der naechsten Minute ueber mich selbst zu lachen, weil mir klar wurde, dass meine Kultur und/oder Persoenlichkeit oder beides so anders sind und das einfach nicht erlauben wuerden. No way! Waehrend viele Ghanaer das als angemessene Reaktion sehen wuerden (und ich in meinen Fantasien auch grosse Genugtuung empfinde), bellt der innere Schweinehund laut und wuetend: „BETRUUUG!“

Und dann lach ich zum Schluss noch einmal kurz ueber meine ganze Familie, denn ich glaube wir alle finden kleine Gauner faszinierend und haben haeufig welche irgendwo im Hintergrund unseres Bekanntenkreises rumlungern und rumgauners und geniessen den grusligen Schauer des Zuschauens. Und nachts traeumen wir davon, wie das waere, ebenso wild zu sein, wie die wilden Jungs. Nur um aufzuwachen und zu wissen, dass wir mal wieder vergaunert wurden und uns erneut zu schwoeren, dass das nie wieder passieren wird.

Dienstag, August 14, 2007

Tantalus

Ihr erinnert Euch? Der mit dem Qualen. Der stand – fuer welches Vergehen auch immer – in seiner ganz persoenlichen Hoelle bis zum Hals im Wasser, aber jedes Mal, wenn er sich zum Trinken runterbeugte, verschwand das Wasser. Nach gleicher Art hing das Essen immer genau ausser seiner Reichweite.

So geht’s uns im Moment. Wir sind mitten in der Regenzeit, seit Wochen regnet es fast jeden Tag in Stroemen, rechts und links der Fluesse sind alle Felder ueberflutet, die ungepflasterten Strassen entwickeln sich zu Schlammfallen, in die man sich immer tiefer eingraebt, sobald das Auto einmal steckengeblieben ist.

Gleichzeitig fliesst in unseren Leitungen seit einer Woche kein Wasser mehr. Also: Alle Eimer raus stellen, auf Regen warten und mit der Plastik-Tasse duschen. Und wenn kein Regen faellt, jemanden finden, der mit Eimer auf dem Kopf zur Pumpe um die Ecke geht und Wasser ranschleppt. Hoffen dass sie nicht im Schlamm ausrutscht. Zum Glueck haengt wenigstens das Essen nicht in der Luft...

Sonntag, August 12, 2007

Schrubben


Die aelteste Frau im Haushalt waescht das Kind zweimal am Tag. Diese Aufgabe kann man der Mutter nicht zumuten, denn kaum eine frischgebackene Mutter koennte ihrem Kind das antun. Die alte Frau setzt sich hin, stellt eine Schuessel zwischen ihre Beine, schiebt ihren Rock hoch, legt das Kind auf ihre Knie und bearbeitet es mit sehr heissem Wasser, Kernseife und einem Schrubbschwamm: Schrubbschrubbschrubb in kreisenden Bewegungen ueber den ganzen Kopf, Bauch, Ruecken, Beine, heisses Wasser auf den heilenden Nabel giessen, mit dem Finger den Po von innen sauber machen, waehrend das Kind sich ans Knie der Oma krallt, mit Seifenwasser die Augen reiben und das ganze von vorne, dann werden die duennen Aermchen nach vorne und hinten gebogen, die Beinchen ueberkreuzt und in entgegengesetzte Richtungen gedehnt, mit schnellem erfahrenem Griff, zackzack, nicht brutal im eigentlichen Sinne, also nicht mit dem Ziel, das Kind zu verletzen, sondern einfach nur, weil man ein Kind nunmal so waescht. Mary sitzt neben mir und wir beide halten den Atem an und wissen, wir koennten das nicht.

Koenigin Mary


Mary hat ihren gesunden erstgeborenen Sohn nach Hause gebracht und hat sich damit als perfekte Frafra Ehefrau erwiesen. Nun ist sie die Koenigin. Donnerstag, als ich sie aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht hatte, kam ich abends noch mal zu Besuch. Sie sass mit nacktem Oberkoerper auf dem Boden, hinter ihr auf dem Stuhl sass eine junge Frau, die ihr das Haar in enganliegende Flechten legte, zu ihren Fuessen sass ihr Mann, der ihr die Zehennaegel mit einer Rasierklinge schnitt und neben ihr unter dem Moskito-Netz schlief ihr kleiner Engel. Diese romantische Szene haeuslicher Zufriedenheit wurde untermalt von einem auf volle Lautstaerke gedrehten nigerianischen Hexenfilm, waehrend im Hintergrund die Stereoanlage vor sich hin wummerte.

Donnerstag, August 09, 2007

Maulkorb

Keiner will die blutigen Details hoeren! Maenno! Weder vor dem Essen, noch waehrenddessen oder danach. Meine europaeischen Freundinnen in Bolga sind alle kinderlos, wollen das aber nicht bleiben. Deshalb haben sie mich mit einer Nachrichtensperre belegt, in Bezug auf alles, was an einer Geburt beschwerlich erscheinen koennte. Und, lasst es Euch gesagt sein, alles an einer Geburt ist beschwerlich. Und da wir in Deutschland ohnehin schon mit niedrigen Geburtenraten zu kaempfen haben, werde ich die Details auch nicht aufschreiben, sondern sie wohl einfach tief in meinem Herzen begraben und lieber weiter von der Schoenheit des Ergebnisses schwaermen. Vielleicht schaff ich's damit auch, mich selbst zu ueberzeugen. Und Mary, die weiterhin daran festhaelt, dass es reicht, einmal durch diese Schmerzen zu gehn, und dass sie, dankeschon, auf weitere Kinder verzichten kann...

Ich bin froh


Das sagt man ja schon mal so. Aber ich bin wirklich bis oben hin voll mit Freude und Glueck und bloedsinnigem Laecheln und unnoetigen Traenen, die immer grad unter der Oberflaeche darauf warten, aus den Augen zu spritzen. Wir haben den allerschoensten und so intelligenten und liebreizendsten Sohn und Enkel geboren und ich hab tatsaechlich das Gefuehl, als haette ich nicht einfach nur nutzlos und hilflos daneben gestanden, sondern irgendetwas dazu getan, dass alles gut wurde. Heute morgen hab ich Mary vom Krankenhaus abgeholt und alle schwangeren Frauen und frischen Muetter gruessten mich mit einem liebevollen Blick. Mary sagt, die sind alle ueberzeugt, dass ich das Baby auf die Welt geholt hab. Das macht ja auch Sinn, ausser Geburtshelferinnen darf niemand in den Kreissaal und ausserdem musste ich auch nen gruenen Kittel tragen. Also, Mary ist VIP Patientin und bringt ihre eigene weisse Hebamme... Zu Marys Haus sind wir in einer lachenden Karavane durch die Milletfelder gegangen. Hinter uns n Haufen Kinder, die unsere Sachen trugen und einander Angst machten: „Die weisse Frau wird Dir den Kopf abschneiden!“ Im Haus lernte mein kleiner Enkel gleich, wie Glueck in Ghana aussieht – bzw sich anhoert: Laerm ist Leben! Die Stereo-Anlage mit Hip-Life Musik, der Fernseher plaerrt Fussball und in einem 6 Quadratmeter Zimmerchen draengen sich zehn Leute allen Alters und lachen und reden und wurschteln an dem Baby rum, das mit offenen Augen so tut als koennte es schon sehen, ansonsten aber eher schweigsam ist.

Mittwoch, August 08, 2007

Danach


Nachdem ich zur Kaffeepause aufgebrochen war, hatte ich keine Zeit mehr, zwischendurch kurz aufzuschreiben, wie’s geht. Mary war in wilden Schmerzen und bei 6 cm, als ich zum Haendchenhalten kam. Es zerriss mir das Herz und ich wusste schnell, dass es keine Workshops gibt, die man nicht ausfallen lassen kann. Vor allem nicht, wenn man in einem so bescheuerten Land ist, wo sie nur die Weisse Frau nicht aus dem Kreissaal schmeissen. Alle normalen Ghanaerinnen, die keine Eva zur Freundin haben, bekommen ihr Kind allein mit den Schwestern.

Wer hier haeufiger rein liest, weiss, dass ich ueber die unterschiedlichsten Gefuehle zum Lachen und zum Heulen schreibe. Aber auch, dass es einen Punkt gibt, wo das Gefuehl und das Erlebte zu intensiv und echt und privat werden, um zu einer spannenden Geschichte ausgewalzt zu werden. Also: Ich war die ganze Zeit dabei, hab Mary gehalten, ihr was vorgesummt und ins Ohr gefluesstert und irgendwie versucht, uns gemeinsam da durch zu schleppen. Die Krankenschwestern fanden mich sicherlich uebermaessig besorgt, haben sich aber freundlich benommen und mich nicht rausgejagt. Seit 14:45 haben wir einen kleinen Sohn, der ganz weiss ist (alle Schwarzen sind bei der Geburt hell) „Ganz die Oma“, sagte eine Krankenschwester und zeigte auf mich. Und wir haben gemeinsam etwas erlebt, was gleichzeitig das Normalste und das Aussergewoehnlichste der Welt ist und wofuer mir die Worte fehlen.

11:35

Ich sitze in einem Workshop, den ich nicht ausfallen lassen konnte, manage die sms Kommunikation mit Freunden und Familie, die in allen Ecken der Welt fuer Mary beten, Kerzen in Kathedralen stellen und mit ihren Herzen bei uns sind. Ich hoffe, dass gleich Kaffeepause ist und ich ins Krankenhaus rueberfahren kann und kurz Hand halten.

9:30


Mary wollte ihrer Mutter nicht Bescheid sagen, sonst macht die sich bloss Sorgen und isst nichts und schlaeft nicht. Sie kann sich nicht vorstellen, dass die Mutter sich vielleicht Sorgen machen MOECHTE um die Geburt des ersten Kinders ihrer einzigen Tochter.

Nun, weil Muetter aber Muetter sind, hatte Marys Mutter heute morgen so ein Gefuehl und machte sich auf den langen Weg zum Hause der Schwiegerfamilie, um rauszufinden, was los ist. Zu dem Zeitpunkt hatte Mary schon bei ihrer Schwiegermutter angerufen, um nachzufragen, was das ganze Wasser zu bedeuten hat. Also hat die Schwiegerfamilie Marys ausdruecklichem Wunsch widersprochen und Mama alles erzaehlt.

9:00


Mary zeigt mir, was man alles mit ins Krankenhaus nimmt: Seife, Handtuch, Nachthemd, etc... Desinfektionsmittel, Gummihandschuhe fuer den Arzt... „Ja,“ sagt sie „Du musst zwei Handschuhe mitbringen – sonst kaufst Du sie hier und das ist viel teurer.“

8:00


Wieder im Krankenhaus, jetzt wird’s ernst, selbst die Krankenschwestern geben zu, dass Mary sich nicht anstellt, sondern ein Kind kriegt. Muttermund 3 cm geoeffnet, wir brauchen 10 (fuer die von Euch, die vom Gebaeren so viel Ahnung haben, wie ich). Die Hebamme sagt: „Geh Du ruhig zur Arbeit, das dauert noch.“ Und ich versuche, die Hollaendische Austausch-Schwester zu bezirzen, dass sie mit Mary in den Geburtsraum geht und vielleicht dafuer sorgen kann, dass die ghanaischen Kolleginnen nicht so hart zuschlagen.

Nochwas

Ist es nicht grossartig, dass meine kleine Mary, die kaum zur Schule gegangen ist, und ansonsten hoechstens die Bibel liest, dieses Gesundheitsbuch mit so einer Selbstverstaendlichkeit und Selbstverantwortung zu Rate zieht, langsam und sorgfaeltig Satz fuer Satz liest, um rauszufinden, was mit ihr los ist?! Ich bin so stolz auf sie.

Wildes WG Leben...

Heute morgen, sobald ich anfing halbwegs wach in meiner neuen WG rumzulaufen (Mary ist jetzt sicherheitshalber hier), kam Mary mit dem Medizinbuch zu mir: „Sista Eva, ich glaube, das ist heute morgen mit mir passiert!” und zeigt auf den Abschnitt wo beschrieben wird, wie das Fruchtwasser abgeht. Also, der Punkt ohne Wiederkehr. Als ich verschlafen sage: „OK, los, wir fahren ins Krankenhaus“, sagt sie: „Nein, lass uns noch ein bisschen warten, sonst sagen die Krankenschwestern, dass ich ihnen auf den Geist geh!“ Waere das ein Film und nicht mein Leben (und Marys), wuerde ich all das im Hintergrund erzaehlen, waehrend der Film zeigt, was gleichzeitig in meinem Hof passiert. Der einaeugige Klemptner ist gekommen, um meinen Wassertank zu reparieren, der irgendwie blockiert ist, und als er einen Wasserhahn abmontiert, spritzt ihm das Wasser unter Druck entgegen und ist nicht zu stoppen.

Dienstag, August 07, 2007

Naechster Morgen


Die Nacht hab ich – auf jedermanns Wunsch – zu Hause verbracht. Telefonisch konnte ich sie nicht erreichen, weil ihr Handy kaputt ist, also sorgte ich mich hin und her und sass kurz nach sieben schon wieder an ihrem Bett. Sie sieht noch genau so ruhig und schwanger aus, wie gestern und wir fangen an, uns zu fragen, wie lange das wohl dauern wird.

Bei der Morgenrunde stellt der Gynokologe ein paar Fragen, untersucht die Patientin aber nicht, um dann zu entscheiden, dass sie ihr Kind doch noch nicht bekommt, sondern nach Hause gehn kann. Als er sie einwies, hat er sie tatsaechlich untersucht, mit Anfassen und so. Aber seitdem war die einzige medizinische Aufmerksamkeit, die sie erhielt, einmal Fieber messen, einmal Blutdruck messen und mit dem Foetoskop hoeren, ob das Herzchen noch schlaegt.

Also Sachen packen und nach Hause. Auf dem Weg haben wir beim Ultraschallmann Station gemacht. Vor den Toren des Krankenhauses hat er einen Metal-Container, in dem ein Ultraschall-Computer steht. Der Scan gehoert nicht zum Standard-Program fuer Schwangere, von der Krankenversicherung wird er nur im Falle von Risiko-Schwangerschaften uebernommen, ansonsten ist das was fuer Reiche.

Also haben wir uns heute das Baby zum ersten mal angescant. Der Arzt sagt: „Hier ist der Kopf, das Herz, der Magen, oh und hier, was ist das? Genau, es ist ein Junge! Und das sind die Beinchen und jetzt messe ich den Kopf aus und den Magen und dann kann ich Euch sagen, wie alt das Baby ist und wann es faellig ist. Oh, ja, 10. Oktober. Und hier, was ist das, schaut genau hin! Ja, es ist ein Maedchen!“

Nun sind wir fuer das ganze Geld auch nicht schlauer als vorher, haben wir uns um zwei Monate (ZWEI MONATE!) verrechnet? Hat der Gynokologe im Krankenhaus keine Ahnung? Und, naja, jetzt wissen wir wenigstens, dass es entweder ein Junge ist oder ein Maedchen. Was wir garantiert ausschliessen konnen, ist dass Mary einen Apfel, eine Banane oder eine Kiwi gebaert.

Montag, August 06, 2007

Ein paar Stunden spaeter


Kinderkriegen, oder zumindest beim Kinderkriegen zugucken, ist aufregend und langweilig. Aufregend, weil ich hier in der Warteschlange zwischen zwei Erstgebaehrenden sitze und wir alle drei nicht wissen, wie das eigentlich funktionniert und uns gegenseitig mit Horrorgeschichten unterhalten. Mary ist darin besonders gut, sie hat Ohren und Augen ueberall, um mitzukriegen, wie’s den anderen 20 Frauen in diesem Schlafsaal ergeht.

Die bewusstlose Frau da hinten hatte einen Kaiserschnitt und dabei das Kind verloren (eine Geschichte, die sich als halb wahr rausstellte, dem Kind geht’s gut, nur die Mutter kotzt im Schlaf). Im Gebaehrraum ist eine Frau, die mitten in der Geburt nicht mehr pressen kann, das Koepfchen ist schon raus und jetzt muessen sie die Frau ganz doll pruegeln, damit sie weiter presst (spaeter geht Mary auf der Suche nach einer Schwester in den Gebaehrraum und als sie zurueckkommt, erzaehlt sie uns: „Die schlagen sie nicht mit Haenden sondern mit Stoecken“). Die Frau gegenueber hat ein Kind geboren, das nicht schreien will und ganz winzig ist. Schnodder laeuft ihm aus der Nase und eine Schwester mit Beatmungsflasche versucht, ihm das atmen beizubringen. Die Mutter bietet mir an, ihren Sohn mitzunehmen und ich sage, sie soll ihn erst gross und stark fuettern, bevor ich ihn heirate (beides sind hier typische liebevolle Neckereien, die den Neuankoemmling leicht schockieren koennen). Mary sagt: „Wenn der Kopf rausguckt, steckt die Hebamme dem Baby die Finger in die Ohren (sie steckt sich selbst die Finger in die Ohren und zeigt wie) und zieht es raus.“

Wegen all dem ist es unglaublich aufregend. Warum ist es langweilig? Weil bei meinen Maedels nichts passiert.

Mary’s Geburtstag


Letzte Woche hat Mary noch lachend verkuendet: „An meinem Geburtstag fuehr ich mich selbst zum Essen aus und ess n ganzes halbes Huhn.“ Nun, dieser Plan wurde wohl durchkreuzt. Als ich zur Mittagspause nach Hause kam, war das Haus sauber aber verlassen. Ich hatte grade die Bohnen aufgesetzt, als mein Telefon klingelte: „Sista Eva, die haben mich hier behalten und sagen, ich bekomm jetzt mein Kind. Meine Schmerzen sind keine Krankheit, sondern Wehen!“

Wir haben uns verrechnet, oder sie ist zu frueh dran. Ich bin ein kopfloses Huhn und frage mich zum hundertsten Mal, wie ich jemals selber Kinder kriegen soll, wenn ich schon fuer fremde Baeuche so viel Angst haben kann. Es ist drei Uhr Nachmittags, ich sitze neben Marys Bett im Krankenhaus und schreibe diesen Blog auf Papier. Mary denkt, ich arbeite und ich lasse sie in dem Glauben, denn sie hat ein so schlechtes Gewissen, mich von der Arbeit abzuhalten.

Mit ihrem kleinen Kugelbauch sieht sie so zart und kindlich aus, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass da ein komplettes Baby drin sein soll, dass sie ganz allein durch die erwachsenen Schmerzen einer Geburt gehen soll und dass sie schon ganz bald selber Mutter sein wird. Meine kleine Mary. Ich sage allen, sie sei meine Tochter und sie lachen freundlich ueber diese weisse Spinnerin...

Mittwoch, August 01, 2007

Radio-Star werden

Das mach ich noch schnell mit links, bevor ich hier abhaue. Also, Dienstag nachmittag alle schoen Rock FM 103.7 einschalten und Eva dabei zuhoeren, wie sie zum Thema Fischerei in kleinen Staudaemmen n dummes Gesicht und nen guten Eindruck macht.