Freitag, April 27, 2007

Haben wir uns Koeln nur ausgedacht?


Ob es ueber Castrop Rauxel oder Hildesheim ein Lied gibt, wissen nur die, die da aufgewachsen sind. Fuer Bochum gibt es DAS Bochum Lied und es ist Groenemeier zu verdanken, dass Bochumer Fussballfans musikalisch viel Komplizierteres meistern muessen, als Oleoleoleole... Aber Koeln. Ich koennte von morgens um sechs bis abends zum Stromausfall Koeln-Lieder hoeren und waere immer noch nicht am Ende angekommen.

Ham wir se noch alle? Ist das ein kollektiver sich selbst verstaerkender Wahn? Haben wir’s einfach so lange wiederholt, bis alle andern gesagt haben: „Jaja, schon ok, ich glaub’s ja, dass Koeln was ganz Besonderes ist. Zufrieden? Koennen wir jetzt mal von was anderem reden?“ Worauf wir dann ganz schlau folgerten: “Siehste, die sagen auch Koeln ist besonders!“

Ich liege von Hitze erschlagen auf meinem Sofa, hoere die koelschen Lieder, die Herr F. mir geschickt hat und bin lokalpatriotisch verwirrt. Wenn mich hier jemand fragt, wo ich herkomme, sag ich aus Koeln (wer wuerde Dueren zugeben, wenn’s nicht sein muss?), trag zu meiner Arbeit jeden Tag die Tasche, die sagt „Koelnerin“ und schwaerme immer davon, wie speziell und anders die Leute zu Hause sind.

Aber ploetzlich sagt mir eine Stimme im Hinterkopf: In den zwei Jahren in Ghana hab ich ein ziemlich ueberzeugendes Ghanaisches Englisch gelernt, mit all den harschen Toenen und gramatikalischen Kreativitaeten, das sprech ich als kaem’s direkt aus meinem Blut. Aber den Dialekt meiner vielbesungenen Heimat? Den kann ich ja nichtmal ueberzeugend nachmachen! Das reicht hoechstens, um in Accra auf dem Sofa zu sitzen, mitzusingen und mir einzubilden, dass ausgerechnet Karnevalslieder die Wahrheit sagen..

Ob ich wohl, wenn ich es irgendwann mal schaffen sollte, zwei Jahre in der Suedstadt zu wohnen, auch diesen fremden Akzent so in mich aufsaugen wuerde, wie mein Schottisches, Suedafrikanisches, Ghanaisches Englisch? Bis ich mich fast so anhoere, als kaem ich von da?

Dienstag, April 24, 2007

Trunkenbold


Manchmal stolper ich hier fern der Heimat in meinem Kopf ueber deutsche Woerter, die laengst auf der roten Liste stehn und denke: Was fuern schoenes Wort. Und Trunkenbold gehoert dazu. Natuerlich wissen wir heute alle, dass wir dem gleichen Kerl den Namen einer Krankheit geben muessen, dass es sich um einen Alkoholiker handelt und nicht um einen Raufluemmel. Aber irgendwie, wenn ich mir meinen kleinen Tagwaechter anschau, das ist und bleibt ein Trunkenbold. Aber ueber den Tagwaechter hab ich nur nebenbei nachgedacht, denn die Heldin dieser Geschichte ist seine Frau.

Vor Monaten haben die beiden mich um einen Kredit gebeten, damit die Frau sich selbstaendig machen kann, statt auf der Baustelle Zement zu schleppen, weil Maenne nie Geld mit nach Hause bringt. Kann er ja nicht. Muss er ja versaufen. Das Geld war laengst von Wachmanns Gehalt abgezogen und zurueckgezahlt und vergessen, als Mary vor ein paar Tagen sagte: Weisst Du, dass Wachmannfrau immer noch im Geschaeft ist? Sie kocht morgens und abends Essen, das sie im Viertel verkauft und ist in der Gegend die Einzige, die das macht. Ihrem Mann hat sie die 500 000 Startkapital (50 Euro) sogar zurueckgezahlt.

Ich war beeindruckt. Und froh, dass helfen manchmal so einfach und schmerzlos ist, dass man’s gleich danach vergessen hat. Mary hat meine Gruesse offensichtlich ausgerichtet, denn heute Abend stand Wachmannfrau in meinem Garten, um mich um einen weiteren Kredit, diesmal fuer Saatgut, zu bitten. Da hab ich gesagt: „Madam, das geb ich Ihnen gerne. Sie haben mit dem letzten Geld so gut gewirtschaftet, dass ich mich freue, dass Sie wieder hier sind.“ Vielleicht sollte ich mich nach meiner Rueckkehr bei der Kreissparkasse bewerben...

Das Beruehren der Figueren...

mit den Pfoten ist verboten...

Gestern hab ich mich endlich getraut, meine Hand auf Marys kleinen Fussballkugelbauch zu legen, um zu sehn, was da so los ist. Um sie davon abzulenken, dass ich mir das rausnehme, fragte ich sie: „Ist das hier auch so, dass schwangere Baeuche ploetzlich oeffentliches Eigentum werden und jeder denkt, er darf mal fuehlen?“ Sie guckte mich geschockt an: Nur die Frau und ihr Ehemann. Bei allen anderen hast Du Angst die legen nur ihre Hand auf Deinen Bauch, um danach Juju (boesen Zauber) mit Deinem Kind zu machen, damit das krank wird oder stirbt.

Da ist es wieder, das grundlegende Misstrauen, das diese Gesellschaft durchdringt.

Warum sollte Frau Nengelken von Gegenueber so nen Aufwand betreiben und extra nach Birkesdorf zum Zauberer fahren und dem viel Geld bezahlen, nur damit mein Baby stirbt? Hat die nichts Besseres zu tun? Aber die Logik geht ja hier rueckwaerts: Mein Baby ist gestorben. Also muss irgendwer es umgebracht haben. Dann mach ich Ehnemehnemuh mit allen, die mir die Hand auf den Bauch gelegt haben und schon weiss ich, wer’s war.

Und weil natuerlich wirklich kein normaler Mensch auf die Idee kaeme unschuldige Babys durch Handauflegen zu toeten, ist damit bewiesen, dass Frau Nengelken eine Hexe ist, die das aus Bosheit tut oder weil sie von Daemonen besessen ist. Was wiederum rechtfertigt, dass sie vertrieben oder getoetet werden muss. Ganz logisch oder?

Montag, April 23, 2007

„Scheissnormales oedes Wochenende in Bolga“


Das ist der Name des Theaterstuecks, das Debbie und ich letztes Wochenende aufgefuehrt haben.

Publikum: Wir selbst.

Schauspieler: Wir selbst.

Die Kritiker (ebenfalls wir selbst) sagen: Nicht sehr ueberzeugend.

Denn in Wirklichkeit war das Debbies letztes Wochenende in Bolga. Sie fliegt zurueck nach England um Ihr Leben dort nach zwei Jahren Abwesenheit mit neuem Elan in die Haende zu nehmen. Und wir bleiben hier und laecheln tapfer. Debbie und ich haben in den letzten Jahren viel darueber gescherzt, dass wir – bis auf ein paar unwichtige da koerperliche Details – hier als Ehefrau und Ehefrau zusammenleben, zwar mit getrennten Haeusern, aber ein normaler Tag begann haeufig mit einem Morgentelefonat, ging weiter mit gemeinsamem Mittagessen, nachmittags haben wir am Telefon die neusten Neuigkeiten ausgetauscht und besprochen, was wir denn am Abend unternehmen... also, ob wir bei ihr essen und einen Film gucken oder nur einen Film gucken oder nur essen. Oder vielleicht in der Kneipe nebenan essen. Und keinen Film gucken. Wilde Abende in Bolga.

Jetzt kann ich die meine Abende in Bolga damit verbringen, zu ueberlegen, ob ich mir den rechten Finger ins linke Ohr stecke oder den linken Finger ins rechte oder den rechten ins rechte und gleichzeitig den linken ins linke oder vielleicht sogar ausprobieren, ob ich es schaffe mir den kleinen Finger der linken Hand ins rechte Ohr zu stecken, waehrend ich mir den Daumen der gleichen Hand ins linke Ohr stecke. Wilde Abende in Bolga.

P.s.: Letzte Version funktionniert nicht. Aber mit viel Geduld und Brutalitaet sehe ich eine Chance fuer Daumen und Ringfinger. Falls Eure Lebenssituation der meinen gleicht, bin ich gespannt auf Erfahrungsberichte.

Sonntag, April 22, 2007

Nen Fuss machen


Ommausgeich haette darunter vermutlich die Zeugung eines rothaarigen Jungen (=Fuss im Geicher Dialekt) verstanden. In Ghana ist „Making a fuss“ eine der Kulturtechniken, die ich erst langsam lerne. Und das nach ueber zwei Jahren.

Freitag morgen am Flughafen in Accra. Ich hatte am Vortag ein Ticket nach Tamale gekauft und bezahlt, war aber trotzdem nicht auf der Liste der Fluggaeste. Gemeinsam mit 10 anderen. Was bei einem 17sitzer Flugzeug doch arg ins Gewicht faellt.

Waehrend ich mit traurigen Augen am Schalter lehnte und hoffte, damit das Herz des Schicksals zu erweichen, sprach mich ein Leidensgenosse an, der schon die ganze Zeit einen unglaublichen Tanz veranstaltete, seine WICHTIGKEIT, die WICHTIGKEIT seines Meetings, jedermanns INKOMPETENZ, bellte und wedelte er auf und ab. Irgendwann sagte er leise zu mir: „You have to make a fuss or you will never get a seat!“ (Du must nen Aufstand machen, sonst kriegst Du nie nen Platz!)

Meine Guete, ich komme doch aus einer Gegend, wo man nicht verhungert, wenn man sich hinten anstellt, wo man den Kopf schuettelt, wenn sich einer aufspielt und es irgendwie zum guten Ton gehoert, zu warten, bis man dran ist. Und dann komm ich ja ebenfalls aus dem Land, wo es die Deutschen mit dem knallroten Kopf gibt, die sich in den Enden der Welt aufspielen, als haetten sie das Land gepachtet und alles muesste nach ihrer roten Nase gehn, die sich immer und ueberall betrogen fuehlen und stolz sind, wenn sie’s denen mal wieder gezeigt haben. Ich bin doch so stolz auf meine konfliktvermeidende, weichgespuelte, kulturell vertraegliche Freundlichkeit, und Du Ghanaer raetst mir, ich soll mich aufspielen? Na gut. Wennste meinst. Dann mal los:

„Naechstes Mal nehm ich ein Trotro, da ist der Service zuverlaessiger als bei Eurer Fluglinie! Meine WICHTIGKEIT! Die WICHTIGKEIT meines Meetings! Wie kann sowas nur passieren? Was mach ich denn jetzt? Mit all meiner WICHTIGKEIT. Die kann ich doch in die Tonne kloppen ohne Sitzplatz! Kikerikie! Wuffwuff!“

Am Ende bekamen Mister Oberwichtig, Doktor Eva und ein Kirchenmann im langen Gewand mit seiner Begleitung die Plaetze derer, die nicht punkt 10 zum Einchecken da waren. Der Kirchenmann hatte es gut, der musste nicht kraehen, sondern nur freundlich mit dem Kreuze wedeln und seine WICHTIGKEIT ward von hoechster Stelle bestaetigt.

Donnerstag, April 19, 2007

Knappes Fazit des Agnes-Besuchs


Eva: Ich hab noch nie so viele Pflanzen gesehn.

Agnes: Ich hab noch nie mit so vielen Einheimischen gesprochen.

Agnes und Eva: Wieso, war doch ganz normal...

Mittwoch, April 18, 2007

Ihr habt ja alle keine Ahnung!


Und das ist nicht mal Eure Schuld. Ich rede ja hier nicht ueber meine Arbeit. Sondern lieber ueber die anderer Leute. Aber manchmal muss auch eine Ausnahme von der Regel erlaubt sein. So wie vor etwa einem Jahr, als ich hier von einem Hirngewitter schrieb und davon, wie selten Forscher bei ihrer Arbeit eigentlich neue Gedanken denken muessen oder duerfen. Nun, ein Jahr spaeter ist die Idee Fleisch (bzw. Holz) geworden und ich zittere vor Begeisterung (oder wirkt die Malaria Medizin etwa nicht und ich bin in einem Fiebertraum???).

Am ersten Mai werde ich auf eine Konferenz von Netzwerkspezialisten nach Korfu fahren und wo alle anderen wilde Computerakrobatik praesentieren, wird Eva aus Dueren bzw aus Bolga (Koenigin der Kleinstaedte) spezialangefertigte Mensch-Aerger-Dich-Nicht-Figuren im Gepaeck haben und Muehlesteine, die man wie Lego ineinander stecken kann. Das Ganze kommt in einer schoenen Kiste, auf der „NetMap: Influence Network Mapping Toolbox“ steht und ist eine Werkzeugkiste, mit der man analysieren kann, wer in irgendeine Aktivitaet verwickelt ist und welche Netzwerke, Machtverhaeltnisse und Ziele sie haben.

Daran haben wir nun nach dem Hirngewitter im afrikanischen Busch ein Jahr lang mit Keksdose und zusammengewuerfelten Figuren rumgewurschtelt, absolut umwerfende Reaktionen von unseren Interview-Partnern erhalten, die ploetzlich die Welt ganz anders verstehn und was in Korfu in meinem Hotel auf mich warten soll, ist der Prototyp einer Kiste, die schlussendlich produziert und verkauft werden soll, so dass es am Ende ganz leicht ist, fuer Forscher aber noch mehr fuer normale Menschen, Einflussnetze zu malen und zu verstehn und miteinander zu diskutieren.

Malaria? Hatte ich als Kind staendig!

Nur wusste man das damals nicht... Gestern erklaerte mir mein Mitbewohner in Accra, das erste und untruegliche Zeichen dafuer, dass man Malaria hat, ist dass man lieber im Bett liegen und Romane lesen moechte, als am Computer sitzen und arbeiten. Wenn man dieses Symptom an sich bemerkt, muss man keinen Test machen, sondern gleich Coartem schlucken, damit das wieder weggeht. Also, Herr F., ab in die Apotheke!

Im Selbstversuch werde ich nun herausfinden, ob die Malaria, die man im fruehen Faulheitsstadium mit Chemie erschlaegt, gar nicht erst ausbricht und mich die Drogen wieder fleissig machen.

Freitag, April 13, 2007

Sich mit fremden Traenen schmuecken

Wenn Ihr mal wieder ueber was weinen wollt (vor Ruehrung, falls Ihr so schlicht gestrickt seid wie ich), was jemand anderes als ich gemacht hat, dann schaut Euch folgenden kleinen Film ueber Mama Laadi und ihr Waisenhaus und ganz viele springende glueckliche Kinder an: http://www.youtube.com/watch?v=CgR7WBQ77nA

Donnerstag, April 12, 2007

Talata aus der Ferne


Jetzt ist Debbie zurueck in Bolga und ich bin immer noch in Accra. Das heisst, dass ich den Luxus hab, Debbie aus der Ferne Mut zuzusprechen, statt selbst zwischen Krankenhaus, Waisenhaus und Privatklinik hin und her zu hetzen. Im Krankenhaus passierte gar nichts, ausser, dass sie Talata immer wieder erlaubten, Zuckerbrot und andere Leckereien zu essen, die nicht fuer Diabetiker geeignet sind. Und weil sie ueber Lungenschmerzen klagte, haben sie angefangen, Malaria zu behandeln. Ohne sie vorher getestet zu haben, ob sie ueberhaupt Malaria hat. Nicht, dass ich jemals gehoert haette, dass Lungenschmerzen ein Symptom fuer Malaria sind. Aber ich wuerde mich auch nicht wundern, wenn sie anfingen, gebrochene Beine mit Chloroquin zu behandeln...

Seit Montag ist sie nun wieder bei Laadi: Als sie aus dem Krankenhaus ins Waisenhaus fuhr, war sie ganz aufgeregt und voller Leben. Um dann bei der Ankunft gleich zusammenzubrechen. Die Achterbahnfahrt geht weiter. Heute war sie nur noch ein heulendes Haeufchen Elend, klagte weiterhin ueber Brustschmerzen und dass ihre Beine brennen wie Feuer. Also zu dem Arzt, der die Privatpraxis leitet, die seit kurzem ebenfalls im Besitz von Afrikids ist. Da wird sie wahrscheinlich ein paar Wochen bleiben und vielleicht ja sogar ordentlich untersucht werden. Und behandelt.

Gestern hat der erste edle Spender 10 Pfund bei Justgiving gespendet und eine komplett irrationale Sekunde lang hatte ich das Gefuehl: Dann wird ja alles gut...

Austreibung der Suenden im Paradies


Agnes und ich liessen uns ganz frueh am Morgen mit einem Holzboot auf den paradiesisch stillen Volta rudern. Als wir das Kanu bestiegen, standen vier Ghanaer mit weissen langen Gewaendern und einem grossen schweren Kreuz am Ufer. Hinter ihnen scheu versteckt eine junge Frau. Die Herrschaften begruessten unseren Bootsfuehrer lachend und wir stachen in den See. Als wir draussen waren, meinte er: „Also, ich finde das ja nicht gut, wie die immer taufen... das ist nicht richtig.“ Dann erzaehlte er uns voller Abscheu und Faszination, dass die Priester gleich alle Suenden aus dieser jungen Frau rauspruegeln werden, die sie danach splitternackt im Volta von sich abwaschen wird, waehrend die Herren Priester zuschaun, um sicherzustellen, dass auch alles mit rechten Dingen zugeht. „Die sind neu.“ Sagt er, und meint damit diese religioese Gruppe. Letzte Woche hat er sie zum ersten Mal beobachtet und war schockiert, wie die Priester auf ihren Schuetzling einschlugen und erzaehlte, dass die zu Taufende sich doch irgendwann beschwerte...

Und waehrend er sich vor Abscheu schuettelte, konnte er sich einfach nicht losreissen, und haette ich kein Machtwort gesprochen, hatte sich unsere Stunde auf dem See komplett auf einer Stelle abgespielt. Als wir von unserer Tour zurueckkamen, stellte sich heraus, dass der Hotelbesitzer die Glaubensbrueder in der Zwischenzeit weggejagt hatte. Unser Ruderer versuchte, seine Enttaeuschung darueber zu verbergen, dass es heute kein Bad der nackten Geschundenen zu sehen gab.

Samstag, April 07, 2007

Strom-Rechnung


Dieses Wort hat in den letzten Monaten hier eine andere Bedeutung bekommen. Um mich rum versuchen alle, mit den komplizierten regelmaessigen und zusaetzlichen Stromausfaellen Schritt zu halten und eine Formel zu finden, die ihnen hilft, den naechsten Tag oder die naechste Nacht ohne Strom vorauszusagen. Ich glaube, dass sich die Menschheit in zwei Gruppen aufteilen laesst: Die eine Haelfte bittet die Folterknechte um eine genaue Terminabsprache und einen detaillierten Folterplan im Voraus, damit sie sich schonmal darauf einstellen kann (Darauf einstellen? Wie soll das bitteschoen gehn? Vielleicht mit den mitgelieferten Daumenschrauben ein wenig rumspielen und sich mit dem Gefuehl anfreunden?), waehrend die andere Haelfte das Folter-lose Glueck geniessen will, als sei es endlos, und das Elend erst reinlaesst, wenn es an die Tuer klopft... Nein, meine Freunde hier verstehen nicht, warum ich mich der Strom-Rechnung verweigere...

Theoretisch haben wir glaube ich alle drei Tage abwechselnd eine Nacht oder einen Tag lang keinen Strom. Praktisch vergessen die Stromabschalter oft, das Ganze wieder anzuschalten und scheinen sich etwa so haeufig in den Tagen zu verzaehlen wie ich. Und dann gibt es noch tausend technische Gruende oder Ausreden, warum zwischendurch alles fuer ein paar Stunden stillsteht. Das Ganze wird damit begruendet, dass der Volta See (60% unserer Stromproduktion) zu wenig Wasser hat und Ghanas Wirtschaft zu schnell waechst und deshalb immer mehr Strom verbraucht. Naja, das Problem mit dem schnellen Wirtschaftswachstum laesst sich sicher damit eindaemmen, dass alle Fabriken, Bueros etc. regelmaessig lahmgelegt werden.

Accra ist in Stadtviertel aufgeteilt, die an verschiedenen Tagen abgeschaltet werden. Ploetzlich erhoeht es die Produktivitaet, wenn man weit von seiner Arbeit entfernt wohnt: Wenn im Buero kein Strom ist, fahr ich zum Arbeiten nach Hause. Schon lange beneide ich meinen Mitbewohner nicht mehr dafuer, dass sein Buero direkt um die Ecke ist. Aber ich kann kaum nachts zum Schlafen ins Buero fahren. Also versuche ich, so leicht im Bett zu liegen, dass ich die Matratze nicht beruehre, bade im eigenen Schweiss und hoere voll wuetendem Neid dem Laerm der Generatoren zu, die in der Nachbarschaft Ventilatoren, Klima-Anlagen und Gluehbirnen antreiben. Wenn in einer solchen Nacht auch noch die Froesche beschliessen, es ist Zeit fuer ein Gartenkonzert, dann... Ja was dann? Gar nix. Was soll ich dann auch tun? Dann lieg ich weiter im Schweisse meines Angesichts und schau der Zeit beim Verstreichen zu.

Freunde nicht essen


Auf der Fahrt nach Accra unterhielt ich mit mit Fahrer Mark ueber die unterschiedlichen Verwendungsmoeglichkeiten fuer Hunde. „Ach, es vergeht kein Wochenende, wo mich nicht einer meiner Freunde zum Hunde-Essen einlaedt!“, sagt er genuesslich grinsend und wundert sich ueber Weisse, die mit ihrem Hund zum Arzt gehn, ihn fuer ihren besten Freund halten und bei dem Gedanken, ihn zu essen, in Traenen ausbrechen. „Wie schmeckt Hund eigentlich?“ frage ich. „Wie Katze.“, sagt er und damit waere das ja auch geklaert. Katze gibts aber viel seltener, die meisten Leute moegen keine Katzen halten, weil die immer kommen und einem um die Beine streichen. Warum das so schlimm ist, kann ich nicht wirklich aus ihm rausbekommen: Weil sie Angst vor irgendeiner Katzenmagie haben, oder weil sie ungern jemanden essen, der kurz vorher noch zaertlich zu ihnen war? Fuer die seltenen festlichen Gelegenheiten, wo einer der Kumpels eine Katze ergattern konnte, gibt es eine feste Regel: Wer den Kopf haben will, muss eine Flasche (Whisky) spendieren. Gibt es Tiere, die er nicht isst? Esel und Pferde, denn die arbeiten so hart fuer uns. Und Affen, denn die haben unseren Vorvaetern im Krieg geholfen, Wasser zu finden. Deshalb isst er, wenn er im Sueden ist, nie Fleisch sondern nur Fisch. Die Ashante lieben Affenfleisch und wer weiss, was da alles durch den Eintopf schwimmt...

Freitag, April 06, 2007

Was gut ist

Besuhuch! Besuhuuuch! Morgen kriegt Eva Besuhuhuch! Agnes aus Lueneburg kommt fuer zehn Tage und wir werden in den Regenwald fahren, ans Meer und natuerlich ins Paradies am Volta See. Und reden, bis uns die Lippen in Fetzen haengen. Schoen sieht das dann natuerlich nicht aus. Fuehlt sich aber gut an.

Donnerstag, April 05, 2007

Was tun!

Direkt vom Buerostuhl in Deutschland ins Waisenhaus in Ghana! Gemeinsam mit mir habt Ihr Euch um Talata gesorgt, ueber sie geaergert, Euch gefragt, wie das denn alles weitergehn sollt. Und vielleicht gedacht: Ich kann zwar nicht zwischen Krankenhaus und Waisenhaus hin und her fahren und Talata Bananen in die Nase stecken, aber wenn ich doch irgendwie helfen koennte... verdammt, wenn ich doch irgendwas tun koennte!

Nun, fuer dieses Problem gibt es jetzt eine Loesung. Wie Ihr wisst, haben Debbie und ich versprochen, sie nun finanziell zu unterstuetzen - ohne wirklich geahnt zu haben, was da auf uns zu kommt. Falls Ihr da einen kleineren oder groesseren Beitrag leisten wollt, Talata hat nun ihre eigene website, wo ihr direkt und ohne Umwege fuer sie spenden koennt: http://www.justgiving.com/talata

Vielen herzlichen Dank. Auch fuer die vielen ermutigenden emails und sms der letzten Tage.

Mittwoch, April 04, 2007

Archivbild


Mary. Ohne Bauch und mit Ofen, der jetzt ihrer ist.
Posted by Picasa

Is hier was gebacken?


Diese Frage musste ich nun seit meiner Rueckkehr im Januar meist mit nein beantworten. Irgendwie war Mary die Baeckerei aus dem Blickfeld geraten. Ueber Weihnachten hat sie (wie letztes Jahr) wenig verkauft und viel verschimmeltes Brot weggeworfen. Daraufhin eine Pause gemacht. Dann hatte ihre Schwiegermutter einen Schlaganfall und Mary musste sich neben der Arbeit im Haus ploetzlich um Ehemann, Schwiegermutter und fuenf minderjaehrige Kinder von Schwiegermutter kuemmern und war taeglich zum Umfallen muede und verzweifelt.

Schleichend wurde aus der Backpause ein Zustand und seit Anfang letzten Monats ist der Ofen zwar abbezahlt und gehoert ihr ganz, blieb aber aus. Da hab ich Zustaende gekriegt und ihr das Versprechen abgepresst, Ende des Monats wieder zu backen und gleich dem Geschaeft in der Stadt Bescheid gesagt, damit der Rueckzieher schwieriger wird.


Heute: Kontrollanruf! Juhuu. Sie klingt wieder wie eine stolze Geschaeftsfrau und gleich gestern kaufte eine Frau das Brot, die in unserer Gegend ein kleines Geschaeft hat. Die Dame rief sie an, um eine Bestellung fuer ihr Geschaeft aufzugeben. Und Mary ueberlegt, ein kleines Maedchen einzustellen, das fuer sie das Brot ausfahren kann, denn mit dicker werdendem Bauch ist das in dieser Hitze kein Scherz.

Dienstag, April 03, 2007

Entkommen


Vielleicht werde ich mein Ohrenschweiss-Problem doch noch in den Griff bekommen und nicht von einem Hungeropfer aufgefressen werden. Ich sitze nun in meinem paradisischen Haus in Accra, vom Schreibtisch schau ich auf meinen gruenen Garten, die Hitze ist mild und ich bin grade nochmal in einem Stueck davongekommen. Wie gut, dass diabetische Strassenkinder retten nur mein Hobby ist und sich meiner Arbeit unterordnen muss. Und die Arbeit sagt: Du musst nach Accra.

Sonntag hat Talata noch ein letztes Mal all ihre Ueberlebenstalente an mir ausprobiert. Der Grund, warum sie so lange ueberlebt hat, ist dass sie auf Kommando so gotterbaermlich aussehen kann, dass man alles fuer sie tun wuerde. Sie hatte morgens nichts gegessen, hielt sich den eingefallenen Bauch in Schmerzen und wand sich ziemlich schweigsam auf ihrem Plastikbett. Schliesslich brachte ich sie dazu, zu nicken, als ich Brot sagte. Also in die Stadt fahren, Brot und Bananen kaufen, wiederkommen und sie weigert sich zu essen. Ich steck ihr die geschaelte Banane fast in die Nase, so sehr draenge ich sie, doch wenigstens einen Bissen zu essen. Nein, von fester Nahrung kriegte sie nur mehr Bauchschmerzen. Nach viel hin und her und mit Hilfe der Schwestern kamen wir dem Problem naeher: Im Krankenhaus verbieten sie ihr Milch und sie will Milch. Schliesslich sagte ich zu den Schwestern: Besser Milch als nichts und ging ein zweites Mal los. Als ich zurueckkam hatte sie ploetzlich alle Bananen und einen Teil ihres Mittagessens verschlungen (nur die Staerke, sonst nichts) und sah halbwegs munter aus. So ein Luder. Und ich sah sie schon sterben. Dann trank sie ne halbe Dose Buechsenmilch und als Zeichen ihrer Dankbarkeit lies sie sich von mir ein wenig Brot reinzwingen (wobei ich aufpassen musste, dass sie die Krumen nicht in ihren Kissen versteckte). Soviel zum Thema: Ausgewogene Ernaehrung ist der Grundpfeiler der Diabetiker-Behandlung.

Debbie sagt: „Sie ist wie eine Drogensuechtige, die kaum frei entscheiden kann, von ihren alten Vorlieben zu lassen“. Das kann man unterschiedlich verstehn. Man kann sagen: Sie kann ja irgendwie nichts dafuer, dass sie nicht tut, was gut fuer sie ist, denn die Sucht ist staerker als die vernuenftige Entscheidungsfaehigkeit. Und ich denke da ist was Wahres dran und wir muessen sehn, wie man den Entzug am besten organisiert. Aber es bedeutet auch: Erwarte alles von ihr, was Du von einem Junkie erwarten wuerdest, erlaub ihr nicht, Dein Herz in ihren mageren Fingern auszuquetschen.

P.s.: Keine Angst, wir haben sie nicht verstossen. Wir sind immer noch mitten im Prozess eine langfristig funktionnierende Loesung zu organisieren. Aber es ist grossartig, so weit weg zu sein, dass ich nicht fuer sie in der Stadt rumfahren kann, selbst wenn ich wollte.

P.p.s.:Zum Ohrenschweissproblem hatte ich gestern Nacht eine interessante Erfahrung, als die Fernbedienung meiner Klimaanlage grade dann den Geist aufgab, als sie auf eiskalt eingestellt war. So hab ich mich in meine Winterjacke gewickelt und mir die Ohren abgefroren. Schweisslos. Mitten in Afrika)