Mittwoch, November 30, 2005

Enamorado de Don Carlos – Verliebt in Herrn Karl

Don Carlos ist ein stattlicher Mann. Er ist einer der Bauern, die zu unseren Workshops kommen und ist immer praechtig gekleidet: Stiefel, mit denen er vom Fleck weg auf sein Pferd springen koennte, knapp geschnittene Bolero-Jaeckchen (tagsueber weiss, zum Dinner dunkelblau) und einen Gaucho-Hut, der geformt ist wie eine Kaeseschachtel mit breiter Krempe. Den balanciert er auf dem Knie, waehrend er grosse Reden schwingt und mit der Stiefelspitze wippt. Er hat buschige Augenbrauen, eine gefaellige Stimme und trinkt Pisco aus dem Wasserglas.

Die Bauern stehn unschluessig vor dem Versammlungsraum, doch wenn Don Carlos kommt, nach rechts und links gruesst und eintritt, wissen alle: Jetzt geht’s los. Sein Sohn, der Mitte 30 ist, ist auch hier, aber im Schatten dieses Vaters wirkt er wie ein verjuerschtes Pflaenzchen. In der Kaffeepause spritzt Herr Karl sich auf dem Herrenklo sein Insulin und das entflammt mein Herz umso mehr: Ein grosser Mann so verletzlich…

Montag, November 21, 2005

Kindergraeber

Wer kein Schiffer ist (so wie alle Leute hier) findet das seltsam, dass wir in fremden Laendern immer auf die Friedhoefe gehn. Ich erklaere das mit dem Beruf meines Vaters (Steinmetz) und behaupte, dass wir nur aufgrund seines professionellen Interesses im Familienurlaub immer auf alle Friedhoefe gegangen sind. In Wirklichkeit hab ich von Steinen keine Ahnung und will auf dem Friedhof fuehlen, wie die Leute leben. Als wir mit dem Bus an Kasernenhoefen und Fabriken vorbei endlich am Friedhof Talca ankamen, wurde mir wieder klar, warum Leute das komisch finden. Weil Friedhoefe unglaublich traurige und bedrueckende Orte sind und man da heulen will, selbst wenn man mit keinem der Toten jemals was zu tun hatte. Was hier besonders arg ist, ist das grosse Feld der Kindergraeber. Dicht and dicht, fuer jedes Kind ein bunter Lattenzaun so gross wie ein Gitterbett, ein plumper Grabstein aus Beton, auf den mit Farbe ein Name und Datum gekritzelt sind, ein Glas oder eine Konservendose mit frischen Blumen und liebevoll dekoriert das Lieblingsspielzeug des Kindes. Oder, wenn ein Saeugling gleich nach der Geburt gestorben ist, das Spielzeug, das die Eltern und Omas und Tanten gekauft haben voll freudiger Erwartung auf ein Kind, das damit spielen wuerde. Eine der Puppen hat ein kleines Schild in der Hand, auf dem steht: Nimm mir mein Spielzeug nicht weg. Neben dem Grab steht ein Kinderstuhl.

Freitag, November 18, 2005

Weniger Details

Na gut. Ihr wollt vermutlich erstmal wissen, wie Chile so ganz allgemein ist, bevor ich Euch abseitige Details erzaehle. Mittelstand. Dieses Land ist voll davon. Schicker und ordentlicher als Palermo (naja, als das Palermo meiner Fantasie). Hm, schick? Meinem Vorurteil nach muessten die Latinas ja alle gross, kurvenreich und aufgedonnert sein. Is nich. Die Frauen sind alle in etwa meine Groesse (Maenner auch...), haben alle schwarze Haare, junge Frauen alle in Jeans, T-Shirt, Turnschuhen. Die Maenner pfeiffen zwar ab und an blonden Haaren nach, lassen uns aber die meiste Zeit in Ruhe. Der Grund, warum ich nicht viel Allgemeines ueber Chile schreibe, ist dass es sich so von vorne bis hinten normal anfuehlt. Am Wochenende werden wir ein Wenig aus diesem Arbeitsrhytmus ausbrechen, der uns von einem Tagungsraum zum naechsten und von einem Restaurant zum naechsten bringt und danach kann ich vielleicht ein bisschen mehr sagen...

Kuchen, Kindergarten, kaputt

Das sind die drei deutschen Woerter, die Eingang ins Chilenische Spanisch gefunden haben. Wir koennen wohl zufrieden sein. Eine harmlosere Bilanz als "Angst", "Blitzkrieg", "Kitsch", "Weltschmerz" und "Hinterland", deutsche Woerter, die sich ins Englische eingeschlichen haben. Also ich muss bei "Hinterland" ja immer an meine kurze doch wilde politische Vergangenheit in Gorleben denken: "Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland!" Aber das gehoert nun alles wirklich nicht hierher, womit wir wieder beim Erzaehlstilerbe von OmmaausGeich waeren, deren LieblingsKUCHEN (um den Bogen zu schlagen) uebrigens Aprikosenriemchen war, falls irgendein Nicht-Geicher weiss, was das ist.

Oede essen in Talca

Duensten. DUENNNNNSTEN. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das Wort hoert sich so oede an wie der Geschmack... Aber sonst faellt den Chilenen nichts ein, wenn sie Essen zubereiten. In heisses Salzwasser legen und lange warten. Nicht wuerzen. Dem spanischen Erbe getreu viel Fleisch und wenig Gemues. Wir essen in erstklassigen Haeusern mit weitlaeufigem Garten, Stoffservietten, Pinguinkellnern und allem Schnickschnack und sie servieren uns mit beruhigender Regelmaessigkeit: Gekochtes Fleisch, geduenstetes Gemuese, Nescafe.

Unser Chilenischer Kollege sagt, es gibt auch Kaffee-Bars, wo richtiger leckerer Kaffee serviert wird. Aber als er meine Begeisterung sieht, zoegert er und erklaert, dass die Serviererinnen da ganz kurze Roecke tragen und die Kunden / Gaeste nur Maenner sind. Ich lerne also: Frauen duerfen hier in der Oeffentlichkeit keinen guten Kaffee trinken. Und da wir grade in der Chauvi-Ecke sind, noch eine Chilenische Weisheit, die gleicher Kollege uns mitteilte: Sobald sie den Brotbeutel nicht mehr ueber den Boden schleift, ist ein Maedchen gross genug um geheiratet zu werden.

Mittwoch, November 16, 2005

Management-Strategien

Von Ghanaischen Geschaeftsleuten lernen, heisst siegen lernen?

Ich habe meinem Schokoladenfreund (s.u.) von meiner Theorie zur Ghanaischen Mordkultur als Spiegel kultureller Mentalitaet erzaehlt (vergiften als Ausdruck einer Geisteshaltung).

Er belohnte mich mit einer weiteren Einsicht ueber ghanaische Geschaeftsstrategien: Im Sueden Ghanas gruendet niemand ein business ohne Menschenopfer. Wer eine Firma aufmacht, muss zum Gelingen des Geschaefts ein Familienmitglied toeten oder toeten lassen und dabei magisches Tamtam veranstalten. Meistens hat man ja irgendein Kind uebrig, ansonsten sind die recht schnell und billig produziert. Wenn das Kind Glueck hat, kommt es aus einer moderneren Familie und wird nur verstuemmelt.

Vielleicht erinnert Ihr Euch an eine Story, die vor einiger Zeit in allen Zeitungen stand. Da wurde aufgedeckt, dass die Ghanaer in England einen Kinderhandel von Ghana nach England organisiert haben, da der Kindermangel unter Einwanderern den Geschaeftserfolg gefaehrdete.

Schokoladenkueche

Ein deutscher Freund in Accra macht seine Schokolade selber. In der Bratpfanne. Sein Fahrer bringt die fermentierten Bohnen aus dem Heimatdorf in der Mitte Ghanas. Die werden von ihren weissen Haeutchen befreit und in der Pfanne bei sanfter Hitze so lange geroestet, bis das Haus nach Weihnachten duftet aber nichts angebrannt ist. Dann haeckselt er die Bohnen in der Kuechenmaschine zu einem feinen Puder, das ganz ploetzlich umschlaegt und eine Paste wird, auf deren Oberflaeche sich die Kakaobutter absetzt. Diese Butter kann man fuer die Schlankheit abschoepfen und sich fuer die Schoenheit auf die Haut schmieren. Oder man laesst sie fuer den Geschmack drin. Diese Masse mischt man mit allem, was einem in den Weg kommt, Zucker, Sahne, Nuesse, Motoroel (selber schuld) streicht sie flach aus und laesst sie erstarren. Nein, ich habe keine Bohnen im Gepaeck, wenn ich Weihnachten komme. Aber wenn Ihr mich besucht, kann ich eine Bohnenuebergabe in Accra organisieren und wir koennen das ausprobieren, wenn Ihr in Bolga ankommt.

Sonntag, November 13, 2005

Kurzmeldung

Gut und sicher in Talca, Chile angekommen.

Samstag, November 12, 2005

Du Nervst!

Ich bin verbuscht und im Jet-Lag. Deshalb sitze ich im amerikanischen gesund-und-gemuetlich-Schnellrestaurant und vermisse die weder gesunde noch gemuetliche und sicherlich nicht schnelle Rundumerfahrung im New Lifeline, wo sich keine Kellnerin durchs Servieren vom Tanzen abhalten lassen wuerde, wenn ihr das Lied gefaellt, wo das Essen je nach Laune der Koechin schmeckt und dauert und meist (aufgrund der guten Musik) schon wieder lau warm ist, wenn es serviert wird. Und wo ich nicht in gleissendem Licht in der Mitte eines klinisch sauberen Raumes sitze, diese Kellnerinnen an mir vorbeihasten und andauernd an meinen Tisch kommen (7x in 20 Minuten) und mich zwingen, mit vollem Mund Bericht zu erstatten, ob es denn immer noch gut schmecke (kann ja sein, dass sich das innerhalb von zwei Minuten aendert) und ob ich wohl auch gluecklich sei und ueberhaupt. Ach, verschwindet, wuerdet Ihr mich bitte einfach in Ruhe essen lassen?

Nach dem ganzen Lamento (oh Wohlstandssorgen!) noch etwas, was mein Herz erwaermte. Der erste Mensch, mit dem ich mich hier im Hotel laenger unterhalten hab, war der Schwarze, der meine Heizung regulieren kam. Wir haben gleich rausgefunden, dass wir aus dem gleichen Land kommen, nur ist er schon seit 18 Jahren in Amerika. Hat aber ein Haus in Accra und ist regelmaessig zu Besuch. Als er mit der Heizung fertig war, bedankte er sich bei mir dafuer, dass ich sein Land kenne.

Jetzt geh ich schlafen. Und fruehstuecke morgen mit Selbstbedienung.

Dienstag, November 08, 2005


Wenn Du Macho sein willst... Posted by Picasa

Samstag, November 05, 2005

Reisen

Ich packe meine Sachen und bin weg mein Kind... Morgen (Sonntag) fliege ich nach Accra, am Donnerstag (10.11.05) nach Santiago de Chile. Und so weiter und so fort.

Fastenbrechen

Wir alle zeigen gerne unsere religioese Toleranz, indem wir an den Festen der anderen teilnehmen. Ich bin nicht tolerant genug, um mich ihrem Fasten anzuschliessen, 40 Tage lang kein Essen oder Trinken solange die Sonne am Himmel steht, das geht dann doch ein wenig zu weit. Aber das Fastenbrechen gestern war nationaler Feiertag und meine Nachbarn haben mich bald davon ueberzeugt, dass dieser Tag nicht dazu gemacht war, in meinem Haus am Computer zu sitzen, sondern sie zu besuchen und ihnen was zu trinken zu spendieren, waehrend wir Mensch-aerger-Dich-nicht spielen. Die ganzen Strassen waren voll von aufgeputzten Familien, Kinder in Prinzessinnen- und Prinzenkleidern, Frauen in weisser, silbernen, rosa Spitze, Maenner im Schlafanzug mit eigenartigen Muetzen und alle waren froh, dass sie endlich wieder sehen konnnten, was sie essen. Die religioese Toleranz der Moslems an diesem Tag geht so weit, dass sie schon am spaeten Nachmittag die Kneipen leergetrunken haben, zu erst das Guinness, weil es wie Essen und Trinken zugleich ist, dann jegliches andere Bier. Da wird gegessen, getrunken., getanzt und geraucht bis zum Umfallen, weil dieser Tag im islamischen Jahr etwa so wichtig ist, wie Weihnachten bei den Christen.

Vor ein paar Tagen hab ich mich mit einer Kanadierin ganz ernsthaft ueber religioese Toleranz unterhalten und wir haben beide festgestellt, dass wir zu Hause zwar aus einem sogenannten multikulturellen Umfeld kommen, von Moslems umgeben sind, aber kaum welche kennen. Hier sind die Moslems nicht die Fremden, sondern einfach eine Gruppe unter vielen, die alle von hier kommen. Und waehrend ich hier lebe und arbeite, erinner ich mich manchmal an dies komische Gefuehl, die eigenartigen Frage: Ist das nicht schwierig, wo zu arbeiten, wo so viele Moslems wohnen? Wie ist das, mit denen zusammen zu arbeiten, grade als Frau? Aber, meine Guete, Christen wie Moslems nehmen ihre Religion hier ernst und ihre Frauen nicht (ernst). Moslems duerfen mehrere Frauen heiraten, die Christen heiraten ihre mehreren Frauen nicht mal und geben ihnen also gar keine Absicherung. Meine Reaktion ist, dass ich mir ohne es zu merken ein komplexes System maennlicher Beschuetzer aufgebaut, zum Teil Angestellte, wie meinen Assistenten oder die Wachleute, zum Teil „Ehrenamtliche“ wie Onkel Flash. Alle haben die Aufgabe, mich zu respektieren und mir Respekt zu verschaffen. Dass das so ist, merke ich erst, wenn ich allein unterwegs bin, z.B. wenn ich mit meinen weissen Maedchen tanzen geh und ploetzlich von Schmeissfliegen umgeben bin, deren Existenz ich total vergessen hab. Gut, wenn ich dann einen der anwesenden Maenner kenne und ihm verstaendlich machen kann, dass ich Schutz brauche. Und komplett nutzlos, zu versuchen, das selbst in die Hand zu nehmen.

Nein, ich sollte meine Ghanaer hier nicht schlimmer darstellen, als sie sind, denn bei Tageslicht und im Job werde ich auch allein respektiert und ernst genommen. A big woman. Schliesslich bin ich reich und einflussreich...

Gift und Galle

In der Schule neben meinem Haus ist ein Lehrer gestorben. Sie sagen, er war der beste Lehrer der Schule. Und sie sagen, er wurde vergiftet. Ich war noch nie in einem Land, in dem Vergiften so eine uebliche Toetungsart ist.

Natuerlich faenden Ghanaer das eine Unverschaemtheit, was ich jetzt sage, aber meine Guete, das ist wohl ihr gutes Recht. Ich hab das Gefuehl, die Vergifterei ist ein Symptom des generellen Umgangs der Ghanaer miteinander. Wir Deutschen sind da im Gegenzug ja eher schlicht. Wir kriegen das nie hin, dauernd zu laecheln und freundlich zu sein, weshalb uns die Welt fuer grobe Kloetze haelt. Und vom Vergiften und laechelnd ein Messer in den Ruecken rammen haben wir auch keine Ahnung.

Meine Nachbarin sitzt den ganzen Tag vor ihrem (und meinem) Haus und bewegt ihr Schandmaul, um meinen Ruf zu ruinieren und meine Freunde gegeneinander aufzuhetzen. So erleben wir farbenfrohe Szenen. Derweil gruesse ich sie laechelnd und moechte unentwegt lautstark erbrechen. Ich vermisse Euch ungemein, meine tumben deutschen Volksgenossen.