Normalerweise ist mein blog ziemlich unpolitisch, es geht um Essen und was da drin ist, um Taxifahrer und Frauenkleider. Das liegt vor allem daran, dass ich am liebsten ueber Sachen schreibe, die ich direkt erlebt hab, denn das ist das einzige, worin ich Expertin bin. Die abstrakte politische Analyse ueberlasse ich gerne anderen, die sich darin mehr zu Hause fuehlen. Aber in einem Land wie Bolivien laesst sich das gar nicht so trennen, die Politik durchtraenkt hier den Alltag so sehr, dass sie kein abstrakter Gedanke ist, der irgendwo im Parlamentsgebaeude ausgelebt wird, sondern mir auf Schritt und Tritt begegnet. Die ganze Stadt ist voll von “Evo Si” (Evo [Morales] Ja) Grafitti, das die breite Unterstuetzung des ersten indigenen Praesidenten Boliviens widerspiegelt. Ich habe das Gefuehl, da zu sein, wo Geschichte gemacht wird. Der Linksruck in Suedamerika, ob man den nun unterstuetzt oder nicht, ist eine alltaeglich fuehlbare Veraenderung. Die Welt sieht von hier anders aus.
Selbst die Intellektuellen, die Evo Morales’ Regierung zu populistisch finden und warnen, dass sie nicht die Kapazitaet und Weitsicht hat, tatsaechliche Reformen erfolgreich umzusetzen, selbst die, die sich selbst als moderate Reformer und nicht radikale bezeichnen, haben unheimlichen Respekt vor der Regierung. Nicht Respekt im Sinne von Angst. Sondern tatsaechlichen menschlichen Respekt, weil sie sagen: “Selbst wenn ich nicht denke, dass das funktionnieren wird, eins muss man ihnen lassen, sie sind ehrlich und gradlinig und leben, was sie predigen. Der Praesident zahlt sich selbst ein Monatsgehalt von 1400 Dollar und kein Regierungsangestellter darf mehr verdienen.”
Einer meiner (moderaten) Gespraechspartner hat Freunde im ganzen politischen Spektrum und ueber einen sehr radikalen Freund, der fuer Landangelegenheiten zustaendig ist, sagt er: “Der ist ein reiner Bolschewik aus dem 19. Jahrhundert, der fuehrt ein spartanisches Leben, fuerchtet keine Gefahr, agitiert die armen Massen mit feurigen Reden und kaempft fuer Landumverteilung. Leider hat er weder Erfahrung noch Zeit oder Leidenschaft, wenn es um die Organisation langweiliger Verwaltungsprozesse geht, die fuer die tatsaechliche Umsetzung von Reformen notwendig waeren.”
Eine andere Kollegin beschreibt wie anders sich die Bevoelkerungsmehrheit der Indios fuehlt und benimmt, nun da einer der ihren Praesident ist: Sie empfielt uns eines der besten Restaurants Boliviens und sagt: “Frueher sah man da nur Weisse, aber jetzt haben die Indios keine Scheu mehr, da hin zu gehn, wenn sie’s sich leisten koennen.” Und sie erzaehlt von einem Gespraech mit einem kleinen Indio Jungen, der als Schuhputzer arbeitet: “Was willst Du denn mal werden, wenn Du gross bist?” “Praesident.”
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