Dienstag, Mai 30, 2006

Eva in Ghana

Mein Computer ist kaputt, ich bin internetbehindert, alle Bosse zu Besuch also keine neuen Blogs. Dafuer aber die Versicherung: Nach meinem Aufenthalt in Washington werde ich Ende Juni Anfang Juli fuer zwei Wochen in Deutschland sein. Da kann ich Buecher tanken und alle alle sehen. Oder zumindest fast alle.

Mittwoch, Mai 24, 2006

Dreckiges Mehl – Dirty Flour

So nennen die Leute ein Mischung aus geroesteten und gemahlenen Sojabohnen, Maiskoernern und Erdnuessen. Daraus machen sie im Krankehaus einen Brei, mit dem sie Kinder mit Eiweissmangel (Hungerbauch) aufpaeppeln. Meine wunderbare Mary bringt immer mal wieder neues Essen mit ins Haus und zeigt es mir. Als sie mir gestern ihr dreckiges Mehl zeigte, hab ich sie gebeten, daraus ein Brot fuer mich zu backen (gemischt mit Weizenmehl, um sicher zu sein, dass es gelingt). Marys Kommentar zu dem Ergebnis: “Looks like the one from the German flour I last bake for you (sieht aus wie das aus dem deutschen Mehl – Graubrot Backmischung – das ich letztens fuer Dich gebacken hab)”

Und tatsaechlich, das ist das erste Brot aus lokalen Zutaten, das tatsaechlich aussieht wie Graubrot. So ein leicht braeunliches Grau und ein suesslicher Beigeschmack wie Brot, das mit Melasse oder so gefaerbt wurde. Ich denke, da schmeckt man das Roesten der Zutaten. Eine etwas broeseligere Krume als deutsches Graubrot und natuerlich nicht aus Sauerteig sondern normalem Hefeteig. Wie auch immer, ich bin begeistert, besonders fuer uns Vegetarier, die hier schwer genug Eiweiss kriegen, ist das der Aufbruch in ein neues Brot-Universum. Und wie es sich fuer einen guten Drogendealer gehoert, werde ich das Brot in Scheibchen schneiden und fuer umsonst an meine Freunde verteilen. Mit dem freundlichen Hinweis, wo sie groessere Mengen kaeuflich erwerben koennen.

Dienstag, Mai 23, 2006

81 Eier

denk ich. 81 Eier. Einatmen. 81 Eier. Ausatmen. 81! Eier!

So viele werden wir verbacken fuer Marys Hochzeitskuchenbestellung. Ich laechele selbstbewusst und beruhige sie. Als wuesste ich, wie man Kuchen fuer 120 Gaeste backt, oder haette das je getan. Schliesslich ist das meine Aufgabe hier, selbstbewusst laecheln und so aussehn als wuesste ich, was ich tu.

Und dann mit nervoesen Fingern einen Blog schreiben und meine Freunde fragen: Hat das von Euch schonmal jemand gemacht? Das Rezept ist ein einfacher stabiler Zitronenruehrkuchen (27 Zitronen) mit schoener bunter Glasur. Meine Frage ist: Koennen wir den Teig komplett zusammen anruehren?

Knapp 5 Kilo Mehl. Gut 4 Kilo Zucker und ebensoviel Margarine. 27 Teeloeffel Backpulver und ebensoviele Prisen Salz. Oder tut das pure Gewicht dieser Masse dem Teig was an und der faengt an, sich komisch zu benehmen? Mein Kochbuch sagt, ein durchschnittliches Ei wiegt 52g, also kommt zu dieser ganzen Masse noch 1,4 kg Ei. Ich rechne das alles aus, waehren die diesen Blog schreibe und merke durch einfache Addition, dass es unwahrscheinlich ist, dass wir 15 kg Teig auf einmal in Marys Waschbasin zusammenruehren.

Ich aendere meine Frage: Was meint Ihr, was sind vernuenftige Teigportionen, die wir aus einmal anruehren koennen?

Sonntag, Mai 21, 2006

Die wilden Jungs wollen Reaggea-Stars werden

Und wenn man sich die Idee mal durch den Kopf gehen laesst, ist sie viel weniger spinnert, als es zunaechst scheint. Unsere Marktanalyse zeigt, dass es in dieser Region viel Naehstuben, Bars und Friseursalons gibt, aber keine Tanzband. Das erstaunt ein wenig, denn Ausgehn und Tanzen sind die einzigen gut entwickelten Freizeitaktivitaeten in Bolga und Umgebung.

Ich hab einige der Jungs oft genug beobachtet, wie sie die Bar aufmischen und das Haus rocken und hab gedacht: Junge, Du brauchst ne Buehne, diese Kneipe ist zu klein fuer Dich. Und ich hab dabei gesessen, wie sie an der Ecke vorm Buedchen sassen und mit zwei Stimmen und vier Handen auf die Holzbank trommelnd eindrucksvolle Nachbarschaftsreaggeakonzerte fuer die Saufkumpanen und jedermanns Wachmaenner gaben.

Wir fassen zusammen: Die Jungs haben
• Den Willen
• Das musikalische Talent
• Die Buehnenpersoenlichkeiten
die sie zur Verwirklichung dieses Plans brauchen.

Also haben sie jetzt eine Band gegruendet und sind bereit, gross durchzustarten. Hm, beinah. Ein kleines Detail haben wir wohl uebersehn. Es handelt sich um eine Band ohne Instrumente.

Vor Monaten hab ich in einer schwachen Stunde versprochen: Wenn Ihr Euch zusammenrauft und organisiert, bin ich bereit, Euch zu helfen. Ich kann Eure Geschichte ins Internet stellen und meine Freunde fragen, ob sie ungenutzte Instrumente, Mischpulte, Mikros im Keller haben, die sie beisteuern wollen. Und vielleicht gibt es unter meinen Lesern auch die ein oder andere verwandte Seele, die Euch weitergehend unterstuetzen moechte, die mehr vom Musik-Business versteht oder die Leute kennt, die ihr braucht.

Heute schickten sie mir einen Abgesandten im Sonntagsstaat, der fragte, ob das Angebot noch besteht. Also hab ich gesagt: Wenn Ihr mir bis Freitag was Schoenes schreibt, das die Herzen meiner Freunde beruehrt – nicht blos ne Einkaufsliste – dann stell ich’s fuer Euch ins Internet und wenn ich im Juli nach Hause fahre, kann ich sehn, ob das was gebracht hat, ob ich Euch was mitbringen kann.

(Ach ja: sie wissen, wie man diese Instrumente spielt. Nur erlaubt ihnen ihr Leben momentan nicht, welche zu erwerben. Sie waren schonmal im Studio, haben jeder fuer sich ein wenig produziert, aber dann kann wohl wieder das Leben dazwischen...)

Freitag, Mai 19, 2006

Jet Set

Auf dem Weg nach Washington werde ich am 13. Juni von 6 Uhr morgens bis fuenf vor eins mittags in Amsterdam am Flughafen sitzen und Kaffee trinken. Ob wohl einer der Menschen, die ich liebe, da sein wird, damit wir ein paar Stunden da sitzen koennen, als wohnte ich um die Ecke? Das waere so schoen.

Donnerstag, Mai 18, 2006

Kroetenlied und Kroetenreigen

Wie mein Freund Felix weiss, ist es zum Ueberleben in der Fremde (und auch in der Naehe) manchmal unerlaesslich, dass man sich selbst einen Witz erzaehlt und dann allein herzhaft darueber lacht. Noch besser ist, und das wusste schon Didi Hallervorden, Held unserer Kindheit, der gespielte Witz. Ich bin mit all dem Krankenhauschaos und meiner generellen Unfaehigkeit fuers organisatorische Detail seit Tagen nicht dazu gekommen, neue Stromeinheiten zu kaufen und weiss, dass irgendwann heute nacht die letzte Einheit verbraucht sein wird. Deshalb versuche ich, so sparsam wie moeglich zu sein, damit ich wenigstens noch bis zum Einschlafen lesen kann. Also keine Musik. Obwohl ich mir doch zur koerperlichen Ertuechtigung und zum seelischen Ausgleich angewoehnt habe, zu afrikanischer Musik wild durchs Wohnzimmer zu tanzen. In meiner unertuechtigten Frustration hoere ich ploetzlich, wie rhythmisch die Kroeten bloeken und gebe mir selbst hoechst eine eindrucksvolle Vorstellung afrikanischen Ausdruckstanzes zum Kroetensang. Ich sollte rausgehn und den Kroetenmusikern Geldscheine auf die nasse Stirn druecken, wie es hier ueblich ist, wenn man mit Musikanten besonders zufrieden ist.

Besser sehn mit Eva

Vielleicht gefaellt Euch diese kurze Notiz aus meinem Krankenhaus besser: Als ich heute auf den Oberarzt wartete, sprach mich ein junger Arzt an und erzaehlte, dass er fuer die Augenabteilung zustaendig war. ENDLICH treffe ich also den, der schon ein Jahr auf die Brillen wartet (ohne es zu wissen), die ich vor meiner Abreise gesammelt habe. Wir freuen uns beide, er verspricht Augentests in Schulen zu organisieren, die Brillen an die passenden Augen zu verteilen und ganz herzzerreissende Fotos davon zu machen und ich verspreche, diese Fotos ins Internet zu stellen, damit all meiner Freunde Herzen zerrissen werden und sie fuer Nachschub sorgen.

Mittwoch, Mai 17, 2006

Kein Zuckerschlecken

Ihr habt wahrscheinlich langsam genug von Krankenhausgeschichten. Das kann ich gut verstehen, ich naemlich auch. Aber meine Eltern haben mir beigebracht, dass man zu Ende bringen muss, was man einmal angefangen hat. Falls Ihr eine weniger gute Erziehung habt, steht es Euch natuerlich frei, diesen blog zu ueberspringen und darauf zu warten, dass ich wieder von Kuchen schreibe.

Gestern hab ich eigene Krankheit vorgeschoben. Heute den ganzen Tag gearbeitet. Aber schliesslich nach Feierabend wusste ich, ich bin dran. Also hab ich Mary abgeholt und bin mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Aus irgendeinem Grund roch die Station bei diesem Besuch intensiv nach Exkrementen. Als wir das Krankenzimmer betraten sahen wir den Grund. Wo vorher ausser unserem nur ein einziger anderer stiller Mann auf seinem Bett dahinsiechte, herrschte jetzt Gedraenge. Alle zehn Betten mit leidenden duennen alten Maennern gefuellt und von Verwandten umgeben, einer stoehnte unentwegt und wand sich in Schmerzen, einer so mager und reglos, dass er aussah, als sei er laengst verhungert, einer machte die ganze Zeit so eigenartig zuckende Bewegungen mit dem Kopf, dass Mary meinte: “Mit dem stimmt irgendwas nicht.” Was fast schon wieder lustig war, denn natuerlich waere er nicht hier, wenn nichts mit ihm nicht stimmte. Auf dem Weg durch dieses Krankenzimmer versuchte ich strikt, nur meinen alten Mann anzusehn, der mit seinem dicken Fuss und Grinsen so wunderbar gesund und munter wirkte.

Seine Frau sagte, der Oberarzt habe schon nach mir gefragt und ausserdem haetten sie beim alten Mann viele Bluttests gemacht. Die Ergebnisse hat die Krankenschwester dann verschusselt, weshalb die gleichen Tests morgen nochmal vorgenommen werden muessen. Also hab ich versprochen, morgen vormittag vorbeizukommen und die Dinge in die Hand zu nehmen. Hoffentlich kann ich die Gelegenheit nutzen, um meine Freundschaft mit Herrn Oberarzt zu festigen, denn der ist nicht nur charmant, sondern scheint auch kompetent und verantwortungsvoll. Und hier muss man Freundschaften schliessen, wenn man nichts braucht, dann weiss man, an wen man sich spaeter wenden kann, wenn man in Not ist. Er hat in Bulgarien studiert und ich hab ihm erzaehlt, wie sehr meine Eltern das Land lieben. Da sieht man doch gleich, wie viel wir gemeinsam haben, oder?

Eine Kuh macht Muh, viele Kuehe machen Muehe Posted by Picasa

Selber schuld

Vorgestern kam der alte Mann mittags angehumpelt und dann sind Mary, er und ich ins Krankenhaus gefahren. Das erste, was der Arzt zum alten Mann sagte, war: “Wann hoerst Du endlich auf, Schnaps zu trinken?” So war denn auch die erste Diagnose: “Dickes Bein und hoher Blutdruck wegen Sauferei und damit hoeren diese Kerle eh nicht auf. Der soll nach Hause gehn, sein Bein hochlegen und nicht trinken, dann wird alles gut. Ansonsten ist er’s selbst schuld (die Schwestern lachen). Der Naechste bitte.”

Aber old man hatte ja diese nervige Weisse dabei: “Doktor, bitte, koennen Sie allein vom angucken sicher sein, dass das keine Elefantitis ist?” Nach einigem hin und her sagt er: “Ok, die andere Moeglichkeit ist, dass wir ihn ein paar Tage hier behalten und alle moeglichen Tests machen, sein Bein auf Eis legen und ihm Medikamente geben.” An seinem Gesicht konnte ich sehn, dass er dachte: “Was fuer eine Geldverschwendung fuer diesen alten unverbesserlichen Saeufer.” Das ist hier ganz entscheidend: Leute, die es selbst schuld sind, z.B. welche, die einen Motorradunfall hatten oder trinken, werden bedeutend schlechter behandelt als solche, die “wirklich krank” sind. Da ich als die “Besitzerin” des alten Mannes mitgekommen war und tatsaechlich die Besitzerin des Geldes bin, das fuer ihn ausgegeben wird, wurde er gar nicht gefragt, es war allen klar, dass ich ueber seine Behandlung zu entscheiden habe.

Waehrend diese ganze Geschichte sich abspielte, war ein staendiges Kommen und Gehen im Behandlungszimmer. Und diesmal kamen wir in den Genuss des absoluten Mangels an Privatsphaere und erfuhren so als erste, dass ein hoher Regionalpolitiker sehr krank ist und sie einen Flugzeugtransport vom Militaerflughafen in Paga nach Kumasi organisierten. Mit diesem Wissen konnte ich dann gleich am naechsten Morgen meinen Assistenten beeindrucken, der dachte, er habe ofenfrische Insiderinfo von seiner Mutter, die Krankenschwester ist. Auch hier gilt: Aller Klatsch und Tratsch kommt zu Eva, obwohl ich mit niemandem verwandt bin und keine lokale Sprache spreche…

Ich beschloss: Ins Bett stecken und untersuchen. Also bekamen wir ein Krankebuch mit einer Liste von Medikamenten, die wir kaufen sollten und lieferten den alten Mann auf der Krankenstation ab. Dann sagte Mary: “Eva, wir muessen seiner Frau Bescheid sagen, dass sie kommen und bei ihm schlafen, ihn pflegen kann.” Also die Frau gefunden, in der Stadt alle Apotheken abgefahren auf der Suche nach den Medikamenten und zurueck zum Krankenhaus. Es stellte sich raus, dass alter Mann und alte Frau nicht mehr miteinander reden und nachdem sie einen Blick auf ihn in seinem Bett geworfen hat, ging sie gleich wieder raus. Im Krankenzimmer gibt es weisse Metalbetten mit duennen Schaumstoffauflagen, im Nebenbett liegt ein alter Mann und stirbt vor sich hin, seine Frau begruesst uns. Der Arzt zaehlt die Medikamente: Vollstaendig. Ich sage meinem alten Mann noch ein paar strenge Worte und wir gehn. Eigentlich haette ich gestern gleich wieder hin gemusst, aber in der Zwischenzeit bin ich selbst ein wenig krank und der Aufenthalt in dieser Art von Krankenhaus ist meinem Gesundungsprozess beileibe nicht zutraeglich.

Dienstag, Mai 16, 2006

Bluehende Geschaefte

Heute bekam ich einen Anruf: Kann Mary fuer eine Hochzeit im August Zitronenkuchen fuer 120 Leute backen und bitte, einer der Kuchen sollte ein dreistoeckiges Herz sein. Waere das moeglich? Und wieviel wuerde das kosten?

Montag, Mai 15, 2006

Dein Chef ist Deine Mama

Das Wochenende habe ich bei den heiligen Affen verbracht, aber davon spaeter. Als ich gestern abend zurueckkam, sagte Mary:

“Der alte Mann (mein Wachmann “Der-nicht-im-Schlamm-versinkt”) ist krank und fragt, ob er zu Hause bleiben und sich pflegen kann.”
“Was hat er?”
“Einen dicken Fuss, sieht aus wie Elephantiasis.”
“Sag ihm, ich moechte, dass er gleich morgen ins Krankenhaus geht und sich testen und verarzten laesst, ich werde das bezahlen.”
Mary guckt mich mit diesem Blick an (ein Blick, der reserviert ist fuer erwachsene Menschen, die man sehr respektiert, die aber einige Sachen viel weniger kapieren, als jedes Kind und dann weiss man nicht, was man sagen soll): “Sister Eva, wenn Du willst, dass er ins Krankenhaus geht, musst Du wohl mitkommen.”
“Ok, Mary, wir gehen morgen zusammen, denn ohne Dich koennen wir uns ja nicht verstaendigen.”

Also hab ich in meinem wunderbaren Medizinbuch nachgelesen (“Where there is no doctor” von David Werner, eines der tollsten Buecher der Welt, voller ekelhafter kleiner Zeichnungen fieser Krankheitssymptome, wie Wuermer, die im Weissen der Augen rumkriechen – Lioasis). Und die sagen: Bancroftian filariasis, durch naechtlichen Moskitobiss uebertragen. Symptome: Schmerzhaftes Anschwellen von Fuss, Bein und Genitalbereich, ab- und anschwellen ueber Monate hinweg, bis die Schwellung permanent wird. Bei naechtlichem Bluttest koennen die jungen Wuermer nachgewiesen werden. Wenn die Krankheit frueh diagnostiziert wird, koennen Medikamente die Wuermer toeten. Wird sie spaeter diagnostiziert “only surgical operations can give some help…” also: koennen nur Operationen eine gewisse Verbesserung bewirken.

Mary sagt heute morgen: “Vielleicht ist es auch etwas anderes, denn der Fuss ist nicht nur geschwollen, old man hat auch noch diese komischen Beulen auf der Haut.”

Wenn er fuer einen Ghanaer arbeiten wuerde oder einfach Bauer waere, wuerde er sich ins Haus setzen und gucken, was passiert. Als ich hier herkam, kannte ich all diese Statistiken darueber, wie viele Leute diese fiesen Krankheiten haben und wie viele daran sterben und hatte Angst um meine eigene Gesundheit. Inzwischen weiss ich, dass ich von den meisten Krankheiten hier so weit weg bin, als waere ich noch in Europa. Aber in den Lehmhaeusern (sowohl in Bolga als auch auf dem Dorf), ist man gesund, solange man gesund ist. Dann ist man krank, solange man krank ist und schliesslich wird man entweder wieder gesund, bleibt krank und schwach oder stirbt. Alles andere ist zu teuer. Und wenn die reiche, gebildete Weisse im Krankenhaus schon angeschnauzt wird, ist das fuer den armen ungebildeten alten Mann ein Ort zu grossen Schreckens.

Donnerstag, Mai 11, 2006

Der Radiomann ist auf Sendung

… und wir alle hoeren mit offenem Mund zu. Ganz Bolga war sich inzwischen sicher, dass er nur grosse Toene gespuckt hat, er hatte die Stadt verlassen, sein Handy verloren und ploetzlich erzaehlten alle seine Freunde, wie der sowieso noch nie vertrauenswuerdig war. Jetzt spuckt er noch groessere Toene, ich dreh mein Radio ganz laut und freu mich.

Dienstag, Mai 09, 2006

Wir Kreditkartenbetrueger

Ist das Rassismus oder Statistik oder beides? Aus Ghana kann ich mit meiner deutschen Kreditkarte nichts im Internet bestellen. Ghana gilt als unsicheres Land und wenn ich von einem Internet Anschluss hier eine Bestellung aufgebe, sind die Leute in Deutschland sicher, dass ich ein Betrueger bin. Wenn ich sie allerdings anrufe und sie mein suesses Deutsches Stimmchen hoeren, wissen sie, ich bin ein guter Mensch und meine Kreditkarte gehoert mir selbst und tippen in ihren deutschen Computer alle Details, die sie brauchen. Wehe, wenn ich ein Ghanaer waere. Mein Assistent klagt daraufhin: Das sind alles die Nigerianer schuld. Diese ganzen Kreditkartenbetrueger sind doch Nigerianer, die vorgeben Ghanaer zu sein… So viel zum Thema Statistik und Rassismus.

Montag, Mai 08, 2006

Die Kranken Haeuser

Ich bin immer noch unglaublich gesund aber trotzdem hat es mich in den letzten Wochen ab und an in Bolgas Krankenhaus verschlagen: Beim Ausgehn aufgesammelte Motorradunfaelle, naechtlich akkut werdende Malaria einer Kanadierin ohne Auto, der Unfall des Bruders der Freundin einer Freundin…

Wie ist das? Es stinkt nicht. Es hat einen sehr ausfuehrlichen ausgefeilten buerokratischen Prozess, bei dem man immer wieder zurueck zum Kassenhaeuschen muss, um zu bezahlen und dann mit einem Zettelchen zum naechsten Behandler geschickt wird. Es ist sehr langsam und alle sind sehr unhoeflich.

Aerzte schicken uns ins Labor, als wir reinkommen bruellt der Laborchef grade durchs Wartezimmer: “Aha! Schwangerschaftstest!” Damit es alle hoeren. Das junge Maedchen wuerde erroeten, wenn es nicht so schwarz waere. Dabei kaut er unentwegt berauschende Kolanuesse und hat gelbe Kolaknuesel zwischen den schlechten Zaehnen. Stromausfall, der Laborchef schmeisst alle raus: “Kommt zurueck, wenn wieder Strom da ist.” Dann kriegt man einen Schmierzettel mit Ergebnissen, z.B. + + + , den zeigt man dem Arzt, der eine Behandlung anordnet und einen rausschmeisst. Keine Erklaerung. Auf dem Flur hoere ich, eine Schwester das Maedchen mit dem Schwangerschaftstest anschnauzt: “So. Schwanger! Wegmachen oder Behalten?”

Der Bruder der Freundin meiner Freundin ist nachts ohne Helm mit dem Motorrad verunglueckt, lag ein paar Stunden im Graben, bis sie ihn fanden, wurde bewusstlos ins Krankenhaus transportiert und niemand wusste, wer er war. Schliesslich erkannte ihn eine der Schwestern und benachrichtigte die Familie. Als die am naechsten Tag kamen, lag der Junge so da, wie sie ihn gefunden hatten, in Blut und Schmutz und Bewusstlosigkeit.

Das ist hier normal, alles, was ueber Klemptnerarbeit am Koerper hinausgeht, ist Sache der Familie, also verbringt irgendein Familienmitglied die Tage zwischen Krankenhaus und Kueche, bereitet Essen zu, waescht den Kranken, pflegt ihn und laesst sich von den Schwestern anranzen. Der Bruder ist schliesslich wieder aufgewacht und beginnt langsam, sich an sein Leben vor dem Unfall zu erinnern. Sie vermuten einen Schaedelbruch, koennen in Bolga aber keine weiteren Untersuchungen vornehmen. Wenn die Familie 5 Mio Cedis (500 Euro) zusammenkratzen koennte, haetten sie einen Krankenwagen nach Kumasi bezahlen koennen, wo es bessere medizinische Geraete gibt. Da das viel zu viel Geld ist, hatten sie nun geplant, den Jungen gemeinsam mit seiner Schwester in ein Trotro (Kleinbus mit lebenden Ziegen auf dem Dach) zu verfrachten. Letztlich hat Debbie sich wohltaetig erwiesen und ihrer Freundin ihr Auto geliehen.

Unsere Putzfrau kam heute in ihrer besten Sonntagskleidung zur Arbeit und hatte ein Maedchen im Kirchenkleid mit zugeschwollenen Augen im Schlepptau. Ihre Tochter, mit der sie heute ins Krankenhaus gehen wollte. Aufgeputzt, in der Hoffnung, so von den “Offiziellen” ordentlicher behandelt zu werden. Die Leute hier finden das unerquicklich aber normal, wie schlecht sie im Krankenhaus behandelt werden. Ein Freund sagt: “Manchmal schlagen die Schwestern die Patienten auch…. Zum Beispiel wenn die ihre Pillen nicht nehmen…”

Dame vor Elefantenlandschaft Posted by Picasa

Sonntag, Mai 07, 2006

Nehmt die Waesche von der Leine, der Kackmann kommt!

Mein Geburtstag begann damit, dass um viertel nach sechs der kleine Kackmann kam. Leider hatte er letztes Mal uebersehen, dass die Experten, die mein Abwassersystem gebaut haben, einen fetten Flatsch Zement mitten in den Abfluss gesetzt haben. Kein Wunder wenn das immer wieder verstopft. Waehrend ich mir also vom Kackmann Vorwuerfe dafuer anhoeren musste, dass ich immer Toilettenpapier in die Toilette werfe (warum heisst das verdammte Zeug so?!), kam Michael, der versoffene Gaertner mit dem abgeschnittenen Ohr mit ein paar Buescheln Zitronengras, die er in meinen Garten pflanzen wollte. Dritter Versuch, zweimal sind sie schon eingegangen. Was nicht viel macht, denn, obwohl ich gegen Zitronengras nichts einzuwenden hab, hab ich auch niemals geaeussert, dass ich welches braeuchte. Aber irgendwie fand ich das den richtigen Moment, ihm nochmal mitzuteilen, dass ich keinen Gaertner braeuchte. Denn je laenger ich hier wohne, desto mehr Leute erzaehlen mir: Genialer Gaertner, arbeitet hart, saeuft wie ein Loch und ist unertraeglich wenn besoffen…

Dann bin ich zur Arbeit gefahren, wo mein Assistant mir mitteilte, dass er einen neuen Wachman gefunden hat. Ich hab den Assistenten zum Postfach geschickt und ihm gesagt, dass er nicht wiederkommen braucht, wenn er keine Geburtstagspakete fuer mich findet. Ein Glueck, dass meine Mitarbeiter mich nicht ernst nehmen, sonst waere ich noch dazu meinen wunderbaren Assistenten losgeworden. Aber er kam ganz frech trotzdem zurueck. Nachmittags rief meine Mutter an und sagte: Grade jetzt bist Du geboren worden, mein Engel.

Mein Tagwerk beendete ich damit, dass ich meinen alten Nachtwaechter rausschmiss und einen neuen anstellte. Der alte hatte sich vor Ostern eine Nacht freigefragt, aus der fast eine ganze Woche wurde, waehrend ich selbst und Mary verreist waren und der arme alte “der nicht im Schlamm versinkt” (Tagwachmann) war ganz allein mit der Verantwortung und dem Haus. Dann hat sich der Wachmann wortreich entschuldigt, mich um einen weiteren Vorschuss auf seinen Lohn angebettelt, nur um am naechsten Abend voll wie eine Haubitze bewusslos auf seinen Wachmannstuhl zu sinken.

Ich hatte ihm nach seiner ersten Show das Konzept von “Jeder kriegt EINE Chance” zu erklaeren versucht. An seinem geschockten Gesicht gestern konnte ich sehen, dass er das Konzept nicht verstanden hatte. Das mag ein interkulturelles Missverstaendnis sein, aber wenn ich ausseh wie ne Deutsche und bezahle wie ne Deutsche und immer so freundlich zu Dir bin und Dich nicht wie Dreck behandle, nur weil Du in der Hierarchie unter mir stehst… naja, wie auch immer, trotzdem musste ich dann erstmal heulen, waehrend ich auf meinen neuen Wachmann wartete. Dann schnell die Augen gewischt, mein Geburtstagsglitzertop uebergeworfen, neuem Watchman mein Haus gezeigt und zu der wunderbaren Debbie gefahren, die extra auf dem Markt nach Kartoffeln gesucht hatte fuer mein Geburtstagsessen, Kuchen ausgepustet, Gin getrunken und klein gefeiert. Gross gefeiert wird morgen. Ohne Kackmann.

Freitag, Mai 05, 2006


Die fiese Huehnerkrankheit soll nun schon Burkina erreicht haben, wo dieses Foto herstammt. Mein Ghanaischer Freund Amadu raet ganz pragmatisch: Wenn die Krankheit in den Federn haengt, muss man die Viehcher halt an den Fuessen packen und kopfueber in kochendes Wasser halten... Posted by Picasa

Donnerstag, Mai 04, 2006

Prinzessinnenwetter

Die Regenzeit kuendigt sich zart und verlockend an. Wir hatten die ersten Gewitter. Die knochentrockene Erde ist schon nach zwei Regennaechten mit einem gruenen Grasflaum gepolstert, vor meiner Haustuer waelzen sich 13 neugeborene Schweinchen uebergluecklich in einer frischen Pfuetze und wir haben Hoffnung, dass es bald kuehler wird. Das Problem ist nur: Solange die Regenzeit nicht richtig angefangen hat, kuendigt sich ein Regenguss damit an, dass er besonders heiss wird, dann regnets und danach wird es wieder besonders heiss. Und um ehrlich zu sein, an den Tagen, an denen es nicht regnet, kuendigt sich der Nachmittag damit an, dass es richtig heiss wird (vielleicht 45 Grad…) und die Nacht zeichnet sich dadurch aus, dass es auch nicht wirklich abkuehlt. Mein Klima-Anlage kuehlt das Buero heute auf kuschlige 33 Grad runter… zumindest solange kein Stromausfall ist und solange der hauseigene Wackelkontakt nicht zuschlaegt. Es ist so wunderbar, dass dies mein zweites Jahr hier ist und ich weiss, dass die Erloesung nicht lange auf sich warten lassen wird. Letztes Jahr um diese Zeit war ich noch davon ueberzeugt, dass das 12 Monate lang gleich bliebe.

Mittwoch, Mai 03, 2006

Besser vermeiden

Hier kommen jetzt zwei Sachen, die nichts mit Ghana zu tun haben. Aber einiges damit, wie ich besser arbeite und vielleicht ist das ja fuer den ein oder anderen von Euch auch interessant, und vielleicht wollt Ihr auch so wahnsinning toll werden wie ich. Im Dezember habe ich das wunderbare englische Wort Procrastination gelernt. Ich bin immer wieder erstaunt, wie man etwas machen kann, ohne seinen Namen zu kennen. Inzwischen bin ich mit einer Kanadierin, die im gleichen Buerogebaeude arbeitet, ueberein gekommen, dass wir die Ghanaische Section von Procrastination International gruenden werden (oder war es Procrastinators Anonymus?). Nur leider sitzen wir schon seit Monaten an der Formatierung der Statuten dieser wichtigen Organisation, so dass die Gruendung wohl noch ein paar Jahre dauern koennte. Der Fehler sitzt im System, denn procrastination heisst verzoegern, verschludern, den Kopf in den Sand stecken, sich in Unwichtigkeiten verstricken und hoffen, dass sich die meisten Probleme durch Liegenlassen loesen…

Gelernt hab ich das Wort bei dem Vortrag einer Zeitmanagement-Trainerin in Washington, die groesstenteils Kram erzaehlt hat, den ich in Ghana definitiv nicht anwenden kann (keine Zeit mit Gruessen verschwenden etc…). Aber eine Sache hab ich dabei gelernt, die super ist: Eine differenzierte To-Do-List machen. Diese Liste hat vier Kategorien fuer alles, was zu tun ist:
1. Wichtig und draengend
2. Wichtig und hat Zeit
3. Weniger wichtig und draengend
4. Weniger wichtig und hat Zeit
Wenn ich so eine Liste mache, seh ich meistens, dass ich mich am liebsten Dingen aus Kategorie 4 widme. Zum Beispiel Euch einen Blog ueber Vermeidungstaktiken schreiben. Waehrend meine Finanzabrechnung beileibe weniger Sex-Appeal hat. Und wie Ihr seht, haelt mich diese Liste nicht immer davon ab, weniger wichtige und weniger draengende Sachen zu tun. Aber wenigstens bin ich mir dessen dann bewusst und bemueh mich, die nur zu tun, wenn ich’s mir zeitmaessig leisten kann und bei 1 und 2 schon was erreicht hab.

Das zweite, was mir dabei hilft immer superer zu werden, ist www.wikipedia.com. Das ist die tollste Seite im Internet. Vielleicht kennt die ausser mir jeder. Dann koennt Ihr ueber mich lachen. Ansonsten koennt Ihr da hingehn und in einem staendig wachsenden interaktiven Online-Lexikon alles lernen. Und da das so gut und verlinkt und ausfuehrlich ist, eignet es sich natuerlich auch hervorragend fuer procrastination.

Statussymbol Beinhaar

Gestern schaute Mary auf meine schlecht rasierten Beine und meinte. Komisch, wir wollen Haar und ihr rasiert es ab. Warum sie Haar wollen? Weil sie weniger haben. Mary sagt: Im kuehleren (reicheren) Sueden haben die Frauen mehr Haare auf den Beinen. Aber hier ist es zu heiss. Und ausserdem, wenn Du arm bist und auf dem Feuer kochen musst, brennen Deine Beinhaare immer ab. Also kann ich endlich aufhoeren mit Beine rasieren, damit alle sehn, dass ich reich genug bin, auf Gas zu kochen! Und dass ich aus einem sehr kalten sehr reichen Land komme.