Donnerstag, August 31, 2006

Those enter here for toilet are fools (Die hier reingehn fuer Toilette sind Deppen) Posted by Picasa

Kein Strom, kein Radio

Mit dieser Ueberschrift ist die ganze Geschichte eigentlich schon erzaehlt. In den letzten Tagen gab es in meinem Stadtviertel immer wieder stundenlangen Stromausfall. Da der Radiomann mein Nachbar ist und sich noch keinen Generator leisten kann, heisst das auch: Radioausfall.

In Anbetracht meiner Gier nach oeffentlich ausgetragenen Ehestreitigkeiten, war das natuerlich ein herber Verlust an Lebensqualitaet. Aber viel schlimmer war, dass wir Freunde aus Accra erwarteten, die eine grosse Live-Berichterstattung ihrer Konferenz bestellt hatten, einer der ersten groesseren Auftraege. Also fuhr ich durch die Nacht zum Sender und wir standen lamentierend in der pechschwarzen Dunkelheit. Radiomann sagt: Ich geh den Stromversorgern so gut auf den Geist, wie ich kann, und sie haben versprochen, morgen frueh ist das Problem geloest.

Die Story koennte auch heissen: Kein Strom, trotzdem Kuchen. Mary hatte von den gleichen Freunden den Auftrag bekommen, 120 Konferenzteilnehmer mit Kuchen zu fuettern. Also stand sie bis zehn Uhr nachts bei Kerzenschein in meiner Kueche, ruehrte Ruehrkuchenteig mit kraeftigen Holzloeffelbewegungen und stolperte in der Dunkelheit von der Kuechentuer zur Veranda, wo der Ofen steht.

Die Story koennte auch heissen: Strom, Radio, Kuchen. Denn am Ende wurde alles gut: Um Mitternacht gingen alle Lichter in meinem Haus an, am naechsten Morgen fielen die Konferenzteilnehmer wie ausgehungert ueber den Kuchen her und Radiomann strahlte. Er sendete das Programm gleich zweimal: Einmal live und fuer Geld und am naechsten Morgen nochmal, als Bonus und damit es auch wirklich alle hoeren.

Dienstag, August 29, 2006

Kaltmammsell und Geburtstagskind Posted by Picasa

Fuettersucht

Debbie und ich haben uns letzten Samstag fest vorgenommen, dass das die letzte Party fuer eine lange lange Zeit sein wird. Vor vier Wochen gab es in meinem Haus spontane Pizzaparty, vor zwei Wochen gaben wir grosse Debbiezurueckinghanaparty, Samstag feierten wir Debbies Geburtstag und wer schonmal mit mir gefeiert hat (soll ich sagen: Wer schonmal unter meinen Partyvorbereitungen gelitten hat), weiss, dass das mindestens einen ganzen Tag in der Kueche bedeutet und abends bin ich so geschafft, dass ich am liebsten einfach nur die Kaltmammsell waer und nicht auch noch mit den Gaesten feiern will oder gar irgendwas essen.

Also, schon fuer Debbies Geburtstag war die Vereinbarung: „Wir bestellen Essen bei Mary und tun selber gar nix.“ Wie Felix sagt: Man muss sich auch schonmal selbst einen Witz erzaehlen... Der Witz ging noch weiter: „Und wir machen nur ein einziges Gericht!“ Natuerlich sieht die Realitaet anders aus als der Witz und Mary und ich haben wieder einen Samstag in der Kueche verbracht, im Hintergrund spielte der wilde Radiomann sein Reaggea-Programm und ewig gruesste das Murmeltier.

Gestern kamen Freunde aus Accra zu Besuch und wir haben mal wieder knapp 2 Stunden im Restaurant auf unser Essen gewartet. Mir machte das gar nix, denn ich hab mir inzwischen angewoehnt, mich vor dem Essengehn satt zu essen, dann halte ich es gut aus, bis die naechste Malzeit kommt. Aber natuerlich endete der Abend wie zu erwarten war: „Warum kommt Ihr nicht morgen alle zu mir nach Hause, koch ich Euch was Feines!“ Und da die nichts von der Sucht wissen, die mich langsam aber sicher zerstoert, haben sie ganz arglos zugesagt. Debbie ist so tief in ihre Co-Abhaengigkeit verstrickt, dass sie nur lachte und die Einladung dankend annahm. Und da wir einmal dabei sind, kann ich doch Derek und Amy gleich auch noch einladen. Dann rief Martine an: „Hallo, ich bin jetzt in Tamale angekommen, in zwei Stunden bin ich in Bolga (und ich denke: Ach ja, Du hattest ja angeboten, dass sie fuer zwei Wochen in Deinem Haus wohnen kann... wie konntest Du das nur vergessen?).“

Also ruf ich Mary im Haus an und sage: „Bitte, mach das Hinterhaus fuer Besuch fertig.“ Und plane, das Buero sehr puenktlich zu verlassen, um zwischen halb sechs und sieben schnell fuer vier-sechs-sieben-acht-neun, genau fuer neun Leute zu kochen.

Ich erzaehle Douglas die ganze Geschichte und dass ich ueberlege, ob ich in Therapie gehen soll, um mich von meiner Fuettersucht heilen zu lassen. Er lacht und sagt mir ins Gesicht, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin: „Als Erstes wuerdest Du dem Therapeuten doch anbieten: Kommen Sie heute Abend zu mir, koch ich Ihnen was Feines!“

Montag, August 28, 2006

Auf Kohlenpoetten kann man alles kochen, zum Beispiel Huehnerbeine fuer Debbies Geburtstagsparty Posted by Picasa
Zwei Kohlenpoette werden angefeuert und unten in den Ofen gestellt. Alles, was wir backen hat einen pikanten, leicht rauchigen Touch... Posted by Picasa
Mary und Pizza und Evas Schatten vor unserem neuen Ofen Posted by Picasa

Freitag, August 25, 2006

Praesidentenrausschmeisser

Vor ein paar Tagen diskutierten die Jungs im Fruehstuecksradio: Soll der Staatspraesident sich entschuldigen, zuruecktreten oder hat er eigentlich genau das Richtige gesagt? Ich hatte zu lange geschlafen und zu spaet eingeschaltet, um noch zu verstehen, was Kufour eigentlich gesagt hat.

Debbie meint zwar: „Das fragen die Zeitungen John Major jede Woche!“ Aber wieviele afrikanische Staaten gibt es, wo ich die gleichen Journalisten am naechsten Tag noch frei rumlaufen seh, das Radio weiter sendet und keiner sich drum schert? An Tagen wie diesem, macht Ghana mich gluecklich, und ich druecke beide Augen zu vor korruptem und aufgeblasenem Staatsaparat, Politikerluegen und ethnischen Konflikten.

Unsere Nachbarn sind Elfenbeinkueste, vom Buergerkrieg zerrissen, Togo, wo der Praesidentensohn davon ausging, dass er den Thron seines Vaters erbt und Burkina-Faso - gibt es den Ausdruck Militaerdemokratie?

Mittwoch, August 23, 2006

Eva in Ghana

Ganz nah
Eben war ich in der Bank und mir fiel wieder auf, dass ich hier doch eine Stadtmaus bin, die ihre Zeit meist mit anderen (schwarzen und weissen) Stadtmaeusen verbringt.

Heute war einer dieser Tage, wo ganz viele einfache Leute zur Bank gehn, vielleicht wurde irgendwas ausgezahlt, die Bank war jedenfalls voll mit Doerflern in bunten Wickeltuechern, mit verschlissenen Hemden, wilden Kopfbedeckungen und Brillen, die mit Bindfaden geflickt waren.

Ich hatte lange zu warten und schaute mir das Spektakel an und sah: Die stehen ganz anders Schlange als Stadtghanaer oder gar Europaer. Diese Horde alter Maenner und Frauen, alle schmiegen sie sich aneinander um eine Schlange zu bilden, die tatsaechlich dem Tier aehnelt, ein einziges bewegliches Wesen, kein Raum zwischen einem Menschen und dem naechsten... selbst wenn sich nur vier Leute hintereinander stellen und um sie rum so viel Platz ist. Das sieht schoen aus und irgendwie heimelig, keiner allein. Und grade in der einschuechternden grossen kuehlen Bank ist es gut, wenn man den Schweiss, den Pitu-Atem und den Kuhgeruch seines Dorfnachbarn immer in der Nase hat, um zu wissen, dass man nicht verloren gehen kann.

Dienstag, August 22, 2006

Haeuptlingsmode 4 Posted by Picasa
Haeuptlingsmode 3 Posted by Picasa
Haeuptlingsmode 2 Posted by Picasa
Haeuptlingsmode 1 Posted by Picasa

Haeuptlingin sein

Douglas’ Freund wohnt bei mir auf der Ecke. Letztens sagte er zu Douglas: „Deine Chefin ist der Haeuptling aller Weissen in Bolga.(Your boss is the chief of all white people in Bolga)“ „Warum?“ frage ich. „Weil er die immer alle zu Deinem Haus stroemen sieht.“ Hm. Ich glaube sowas nennt man bei uns nicht Haeuptling sondern Partyqueen. Oder Kuechenfee?

Wie auch immer, ich werde mich nun meinen Haeuptlingswuerden entsprechend ausstatten, eine Pferdehaarwuerdeverstaerkungsquaste anschaffen, eine handvoll Frauen mit beutelfoermigen nackten Bruesten heiraten und die anderen Weissen in Bolga zur Gartenarbeit einteilen. Das wird super.

(Liebe politisch korrekten Freunde. Um moeglichen empoerten Kommentaren zuvorzukommen, erlaube ich mir, hier anzumerken, dass es sich bei meinen naechsten Schritten zur Vervollkommenung meiner Haeuptlingsposition NICHT um eine Verspottung der lokalen Kultur handelt, sondern um Attribute, die einzig und allein weissen Haeuptlingen in Nordghana vorbehalten sind – also mir. Die lokale Kultur ist weiterhin geheimnisvoll und komplex und jeglicher Spott wuerde ohnehin ungesehen in ihrer Vielschichtigkeit versickern wie Pipi im Sand)

Montag, August 21, 2006

einmal Kroete - immer Kroete

In meinen alten blogs koennt ihr viel ueber den Krieg der Kroeten nachlesen. Die Verlegung meines Abwasserabflusses unter die Erde hat dem Massenandrang den Garaus gemacht. Dafuer ueben die Kroeten sich nun in Guerillataktik und kopieren den Feind (also mich). Als ich eben in die Dunkelheit hinausging, hat eine Kroete auf mich draufgetreten. Ploetzlich sass sie auf meinem Fuss und dachte, das sei ne tolle Idee. Ich bin da anderer Meinung aber mich fragt ja keine Kroete.

Donnerstag, August 17, 2006

Verliebt

Heute bin ich in mein Buero verliebt. Ob ich es vielleicht heiraten soll, wie im guten alten Deutschen Schlager? Nein., ich beginne noch nicht, meine Stuehle und meinen Schreibtisch zu streicheln. Aber dafuer laufe ich mit diesem bestimmten Huepfen rum, das Ghanaer so laecherlich finden, weil einem doch dann alles hinfaellt, was man auf dem Kopf traegt. Und bin froh, hier zu sein.

Nach eineinhalb Jahren liebe ich meine Kollegen viel mehr als am Anfang und wir sagen einander immer so viele nette Sachen, erzaehlen von Familie und verschiedenen Eigenartigkeiten der Kulturen. Mein Assistent lernt alles, was ich im erklaere, in Windeseile, mein Bueropartner von der Wasser Kommission will die Welt verbessern und wenn wir sie mit meiner neuen Methode (Influence Network Mapping) maltraetieren, sind unsere Interviewpartner ueberwaeltigt und begeistert. Es regnet Kuchen, die Menschen tanzen auf den Strassen und ein jedweder versteht, was der andere sagt, da Babylon vorbei ist. Die Faulenzer gehen zur regelmaessigen Arbeit, Arbeitssuechtige machen Feierabend und ich kann offensichtlich das Glueck nicht ebenso ernsthaft beschreiben, wie das Unglueck. Sonst wuerde mir dieser blog nicht einfach ins Hahnebuechende davonlaufen....

Wir danken dem ersten edlen Spender

Ein Freund schrieb: Ich wuerde gerne 20 Euro zu den Studiengebuehren dazutun (s. Blog: Bittbrief). Ich sag: Super, ich geh das Geld vorbeibringen und Du kannst es mir an Weihnachten zurueckgeben, wenn ich in Deutschland bin. Denn ueberweisen ist einfach zu aufwaendig, langsam und teuer fuer kleine Betraege. Also bin ich heute im Rotkreuzbuero aufgetaucht und hab dem Vater vieler schlauer Kinder eine Freude gemacht. Der preist den edlen Spender und mich gleichfalls und bedankt sich ganz herzlich – auch im Namen seiner Tochter.

Dienstag, August 15, 2006

Karriere mit falschem Spinat

Letztens hatte ich Besuch von besonders wichtigen Herren, die sich mein Projekt – und alle anderen – anschauen wollten und sehn, ob ihr Geld auch sinnvoll ausgegeben wird. Da ich selbst weiss, wie sehr einem Hotels, Restaurant und das Fernsein von Haus und Herd auf den Geist gehen kann, bekamen sie mehr, als sie bestellt hatten. Ich werde Euch nicht damit langweilen, warum ich denke, dass wir ihr Geld sinnvoll ausgeben. Der Besuch fiel auf einen Sonntag und so waren sie bei mir zum Sonntagsmittagsschmaus eingeladen. Wie wichtig diese Herren mir waren, konnte Mary daran sehn, dass ich sie tatsaechlich bat, Fleisch zuzubereiten, was in meinem vegetarischen Haushalt aeusserst selten vorkommt. Also gab es Huehnerbeine, falschen Spinat, Reis und zum Nachtisch Zitronenkuchen und echten Kaffee. Um die Erfahrung perfekt zu machen, bekam das Essen mehr als nur Naehrstoffe und Geschmack, ich erzaehlte ihnen Geschichten, um das Essen mit Sinn aufzuladen. Der falsche Spinat, Alefu, sieht aehnlich aus wie Brennesseln und wenn man ihn isst, tut man eine wohlschmeckende gesunde gute Tat. Alefu wird von besonders armen Bauern und Baeuerinnen angebaut, da man die Samen selbst zuechten kann und nach drei Wochen Wachstum die ersten Blaetter ernten, das erste Geld verdienen kann. Die Ernte ist mit Bewaesserung das ganze Jahr ueber moeglich und das Gemuese wird von den Frauen selbst auf dem Markt verkauft, so dass kein Geld an Zwischenhaendler verloren geht. Als waere das noch nicht genug, erzaehle ich ihnen zum Nachtisch noch von Marys Baeckerei und als die Herren von meinen gemuetlichen Omasofas aufstehn, grinsen sie weich und gluecklich wie Hefeteig.

Montag, August 14, 2006

Fallsucht

Mein Assistent ist von seiner Reise nach Accra zurueckgekommen und sagt: “All my neighbours are telling me that my white boss is such a good person. They are not telling me any news. (Alle meine Nachbarn sagen mir, dass meine weisse Chefin eine gute Person ist. Sie erzaehlen mir nichts Neues)“ (ich bin geruehrt...) Nun redet also die ganze Nachbarschaft davon, dass ich der weisse Engel bin, der den Fallsuechtigen angefasst hat, ohne Angst vor Ansteckung. Ich finde, dass mein Assistent ein viel groesserer Held ist. Dieser Epileptiker ist sein Freund und er war irgendwann mal bei einem Anfall dabei, wo der junge Mann ebenfalls gewaltsam seinen Kopf auf den Zement gedonnert hat. Und da hat Douglas geholfen, OBWOHL er glaubte, dass er sich anstecken kann.

Lovetalk

So heisst das Programm. Ich sitze mit offenem Mund vor meinem Radio. Presse mein Ohr an den Lautsprecher, wenn die Anrufer schlecht zu verstehen sind. Und lerne immer mehr ueber dieses Leben. Heute diskutieren sie: Ein junger Mann war im Ausland, hat sich da in eine weisse Frau verliebt und sie geheiratet. Er kommt mit der Dame heim, stellt sie der Familie vor und die Mutter sagt: „Ja aber ich hab Dir doch so ne schoene runde Ghanaerin gefunden, schick die bloede weisse Tusse heim und tu was Mama sagt.“

Unser Freund hat sich ans Radio gewandt und bittet die Oeffentlichkeit, ihm einen guten Rat zu geben. Ein Anrufer nach dem anderen sagt: Schick die Weisse halt heim und folge Deiner Mutter. Die hat schliesslich so hart gearbeitet, um Dir die Reise ins Weissenland ueberhaupt zu ermoeglichen. Endlich sagt einer: Nein, der Mann soll die weisse Frau behalten, die koennen Dir doch viel besser weiterhelfen als schwarze Frauen. (Weiterhelfen wird hier in der gleichen Bedeutung verwendet, wie Ommaausgeich immer sagte: Man muss sich zu helfen wissen! Und dabei Daumen und Zeigefinger in Geldzaehlgeste aneinander rieb). Der letzt Anrufer schliesslich hat zu Gunsten unserer weissen Schwester die Bibel gelesen und sagt, dass der Mann Vater und Mutter verlassen und sich mit dem Weib verbinden soll und ausserdem der Mensch nicht scheiden soll, was Gott verbunden hat.

Liebe kommt in der Diskussion nicht vor. Und die Frauen scheinen so Dinger zu sein, die man sich anschafft und wieder loswerden kann, wenn sie doch nicht passen. Ich versuche mir die Geschichte von der anderen Seite vorzustellen, die junge weisse Frau, die mit der Liebe ihres Lebens in dessen Heimatdorf kommt, kein Wort der hitzigen Diskussionen versteht, ihren Mann ganz anders erlebt, als sie ihn in England, Holland oder wo auch immer kennengelernt hat, und keiner erklaert ihr, was das Problem ist und keine beste Freundin ist da, der sie den ganzen Scheiss erzaehlen kann.

Sonntag, August 13, 2006

Tankstelle Posted by Picasa

Freitag, August 11, 2006

Bittbrief

Einer meiner ghanaischen Freunde hier arbeitet fuer’s rote Kreuz. Er hat einen Haufen Kinder, von denen die Aelteste schon arbeitet, alle anderen gehen noch zur Schule. Vor einigen Monaten fing er an, von seiner drittaeltesten Tochter zu erzaehlen, die Medizin studieren will und fragte, ob mir irgendetwas einfaellt, wie sie Unterstuetzung finden koennte. Fuer meine eigene Freiheit hier ist es mir wichtig, nicht anzufangen, Leute finanziell zu unterstuetzen. Also hab ich ihm gesagt: Was ich Dir anbieten kann, ist einen Brief Deiner Tochter ins Internet zu stellen, vielleicht hat einer meiner Freunde etwas Geld uebrig oder englischsprachige Medizinbuecher oder hat eine andere Idee, wie er Deine Tochter unterstuetzen kann. Das Ganze war ein langsamer Prozess, irgendwann kam er mit der Tochter in mein Buero, um sie mir vorzustellen, ein ernsthaftes schuechternes Maedchen, dem der Vorstoss des Vaters eher peinlich war. Letzte Woche kam er dann nochmal allein und sagte: Sie hat sich gedreht und gewunden und schliesslich gesagt, warum sie diesen Brief nicht schreiben will: Sie hat Angst, dass schliesslich die ganze Welt rausfindet, dass sie arm ist. Ich hab ihn beruhigt, ihr Name wird nicht im Internet stehn, niemand wird sie als Person mit diesem Brief in Verbindung bringen koennen. Als ich heute ins Buero kam, lag der Brief da und der geht folgendermassen (den Namen hab ich rausgestrichen, die Kontoverbindung geb ich Euch gerne direkt, falls Ihr helfen wollt, Uebersetzung s.u.):

Dear Sir/Madam
I need your support
I am highly delighted writing to you this letter. By the grace of our almighty God I hope you are doing well. Before I proceed with my main agenda, I would like to introduce myself.
My name is ----- , 18 years old and a product of Bolgatanga Secondary School pursing Pure Science. I am a Kusasi by tribe from the Upper East Region of Ghana but reside in Bolga (Zuarungo). I am the third out of six children in my family.

I gained admission to University of Ghana. Legon to offer Physical Science instead of Biological Science which I wanted, but since I had no option, I had to pay a non-refundable fee of 2,600,000 Cedis. Just as I was about to report at the school, a letter from University for Development Studies arrived, offering me Nutrition, my second choice to Human Biology as seen in the attached photocopies. Due to certain advantages such as easy accommodation, nearness of school to my home in case of emergencies and above all fulfilling my desire to help the poor, the needy and the sick when I become a doctor or a health worker, I have to switch my attention to UDS Nyankpala Campus in Tamale.

However, I am presently financially handicapped which is likely to be a threat to my degree education.

I therefore humbly write to request for any assistance either financially or materially to top up the little my parents have been able to afford to enable me pay my fees and to purchase a few needed items.

I am priveledged to have opened an account with the Ghana Commercial Bank with the following particulars


I would plead to end here reminding you that your service to me now will mean service to thousands in the near future.

I hope my request would meet your kind consideration. Thank you, yours faithfully ---


Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich brauche Ihre Unterstuetzung.

Es bereitet mir grosse Freude, Ihnen diesen Brief schreiben zu duerfen. Ich hoffe, es geht Ihnen durch die Gnade unseres allmaechtigen Gottes gut. Bevor ich weiter mit meinem Anliegen fortfahre, wuerde ich mich Ihnen gerne vorstellen.

Mein Name ist ----, ich bin 18 Jahre alt und ein Produkt des Naturwissenschaftlichen Zweiges der Bolgatanga weiterfuehrenden Schule. Ich gehoere zum Stamm der Kusasi aus der Upper East Region Ghanas, lebe aber in Bolgatanga (Vorort Zuarungu). Ich bin das dritte von sechs Kindern in meiner Familie.

Ich habe die Zulassung der Universitaet Ghanas in Legon erhalten, fuer Physik statt Biologie, was ich mir gewuenscht haette, aber da ich keine Wahl hatte, musste ich eine nicht-rueckzahlbare Gebuehr von 2 600 000 Cedis (ca 240 Euro) zahlen. Als ich mich grade aufmachen wollte, um mich bei der Universitaet zu melden, erhielt ich einen Brief von der Universitaet fuer Entwicklungsstudien (UDS), die mir einen Studienplatz in Ernaehrungswissenschaften anboten, meiner zweiten Wahl nach Humanbiologie, wie Sie den angefuegten Kopien entnehmen koennen. Aufgrund bestimmter Vorteile, wie einfache Unterkunft, Naehe der Schule zu meinem zu Hause fuer den Fall eines Notfalles und vor allem meinen Wunsch erfuellend, den Armen, Beduerftigen und Kranken zu helfen, wenn ich ein Arzt oder Gesundheitsarbeiter werde, muss ich nun meine Aufmerksamkeit dem UDS Nyankpala Campus in Tamale zuwenden.

Jedoch bin ich momentan finanziell eingeschraenkt, welches wahrscheinlich meine universitaere Ausbildung bedrohen wird.

Deshalb schreibe ich Ihnen bescheidenst mit der Bitte um jegliche Hilfe, entweder finanziell oder materiell um das Wenige aufzustocken, was meine Eltern sich leisten koennen, um meine Studiengebuehren zu bezahlen und einige notwendige Dinge zu kaufen.

Ich habe das Privileg, ein Bankkonto bei der Ghana Commercial Bank eroeffnet zu haben, mit folgenden Kontodaten:
---
Ich bitte hiermit enden zu duerfen und erinnere Sie daran, dass Sie, wenn Sie mir heute helfen, Tausenden in der nahen Zukunft helfen.

Ich hoffe, dass meine Bitte Ihre freundliche Aufmerksamkeit erhaelt. Vielen Dank.
Hochachtungsvoll
---

Manchmal faellt mir einfach keine passende Ueberschrift ein

Als ich zum Mittagessen nach Hause fuhr, winkte mir ein Nachbar vom Wegesrand zu. Ich fuhr zurueckwinkend vorbei, schaute in meinen Rueckspiegel und sah ihn zuckend am Boden liegen. Als ich angehalten hatte und ausgestiegen war, hatte er seinen Hinterkopf schon so oft gegen die Betonkante gehauen, dass die Wand des Abflusskanals, an dem er lag, blutrot war, Schaum quoll ihm aus den Lippen, seine Augen waren anderswo und die Freunde, mit denen er sich grade noch unterhalten hatte, waren alle einen Schritt zurueckgegangen und schauten in die Luft. Als ich versuchte, ihn von der Kante wegzuschieben nahm schliesslich einer von ihnen die andere Hand. „Irgendetwas Weiches! Wir brauchen etwas Weiches, wo wir seinen Kopf drauflegen koennen! Etwas Weiches!“ Irgendwann brachte jemand regennasse Eierkartons, die zwar gleich blutgetraenkt waren aber er schmiss sich viel zu sehr hin und her, um seinen Kopf sicher darauf zu betten. Schliesslich meinte eine der Frauen: Wir tragen ihn auf die andere Seite, da liegt er auf der weichen Erde. Also schleppten wir ihn an Haenden und Fuessen rueben waehrend er sich wand und zuckte. Dann war er ganz ruhig. Sprang auf und schwankte zum leeren Tisch des Strasseneckenmetzgers, legte sich darauf, sprang wieder auf, lief eine Runde um den Tisch, legte sich wieder hin, sprang wieder auf und schwankte schliesslich seinem Haus entgegen. Einer seiner Freunde sagte: Der hat das schon seit Jahren. Und er weiss, dass er danach sofort nach Hause muss, sich waschen und wieder sauber anziehn. Ich habe unseren kleinen Markt noch nie so still gesehn, alle starrten ihn mit grossen Augen an... aber noch viel mehr die weisse Frau, die sich traut, ihn anzufassen. Mary erklaerte mir spaeter, dass Du Epilepsie kriegen kannst, wenn jemand waehrend eines Anfalls seinen Kopf gegen Deinen stoesst und das Risiko moechten auch seine Freunde nicht eingehn. Ein Junge aus ihrer Nachbarschaft ist im See ertrunken, als er einen Anfall hatte, waehrend er sich wusch. Mein Medizinbuch und ich haben eine andere Vorstellung von der Ansteckungsgefahr als der lokale Volksmund. Die arme Mary musste mir – sehr widerstrebend – versprechen, dass sie das naechste Mal hilft, wenn sie so etwas sieht.

(Zur Ehrrettung der Ghanaer sei gesagt, dass ich auch schon in Duesseldorf in der Strassenbahn einen epileptischen Anfall gesehen hab, bei denen keiner der Mitreisenden der Frau geholfen oder sie vor Verletzungen geschuetzt hat)

Donnerstag, August 10, 2006

Eva zeigt wo's langgeht Posted by Picasa

Nachtfalter

Mary ist so suess und klein, dass es lange gedauert hat, bevor mir das ueberhaupt bewusst wurde, dass sie auch herb ist und niemals anfasst. Manche Leute unterstreichen alles, was sie sagen, damit, dass sie Dir die Hand auf den Arm, die Schulter legen, viele Ghanaer gehen Hand in Hand oder spielen gedankenverloren mit Deinem Hemdsaum. Ich kann mich nicht erinnern, dass Mary das je bei mir gemacht hat und das eine Mal, dass ich sie umarmt hab, weil ich das Gefuehl hatte, das sei wirklich noetig, hab ich ein Brett umarmt.

Aber heute! Waehrend ich meine Mittagspause verdaute und sie den Tisch abraeumte sprachen wir ueber Orangenhuhn und sonstnochwas, sie steht hinter meinem Sessel und ploetzlich spuer ich, wie sie ganz nebenbei anfaengt, mit meinem Haar zu spielen. Das fuehlte sich so an, als sei ein Schmetterling auf meiner Schulter gelandet, und ich versuchte, keine abrupte Bewegung zu machen, um ihn nicht aufzuschrecken. Heisst das, dass sie nach eineinhalb Jahren nun keine Angst mehr vor mir hat?

Mittwoch, August 09, 2006

Fruehstuecker

Die Ghanaische Regierung sollte mich als Fruehstuecker anstellen. Dann wuerde ich mein Hobby zum Beruf machen und mein Job waere es, in Accras Mittelklassehotels zu fruehstuecken, die Maenner am Nebentisch kennenzulernen, den geschaeftlichen Grund ihres Aufenthalts (und alles andere ueber sie) herauszufinden und ihnen zu zeigen, wo’s langgeht (naja, sagen wir, wo ich denke, dass es langehn sollte). Bislang mach ich das ehrenamtlich, aus Leidenschaft fuer dieses Land, aus massloser Selbstueberschaetzung, weil ich meinen rheinischen Kluengel- und Mitteilungsdrang irgendwo lassen muss und weil ich immer mehr Ideen habe als ich selbst umsetzen kann.

Hotel Georgia ist ein idealer Arbeitsplatz fuer Fruehstuecker: Nah am Flughafen, ohne jeden touristischen Reiz, nicht so schick, dass keiner mit keinem redet, aber auch nicht so rammelig, dass sich Rucksacktouristen dahin verirren.

Heute morgen hab ich Jerry aus Taiwan befruehstueckt. Der hat bislang nur business mit Nigeria gemacht und ist ganz begeistert vom geringen Agressionspotential der Ghanaer. Er will Gebrauchtwagenteile nach Ghana importieren und sie hier wieder zu Autos zusammenfrickeln lassen. Das macht Sinn, denn die Einfuhrsteuern auf ganze Autos nach Ghana sind laecherlich hoch und Ghanaer sind Weltmeister darin, aus jeglichem Schrott einen fahrbaren Untersatz zu machen. Da er den Laendern, in denen er Geld verdient, auch irgendwas zurueckgeben will, plant Jerry gemeinsam mit einer Nichtregierungsorganisation ein Autoflicklertrainingprogramm fuer Jugendliche an das Geschaeft anzugliedern.

Sehr gute Intentionen. Andererseits: Wie gesagt sind die Ghanaer schon Autoschrauber-Weltmeister, warum nicht stattdessen etwas beibringen, wo sie ambitioniert in der Regionalliga spielen? Also erzaehl ich ihm von meinem letzten Comutercrash. Ein Freund brachte mich in Tamale zu diesem offenen Holzschuppen, davor pickten Huehner, Schweine und halbnackte Kinder im Staub, drinnen sass ein junger Kerl im traditionellen Spitzennachthemd und mir brach der Angstschweiss aus, als er sich daran machte, meinen Computer aufzuschrauben und mit einem abgeschabten Malerpinsel sein Innenleben von Staub befreite. Der Schraubenstapel auf seiner Tischpappe wuchs gemeinsam mit meiner Panik. Schliesslich diagnostizierte er das technische Problem korrekt (wie ich spaeter in Washington erfuhr), und entschuldigte sich, dass ihm Zubehoer und Werkzeug fehlten, es zu beheben. Beim Zusammenschrauben blieb keine Schaube uebrig und danach war mein Laptop genauso tot wie vorher.

Mein Taiwanese war von der Geschichte genauso beeindruckt wie ich, dachte an die Berge von aussortierten Computern, die in Taiwan auf den Schrott kommen und was man mit denen hier alles anfangen koennte. Diesmal ist er nur zehn Tage hier, aber in drei Monaten kommt er wieder. „Wissen Sie was,“ sag ich und schieb meine Karte rueber, „melden Sie sich zwei Wochen vor Ihrer Rueckkehr bei mir, dann werde ich Sie mit einigen Computerschraubern in Kontakt setzen und Sie koennen selbst herausfinden, wie gross das Potential ist und ob sich das fuer Sie lohnt.“

Dass ich von den Computerschraubern bislang erst einen kenne, besorgt mich nicht weiter, denn inzwischen ist mein Netzwerk hier gross und eigenwillig genug, dass ich nur einen Tag oder zwei braeuchte, um ihm so viele zu finden, wie er sehen will.

Da ich bislang nur gelegentlich fuer dieses Land fruehstuecke, ist mein Einfluss natuerlich nur punktuell, erklaere ich so gut es geht dem Blumenstraussbeigruenplantageninvestor, wie traditionelle Landrechte funktionnieren, locke den Goldhaendler, der sich in kostenguenstiger Trinkwassergewinnung auskennt, in den trockenen Norden, gebe eindrucksvolle Eroeffnungsanspachen auf Aidskonferenzen (s.u.) und pflanze die abstrusesten Ideen in verschiedenste Koepfe – in der Hoffnung dass irgendeine davon sich zur Diestel auswaechst.

Wenn die Regierung das endlich einsieht, werde ich mich fest im Fruehstuecksraum des Hotel Georgia installieren und hauptberuflich maggeln. Eine einzige Bedingung werde ich stellen, bevor ich diesen Job annehme: Bevor sie mich an meinem Stuhl festschrauben, moechte ich einen Tag mit dem Kuechenchef in der Kueche verbringen und ihm beibringen, dass man Omlettes nicht so lange fritieren muss, bis sie garantiert tot sind und dass gekochte Eier rundum gleichmaessig garen, wenn man sie komplett mit Wasser bedeckt.

Dienstag, August 08, 2006

Wie das Radio den Radiomann gluecklich macht

Das macht mich wiederum gluecklich. Radiomann und sein bester Freund sind die besonders wilden wilden Jungs, denen ich nun lange dabei zugesehn hab, ihr Potential zu verschwenden. Jetzt sind sie bis ueber beide Ohren im Radiomachen, ihr Leben hat Struktur und Ziel und es ist wunderbar zu sehn, was passiert, wenn diese Energie nicht ziellos in der Gegend rumschiesst sondern tatsaechlich dazu genutzt wird, etwas zu erschaffen. Und wer morgens um sieben die Nachrichten liest, kann es sich kaum leisten, bis spaet in die Nacht zu feiern.

Montag, August 07, 2006

Heul doch!

Bei meiner letzten Pizzaparty erzaehlte eine Kanadierin, wie sie auf der Hoehe ihres Dreimonatskulturschocks ploetzlich mitten auf offener Strasse angefangen hat, zu heulen – ueber irgendein minderes Aergernis. Die Leute, mit denen sie die Strasse teilte, konnten damit wenig anfangen. Es stellte sich raus, dass wir fast alle schon unsere persoenlichen oeffnetlichen Heulerlebnisse gehabt hatten und dabei Folgendes gelernt haben: Erwachsene weinen nicht. Wenn sie es doch tun, werden sie ignoriert oder angeschnauzt, sie sollen doch bitte nicht so kindisch sein. Und recht ueberlegt, weinen auch Kinder besser nicht – zumindest ab Erreichen des arbeitsfaehigen Alters (etwa 7 Jahre), wenn man anfangen kann, sie ernst zu nehmen. Einer meiner Gaeste und ich hatten als einzige schonmal erwachsene Ghanaer weinen sehn. Das ist eine sehr traurige Angelegenheit, bei der eine einzelne Traene ueber ein versteinertes Gesicht rollt und verschaemt abgewischt wird.

Was passiert denn zu Hause, wenn ein Erwachsener oeffentlich in Traenen ausbricht? Die Uhren hoeren auf zu ticken, alles dreht sich um, alle wissen, da ist jemand oder etwas zu weit gegangen und wollen hilflos helfen. Oder? Es kommt vielleicht auf die Situation an, aber generell hab ich den Eindruck, dass Traenen eher mit Mitgefuehl als mit Agression begegnet wird.

Und schon waren wir ganz generell beim Umgang mit negativen Gefuehlen. Eine Deutsche erzaehlte, dass die Afrikaner immer mit ihr schimpfen, wenn sie melancholische klassische Musik hoert, weil das einen doch nur unnoetig traurig macht. Waehrend sie darauf bestand, dass Melancholie zu ihrem Leben dazu gehoert und gar nicht so schlimm ist.

Ueber seine Sorgen reden, um sich das Herz zu erleichtern, ist ebenfalls nicht angemessen. Sorgen erzaehlt man dem, der helfen kann. Das macht Sinn. Aber den, der nicht helfen kann, belastet man nicht damit. Deshalb fragt man den Regionalminister auch nicht, wie’s ihm geht. Denn damit wuerde man andeuten, dass man groesser ist als er, dass man ihm helfen koennte, falls er ein Problem haette.

Wenn Urlauber nach drei Wochen aus Ghana abreisen, schwaermen von den lachenden freundlichen, lockeren Menschen, die trotz aller Armut so viel gluecklicher sind, als wir im reichen Deutschland. Ich weiss nicht, was ich davon halten soll, denn es stimmt und es stimmt nicht.

Samstag, August 05, 2006

Influence Network Mapping (Einfluss Netzwerke zeichnen) - macht mich gluecklich Posted by Picasa

Freitag, August 04, 2006

Unbedingt lesen

"Set this house in order" von Matt Ruff. Dieses Buch hat mich so gepackt, dass ich keine blogs schreiben, nicht zur Arbeit gehn, nicht schlafen will. Der einzige Grund, warum ich diese Dinge dennoch mache, ist dass ich fuerchte, das Buch sonst viel zu schnell ausgelesen zu haben. (Ebenfalls von Matt Ruff ist "Fool on the Hill", das ist aber ganz anders - ebenfalls hervorragend)

Mittwoch, August 02, 2006

Mit Mary fix was Feines zaubern

Oder: Matschiges mit den Haenden essen, ohne sich die Finger schmutzig zu machen

Das Rezept steht auf meiner Chapatimehltuete und Chapatimehl ist Weizenvollkornmehl. Zwei Tassen davon, ein bisschen Salz und ein Loeffelchen Oel oder Butter mit ¾ Tasse Wasser geschmeidig kneten, zehn Minuten ruhen lassen, knubbelgrosse Knubbel abtrennen und mit etwas Mehl so duenn rollen wie Pappe. In einer schweren heissen Pfanne mit sehr wenig Oel oder Butterfett auf beiden Seiten ein Minuetchen braten bis es Blasen wirft und braune Flecken hat. Und dann jegliche Sauce, indisch oder sonstwoher damit aufgreifen. Mit vollem Mund Lob der Gaeste geniessen. (und mal wieder den Libanesen dankbar sein, die mir alles verkaufen, s.u.)

Kulinarische Nostalgie

Als ich eben aus den Ueberbleibseln unserer gestrigen Party “Western von gestern” kochte, meinte Mary: „First I thought white people don’t eat leftovers“ (Ich dachte frueher, Weisse essen keine Reste) „Ja Mary, und in Europa waechst Geld t auf Baeumen.“ Wir lachen. Mein kanadischer Hausgast antwortete auf Marys Frage: „Wie heisst dieses Gericht?“ haeufig: „Walk around the kitchen.“ („Geh in der Kueche rum“ – und wirf in den Topf, was Dir begegnet).

Mary war erstaunt, als ich ihr eben erzaehlte, dass wir glauben, dass es Suende ist, Essen wegzuwerfen. Oder bin ich vielleicht die einzige Europaerin, die diesen Glauben noch praktiziert? Die Deutsche Kueche hat so viele Arten, aus dem Essen von gestern gebraten, pueriert, versuppt heute etwas anderes zu zaubern. Mit trockenem Brot und alten Kartoffeln allein koennten wir Koenigreiche fuettern und Kriege gewinnen. In Ghana macht man mit Resten folgendes: Aufwaermen. Essen. Punkt. Ganz ohne Koenigreich, Krieg oder neuem Geschmack.